Mit einem schweren Unglück hat alles angefangen. Vor hundert Jahren wurden die Staatstheater des Architekten Max Littmann im Schlossgarten eröffnet. Der Vorgängerbau war einem Feuer zum Opfer gefallen.

Stuttgart - Mit einem schweren Unglück hat alles angefangen. In der Nacht zum 20. Januar 1902 brannte das Württembergische Hoftheater am Schlossplatz bis auf seine Grundmauern nieder. Nur Teile des Inventars und wertvolle Instrumente konnten mühsam gerettet werden, die Feuerwehren hatten alle Hände voll zu tun, das Übergreifen der Flammen auf die Eberhardskirche, den Königin-Olga-Bau und das Neue Schloss zu verhindern. Eine kulturelle Katastrophe. Für kurze Zeit wich man ins kleine Wilhelma-Theater aus, binnen weniger Monate – eine erstaunliche Leistung – wurde aus den Trümmern der Brandruine ein „Interimstheater“ errichtet, das ganz bewusst diesen Namen erhielt.

 

Heftiger Streit um den Standort des neuen Theaters

Dann trat Württembergs König Wilhelm II. auf den Plan. Er forderte, wie es das Gesetz befahl, vom württembergischen Staat den Neubau des abgebrannten Theaters; die Stadt Stuttgart signalisierte ihre Bereitschaft, sich an der Finanzierung zu beteiligen, wofür man der Kommune ein Mitspracherecht einräumte. Ein Zeitgenosse berichtet: „Der Monarch wollte, dass der Genuß theatralischer Darbietungen auch dem weniger bemittelten Teil seiner Untertanen zugänglich gemacht werde.“ Das alles war höchst fortschrittlich gedacht – doch damit fingen die politischen Probleme überhaupt erst an.

Sechs Jahre lang stritt man in Stuttgart heftig. Wo sollte das neue Theater eigentlich stehen? Und war es nicht ratsam, gleich zwei zu bauen, eines für das Schauspiel, eines für die Oper? Namhafte hiesige Baumeister und Architekten von außerhalb zerbrachen sich die Köpfe; alte Pläne, die man gottlob verwarf, zeigen einen mächtigen Koloss, der den heutigen Karlsplatz ausfüllte und dazu das Gelände des Alten Waisenhauses. Andere Vorschläge zielten darauf ab, den riesigen Neubau wie einen Riegel quer in den Oberen Schlossgarten zu stellen, um den ehemaligen ovalen See quasi vor den Eingangsportalen zu haben.

Nur drei Jahre Bauzeit

Der beste deutsche Theaterarchitekt seiner Zeit, Max Littmann aus München, überzeugte schließlich nach dem langen Hickhack mit seinen Ideen. Von ihm stammten das Hofbräuhaus und das Prinzregententheater, das Schillertheater in Berlin und das Nationaltheater in Weimar, aber auch der Zirkus Sarrasani in Dresden, dazu Villen und Wohngebäude an vielen Orten. Im Oktober 1908 sprach das Preisgericht dem Littmann’schen Entwurf eines Doppeltheaters, verbunden durch einen flachen Verwaltungsbau, das Prädikat zu, der beste aller Vorschläge zu sein. Der Wille des Königs, die Nähe zum Neuen Schloss und zu dem bereits geplanten neuen Bahnhof, außerhalb der alten Innenstadt gelegen, hatten den Ausschlag gegeben.

Binnen drei Jahren war der Gebäudekomplex an der damaligen Neckarstraße hochgezogen. Das Schauspielhaus, eher schmucklos, war einem antiken Tempel nachempfunden, die Oper wiederum, dekorativ und luxuriös ausgestattet, folgte der römischen Theaterform. Das Projekt verschlang acht Millionen Mark, die Stadt steuerte 1,25 Millionen bei, private Mäzene aus der Bürgerschaft spendeten 1,5 Millionen. Max Reinhardt, der große jüdische Regisseur aus Berlin, sprach vom „schönsten Theaterbau der Welt“.

Neue Spielstätte mit „Ariadne auf Naxos“ eröffnet

Die Eröffnung des neuen Kulturtempels war am 14. und 15. September 1912, andere Quellen datieren das Ereignis auf den 24. September. Doch wie dem auch sei, König Wilhelm II. lud 170 Gäste zu einer Festtafel, das Volk huldigte seinem Monarchen. Und Anfang Oktober 1912 gab’s die Uraufführung der Oper „Ariadne auf Naxos“, der Komponist Richard Strauss dirigierte höchstpersönlich.

Das neue Stuttgarter Doppeltheater schwang sich auf zu einem der künstlerisch führenden in Deutschland, doch im Kriegssommer 1944 erlebte es seine bittersten Stunden. Unter mehreren Luftangriffen, vom Februar bis in den September, wurde das Schauspielhaus völlig zerstört, die brennende Oper konnte, welch ein Wunder, mehrmals gelöscht werden.

Sanierung des Schauspielhauses ein Desaster

Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf der legendäre Generalintendant Walter Erich Schäfer das bis heute andauernde „Stuttgarter Ballettwunder“, Anfang der sechziger Jahre wurde das Kleine Schauspielhaus in moderner Form an die Stelle des alten gesetzt. Seither gilt das Ensemble als größtes Dreispartenhaus in Europa. Doch jetzt, hundert Jahre nach dem Geniestreich des Stararchitekten Max Littmann, sind die Sorgen im Oberen Schlossgarten enorm. Die bauliche und technische Sanierung des Schauspielhauses in den vergangenen Jahren ist ein Desaster, die überfällige Sanierung der Oper hat man zurückgestellt.

Einen Monarchen gibt es nicht mehr, dafür sitzen Stadt und Land wie vor hundert Jahren – politisch und was die Finanzen betrifft – noch immer in einem Boot. Guter Rat kommt beide Seiten teuer zu stehen. Gestritten wird immer noch. Stuttgart, so scheint es, fehlt schon seit einiger Zeit auf merkwürdige Weise die Fortune, aus wichtigen Bauprojekten große Würfe zu machen.