Studenten der Filmakademie Ludwigsburg drehen ihren 30-minütigen Abschlussfilm in der Stadtbibliothek.

Innenstadt - Der Ort kann nicht von dieser Welt sein. Ein riesiger Raum, quadratisch, scheinbar unendlich hoch, Treppen, unzählige Etagen. Alles ist weiß, klinisch rein und still. Menschen aller Altersstufen gehen umher wie Geister, Schatten ihrer selbst. Barfuß bewegen sie sich durch die Stockwerke, suchen den richtigen Weg in die nächste Welt. Auf einer der unteren Ebenen kommen die Neuen an. Große Gestalten in grauen und schwarzen Kutten nehmen die Menschen in Empfang und schleusen sie durch einen Körperscanner. Es sind die Wächter. Sie testen, wer hierher gehört und wer wieder gehen muss. Denn die Lebenden haben hier nichts zu suchen. Dieser Ort ist der Transit, der Durchgangsbereich vom Diesseits ins Jenseits.

 

Erst beim zweiten Hinsehen ist man sich sicher, dass es sich bei dieser Szenerie nicht wirklich um das Leben nach dem Tod handelt, sondern man nach wie vor mitten in Stuttgart steht, quicklebendig und real. Der gigantische Raum erstrahlt nicht von sich aus in vollkommenem überirdischem Weiß, hier wurde nachgeholfen. Über 2000 weiße Pappen, etwa 30 Zentimeter hoch und 70 Zentimeter breit, verdecken in allen Stockwerken das, was normalerweise das Prägende dieses Gebäudes ist: Bücherregale. Es ist keine postmortale Zwischenwelt, sondern die neue Stadtbibliothek im Europaviertel, der Bücherwürfel feiert sein Debüt als Filmset.

„Killing all the flies“ – frei übersetzt: „Tod all diesen Fliegen“ – heißt der Science-Fiction-Mystery-Thriller, für den am letzten und vorletzten Sonntag in der Stadtbibliothek am Mailänder Platz mit großem Aufwand Szenen gedreht wurden. Es ist ein Projekt der Filmakademie Baden-Württemberg, Studenten aus Ludwigsburg machen einen 30-minütigen Abschlussfilm, die Bücherei wurde als einer der zentralen Handlungsorte auserkoren.

Filmische Premiere der Stadtbiliothek

„Das war für uns die Premiere“, sagt Ingrid Bussmann, Direktorin des Hauses. „Wir hatten schon Kamerateams hier, die einige Aufnahmen gemacht haben, aber Dreharbeiten für einen richtigen Film haben wir noch nicht gehabt.“ Die Studenten der Filmakademie seien auf sie zugekommen und hätten von der einzigartigen Architektur der Bibliothek geschwärmt. „Sie haben mir gesagt, wie wichtig das für sie ist und wir wollten sie bei dem Projekt unterstützen“, so die 63-Jährige.

Eine Versicherungsgesellschaft versichert laut Drehbuch das Leben ihrer wohlhabenden Kunden. Wenn deren Zeit gekommen ist, tötet die Gesellschaft anstelle des Kunden einen anderen Menschen, der Kunde kann dafür weiterleben. Als dasselbe Schicksal der Freundin eines Polizei-Anwärters widerfährt, die für einen reichen Kunden der Gesellschaft umgebracht wird, setzt dieser alles daran, sie zurückzuholen. Hierzu muss er in den Transit eindringen, als Lebender das Reich der Toten betreten.

Für die Macher des Films war die Stadtbibliothek das absolute Wunschset für den entweltlichten Durchgangsbereich zwischen Leben und Tod. „Es hätte auch noch eine Halle in Mannheim gegeben, aber eigentlich war die keine wirkliche Alternative“, sagt Alena Jelinek.

Die Studentin der Filmakademie Baden-Württemberg dreht mit „Killing all the flies“ ihren Diplomfilm und ist als Produzentin eine der Hauptverantwortlichen des Projekts. „Die Stadtbibliothek war für unsere Zwecke einfach prädestiniert und zudem wollten wir auch zeigen, dass man sich nicht weit weg bewegen muss, sondern so etwas auch in Stuttgart realisieren kann“, so die 29-Jährige.

Filmaufnahmen unter besonderen Bedingungen

Gewisse Bedenken hätte es anfangs natürlich auf beiden Seiten gegeben, vor allem wegen der speziellen Brandschutzvorschriften im Gebäude. „Das war durchaus eine Herausforderung“, erzählt Jelinek. „Normalerweise benutzt man für so einen Dreh große Lichtaufbauten mit vielen Kilowatt Leistung. Hier war das nicht möglich, weil durch die Hitze die Sprinkleranlagen angegangen wären.“ Also habe man für die Beleuchtung Speziallampen benutzt, die nicht so heiß werden.

Mit den Ergebnissen der zwei Drehtage in der Stadtbibliothek ist die Produzentin sehr zufrieden. „Es hat alles super funktioniert und wir sind sehr dankbar, dass uns die Direktorin und die Stadt erlaubt haben, hier sogar ohne Mietkosten zu arbeiten“, sagt die 29-Jährige.

Auch bei der Stadtbibliothek ist man mit dem Ausgang des Pilotprojekts glücklich. „Das Filmteam hat alles ordentlich hinterlassen“, lobt die Direktorin Ingrid Bussmann. So stehe auch künftigen Filmprojekten nichts entgegen. „Wir sind offen und werden derartige Anfragen von Fall zu Fall prüfen“, versichert die 63-Jährige. Auch den ganz großen Projekten gegenüber ist man aufgeschlossen. „Ich denke nicht, dass hier mal ein James-Bond-Film gedreht wird“, lacht die Direktorin. „Aber wenn Hollywood wirklich käme, würde sicher niemand bei uns Nein sagen.“