Ein Zaun am Schlossplatz, das war das erste Mittel der Wahl. Doch die Jugendlichen auszusperren, ihnen den öffentlichen Raum zu verwehren, das war keine Lösung. Nun wiederholt man ein Erfolgsmodell und bespielt den Kleinen Schlossplatz.

Sie kommen wieder. Und sie wollen bleiben. Weil sie glauben, dass die Stadt Menschen aller Couleur, allen Alters und Geschlecht gehört. Und nicht nur jenen, die Geld haben. Die Jugendhausgesellschaft bespielt bis Juli wieder den Kleinen Schlossplatz. Mit kostenlosen Angeboten.

 

Mein Schlossplatz statt kein Schlossplatz

Offenheit statt Aussperren, das ist der Ansatz. Konzerte, Klettern, Tischtennis, Lesungen, Theater, Kicken, oder einfach rumhängen und quatschen. Nach der Premiere im Vorjahr heißt es wieder jede Woche von Donnerstag bis Samstag von 16 bis 22 Uhr: Mein Schlossplatz.

Es ist der Gegenentwurf zu kein Schlossplatz, den die Stadtpolitik in ihrer Hilflosigkeit verfügte. Niemand hat mehr die Absicht, einen Zaun zu errichten. Oder doch? Die Gitter an der Freitreppe waren der Offenbarungseid der Stadtpolitik. Ein Sinnbild dafür, wie schwer man sich in dieser Stadt tut, eine Antwort auf die Frage zu finden: Wem gehört die Stadt? Es gibt zu viele Bettler auf der Königstraße, dann montieren wir halt Bänke ab. Jugendliche machen Ärger auf dem Schlossplatz,dann bauen wir ein Gitter auf.

Ist hier ein „Ghetto“?

Nach der Randale im Juni 2020 standen die jungen Menschen auf dem Schlossplatz und der Freitreppe unter Generalverdacht. Argwöhnisch beäugt von Händlern, Gastronomen,Passanten, Politikern, Stadträten und Erwachsenen aller Couleur. Jeder hatte eine Meinung, für manche war der Schlossplatz „das neue Ghetto von Stuttgart“. Der CDU-Kreischef Thrasivoulos Malliaras positionierte sich als starker Mann und posaunte hinaus: „Gruppen von jungen Mädels und Jungs belagern die Treppe. Die Atmosphäre ist wirklich schaurig und lädt gewiss nicht zum Verweilen ein.“ Er plädierte für hartes Durchgreifen.

Nun, es kamen Zäune, Kameras, Polizei und Sicherheitsdienste. Aber 2022 auch die Jugendhausgesellschaft an der Spitze von 14 Trägern und 16 Einrichtungen. Sie bespielten den Kleinen Schlossplatz. Statt Law & Order, Angebote wie Klettern, Konzerte, Singen, Bewegen, mit Regeln und mit Vertrauen.

Wer kommt?

Stefan Kraft entdeckt mit seinem Kulturbüro Sorglos kulturelle Freiräume. Deshalb hatte ihn die Jugendhausgesellschaft ausersehen, in ihren Diensten das Projekt „Mein Schlossplatz“ umzusetzen und zum Leben zu erwecken. Dieses Jahr macht er dies wieder, mit vielen Partnern. Und mit mehr Geld. 100 000 Euro haben sie zur Verfügung, vom Bund gab es jüngst sogar noch was obendrauf. Alleine das zeigt, es war ein Erfolg.

Clemens Kullmann von der Jugendhausgesellschaft sagt: „Unser Angebot ist wahrgenommen worden.“ Doch wer trifft sich da eigentlich? Kullmann und Kraft haben kaum gemeinsame Nenner gefunden., „Partyszene“ war das Etikett das man drüber stülpte. Im Gespräch stellte sich heraus, es ist vielfältig, sowohl von der Altersstruktur als auch von der Herkunft: Flüchtlinge, Deutsche, hier Geborene, Zugezogene. Schüler, Lehrlinge, Arbeitslose. Und die Motivation ist die älteste der Welt. Kraft: „Die Jungs kommen her, um Mädchen kennenzulernen. Die Mädchen, um die Jungs kennenzulernen.“ So wie auf dem Weindorf, auf dem Fischmarkt und anderswo auch, „aber halt, ohne, dass man konsumieren muss“.

Was wünschen die Jugendlichen?

Mitten in der Stadt sein, bei den Leuten, aber ohne Geld ausgeben zu müssen. Das ist ein Antrieb. Deshalb gibt es heuer nicht nur eine Bühne und Sitzgelegenheiten, sondern auch eine Lounge, einen Zirkuswagen samt Zelt, in dem man sich aufhalten kann, chillen und plaudern kann. Auch mit Mitarbeitern der Jugendhausgesellschaft und dabei Sorgen und Nöte loswerden. Das war etwas, was sich die Jugendlichen gewünscht hatten.

Gleich nebenan macht demnächst ein Späti auf. Mit Alkoholversorgung teils bis Mitternacht, ein neuer Treff zum Vorglühen. Da wird Geld verdient mit dem Rausch, ganz offiziell genehmigt. Um die Auswüchse sollen sich dann wiederum Polizei, Sanitäter und Sozialarbeiter kümmern. Das sind so die Widersprüche, die man aushalten muss. Ein Wunsch der Jugendlichen waren übrigens kostenlose Getränke. Die gibt es dieses Jahr – Wasser satt für alle.