Die Eröffnungsfeier der großen Wilhelm-Ausstellung im Stadtpalais überrascht mit neuen Einblicken ins Leben des Monarchen.

Stuttgart - Wird es auf das Wilhelmspalais nach dem ersten Sturm 1918 demnächst einen „zweiten Sturm“ geben? Edith Neumann, die Kuratorin der Ausstellung „Wilhelm II. – König von Württemberg“, erhofft es sich jedenfalls. Wenn auch augenzwinkernd. Tatsächlich dürfte das Interesse an der Schau im ehemaligen Wohnsitz des letzten württembergischen Monarchen, die am Freitagabend vor rund 175 geladenen Gästen aus Kultur, Gesellschaft und Politik eröffnet wurde, in jedem Fall einen Hinweis darauf geben, welchen Stellenwert Wilhelm II. im kollektiven Gedächtnis der Stuttgarter Stadtgesellschaft heute noch hat. „Als Höhepunkt des Diskursjahres“ will Museumsdirektor Torben Giese die Doppelausstellung, die bis 27. März kommenden Jahres gleichzeitig im Stadtpalais und im benachbarten Hauptstaatsarchiv zu sehen ist, verstanden wissen. An ihrem Ende soll eine Entscheidung darüber stehen, wo die umstrittene Bronzeskulptur des Künstlers Hermann-Christian Zimmerle zukünftig verbleiben soll. Die Plastik war 1991 auf Betreiben einiger Stuttgarter Bürger vor dem Wilhelmspalais aufgestellt worden und inszeniert den Monarchen – manchem Kritiker deutlich zu einseitig – betont als „Bürgerkönig“.

 

Der Monarch ist anpassungsfähig

Für die Beantwortung der Frage „Wie viel Demokrat steckt in Wilhelm II. tatsächlich?“ und dafür, ob die in der Bronzeplastik unterstellte liberale Gesinnung des Monarchen ein halbwegs authentisches Bild der historischen Person transportiert, dürfte die Ausstellung mit Sicherheit zahlreiche Indizien liefern. Vor allem die in der Ausstellung im Hauptstaatsarchiv, kuratiert von Albrecht Ernst, zu sehenden und zu hörenden privaten Briefe sind aufschlussreich. Aus ihnen tritt immer wieder unmittelbar hervor, was der Historiker Jörn Leonhard, Professor für Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas an der Universität Freiburg, am Freitagabend in seiner bemerkenswerten Festrede die „Anpassungsfähigkeit“ Wilhelms an eine in die Krise geratene Monarchie nennt.

Kontakt zu bürgerlichen Sphären

Rangen alle europäischen Fürsten in den konstitutionellen Monarchien des 19. Jahrhunderts in der Folge der Französischen Revolution um die Frage ihrer verbliebenen „Nützlichkeit“, so stellte sich diese in einem Kleinstaat wie Württemberg umso dringlicher. So betont der Freiburger Historiker, dass die Rolle der Monarchen nicht zuletzt auch dadurch definiert war, ob ein Land in der Lage gewesen sei, wie Preußen oder Österreich einen Offensivkrieg zu führen. Für Württemberg galt das mit Sicherheit nicht. „In einer Welt aber, in der der Monarch immer weniger in politische Entscheidungsprozesse eingebunden war, musste er sich umso intensiver der symbolischen Repräsentation und der kulturellen Integration widmen, um nicht überflüssig zu werden“, konstatiert Leonhard. Im Falle Wilhelms beförderte zudem die erst relativ spät eingenommene Rolle eines Kronprinzen den Kontakt des jungen Hochadligen zur bürgerlichen Sphäre. Nicht zufällig war Wilhelm deshalb auch der erste württembergische Prinz, der ein Universitätsstudium begann. Nach Leonhards Ansicht hatte die Lebensgestaltung des Monarchen fortan einen „bürgerlichen Grundzug“. Und selbst in seiner Ehe berief sich Wilhelm II., so der Historiker, auf bürgerliche Ideale. „Er verkörperte damit die politische Reformkultur Württembergs“, resümiert der Wissenschaftler. Stuttgart sei in der Folge nicht zuletzt durch die Rolle Wilhelms II. als Förderer von Wirtschaft und Kultur zu einem „kulturellen Laboratorium der Moderne“ geworden.

Der Monarch geht zur Wahl

Glaubt man den von Ernst vor einigen Jahren entdeckten privaten Briefen, von denen einige erstmals im Hauptstaatsarchiv zu sehen sind, hat der 1918 abgedankte Monarch sogar seinen Frieden mit der Demokratie gemacht. Wie Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Freitag in seinem digitalen Grußwort unterstrich, unterschied sich Wilhelm II. allein dadurch von anderen abgedankten Fürsten des Deutschen Kaiserreichs, dass er im Januar 1919 seine Stimme bei den ersten Wahlen zur Nationalversammlung abgegeben hatte. Diese Haltung des letzten württembergischen Königs bei seinem Rückzug ins Private habe ihn, so Kretschmann, „wirklich erstaunt“. Nicht ausgeschlossen, dass die Ausstellung noch mehr Überraschungen zutage fördert.