Wie ticken die OB-Kandidaten abseits der politischen Bühne? Die Stuttgarter Zeitung und die Stiftung Geißstraße unternehmen mit den vier wichtigsten Bewerbern Spaziergänge durch die Stadt. Es darf persönlich werden: unterwegs mit Sebastian Turner.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Bringt Sebastian Turner bei einer Veranstaltung im OB-Wahlkampf seine erst kürzlich geborenen Zwillinge mit, um zu punkten? „Eine Mogelpackung“, klärte Turner die Anwesenden mit einem Grinsen über den Zwillingswagen auf, den er dabei hatte. Die „Neuanschaffung“ diene der „Verpflegung“ der Teilnehmer des Stadtspaziergangs, zu dem die Stuttgarter Zeitung und die Stiftung Geißstraße geladen hatten. Und so zog die Gruppe los, vorneweg das lindgrüne Gefährt mit den Brezeltüten und der Kandidat, der mit einem Brezel-Logo für sich wirbt, mit einem Lautsprecher unter dem Arm.

 

Als Route hatte sich Turner, der für CDU, FDP und Freie Wähler ins Rennen geht, seinen früheren Schulweg ausgesucht, der von der Straßenbahnhaltestelle am Österreichischen Platz über die Tübinger Straße zum Karls-Gymnasium führte. An der Tübinger Straße, die derzeit so umgebaut wird, dass sie von allen Verkehrsteilnehmern gleichberechtigt genutzt werden kann, machte Turner Station. Das Projekt und die Art seiner Umsetzung sei ein „interessantes Experiment“, das durchaus seinen Vorstellungen entspreche. „Ideen unter Beteiligung der Bürger entwickeln und ausprobieren, ob es funktioniert, das ist ein vernünftiger Ansatz.“

Allerdings ist für Sebastian Turner Bürgerbeteiligung nicht gleich Bürgerbeteiligung. Wichtig sei, dass die Menschen mit allen Aspekten einer Sache „ganzheitlich“ konfrontiert und auch alle beteiligt werden, die es angeht. „Heute ist Bürgerbeteiligung oft von gesellschaftlicher Einseitigkeit geprägt“, findet Turner. „Es müssen die Betroffenen kommen nicht die Interessierten.“

Stuttgart als Hauptstadt der Bildungsrepublik Deutschland

Unter der Paulinenbrücke hob der Kandidat zu einer allgemeinen Ausführung zum Thema Verkehr an. „Hier begegnen wir unserem eigenen Verhalten“, befand er unter den wuchtigen, schmutzig-grauen Betonpfeilern. Die autogerechte Stadt sei auch entstanden, „weil wir so gerne Auto fahren und alles gerne in einen Kofferraum laden.“ In dieser Frage könne man nicht immer nur die „Obrigkeit“ verantwortlich machen, niemand werde gehindert, statt des Autos die Stadtbahn zu benutzen. Die gesellschaftliche Aufgabe der Zukunft sei nun, „wie wir unser Verhalten ändern können und uns trotzdem frei fühlen.“

Am Zaun, der das Karls-Gymnasium umgibt, das Turner besucht hat, erläuterte er den Stellenwert, den die Bildung für die Entwicklung der Gesellschaft habe. Manchmal sei er überrascht, wenn in Umfragen vor allem ein besserer Nahverkehr und weniger Dreck in der Stadt gefordert werde, das Thema Bildung aber nicht die ihm zukommende Bedeutung erfahre. „Das ist doch die Grundlage unseres Wohlstands“, sagte Turner, weshalb er es auch zu seinem Schwerpunkt mache. Es sei eine Herausforderung, angesichts der demografischen Entwicklung („die Gesellschaft ist nicht überaltert, sie ist unterjüngt“) und der Zuwanderung („60 Prozent der Grundschüler haben einen Migrationshintergrund“) das Bildungsniveau zu halten oder gar zu verbessern. Das heutige Bildungssystem sei noch darauf ausgerichtet, „was die Eltern mitbringen“, angesichts der gravierenden Veränderungen drohe deshalb „ein Abriss in der Qualifikation“. Deshalb müsse man Kinder so fördern, „wie es ihr Talent, und nicht wie es die Familie zulässt“. Um dies zu schaffen, wolle er Stuttgart zur „Hauptstadt in der Bildungsrepublik Deutschland machen.“

Ein zünftiger Artikel für Mayer-Vorfelder

Nach diesem ambitionierten Auftritt überlies Turner seinem ehemaligen Lateinlehrer Elmar Hensen das Feld. Der 73-Jährige übernahm die Rolle des Laudators am Schulhofzaun. „Sebastian“ sei zwar ein intelligenter Schüler, aber keineswegs ein Streber gewesen, ließ Hensen die überwiegend älteren Zuhörer unter den Regenschirmen wissen, inzwischen hatte es zu regnen begonnen. In Latein habe er nicht den Ehrgeiz gehabt, einen Satz fehlerlos zu übersetzen, bei der Lektüre von Cäsar, Cicero und Sallust habe er sich eher dafür interessiert, „wie ein Gemeinwesen gut und gerecht geführt werden kann“. Die Frage nach den Noten umging der Lateinlehrer geflissentlich (Turner: „vier mit Tendenz nach unten“) und betonte lieber das große Engagement seines Schüler und die Achtung, die ihm entgegengebracht wurde.

In dieser Zeit war Sebastian Turner als Schülerzeitungsmacher aktiv. Zuerst hat er am Karls-Gymnasium die Zeitung „Der Punkt“ gegründet, später für alle Gymnasien der Stadt „Toujours“. Für letztere wollte er mit dem damaligen CDU-Kultusminister Mayer-Vorfelder ein Interview machen, der aber ließ ihn barsch abweisen, er werde nicht „den Yogi-Bär“ machen, worauf Turner seinerseits mit einem zünftigen Artikel reagierte. MV gehört innerparteilich heute bekanntlich nicht zu Turners Unterstützern. Der hat seine Meinung über den CDU-Granden („jeder vernünftige Schüler hatte damals seinen Strauß mit MV auszufechten“) aber geändert. Hätte Mayer-Vorfelder damals nicht erlassen, dass Schulfahrten nicht mehr etwa nach Rom zu machen seien, sondern nach Dresden, Weimar oder Leipzig, wäre er vermutlich nach dem Mauerfall nicht als Unternehmer nach Dresden gegangen. Turner: „Diesen Impuls habe ich ihm zu verdanken.“

Hier geht es zu den StZ-Veranstaltungen mit Hannes Rockenbauch und Fritz Kuhn (Grüne). Am 29. September lädt die Stuttgarter Zeitung gemeinsam mit der Stiftung Geißstraße die Kandidatin Bettina Wilhelm zum Gespräch.