Vier Monate nach dem Start gab es 4000 Kunden. Die Zahl soll nun mit direkter Ansprache der Bürger und Prämien erhöht werden. Stadtkämmerer Föll rechnet dagegen erst im dritten Geschäftsjahr mit einer schwarzen Null.
Stuttgart - In der Eberhardstraße 61 beim Tagblatt-Turm verspricht das Schaufenster des Kundencenters der Stuttgarter Stadtwerke (SWS) hundertprozentigen Ökostrom. Für manchen Kritiker hingegen ist die Fassade der jüngsten städtischen Tochter allerdings weitaus grüner und gefälliger als der Inhalt: Stadtrat Joachim Fahrion von den Freien Wählern hält die bis jetzt gewonnenen 4000 SWS-Kunden für „keine Energiewende, sondern für ein Mordsminus“. Um schwarze Zahlen zu erreichen, müssten „noch viele, die auf Unterschriftenlisten die Rekommunalisierung der Energieversorgung gefordert haben, Kunden der Stadtwerke werden“, ergänzte FDP-Stadtrat Bernd Klingler Mitte Mai bei einer Diskussionsrunde im Rathaus. Klingler hält die SWS für „einen Risikofaktor in einer durch die EnBW bestens versorgten Stadt“.
In der Tat waren die energiepolitischen Ziele des neuen städtischen Tochterunternehmens beim Start weitaus ehrgeiziger und höher gesteckt. Innerhalb von nur fünf Jahren wollten die SWS mit 350 000 Kunden zum Grundversorger in der Landeshauptstadt aufsteigen und den Platzhirsch EnBW von der Spitze verdrängen. Und mit 30 000 Verträgen für Ökostrom und Erdgas bis Ende des Jahres wurde die Messlatte gleich extrem hoch gelegt.
„Beim Kundenzulauf herrscht gerade Flaute“
Rückendeckung erhalten die Stadtwerke aus dem hohen Norden. „Wir hatten nach vier Monaten 3000 Kunden“, sagt Carsten Roth, Pressesprecher der stadteigenen Hamburg Energie. Inzwischen habe man 90 000 Hamburger unter Vertrag und im vergangenen Jahr erstmals eine schwarze Null geschrieben. „Die Kundschaft kommt nicht von selbst, man muss sie gezielt ansprechen“, so Roth. Mehr als die Hälfte der Bundesbürger hätten noch nie den Versorger gewechselt.
„Beim Kundenzulauf herrscht gerade Flaute“, räumt Michael Maxelon, technischer SWS-Geschäftsführer, unumwunden ein. Mit 2700 Strom- und 1300 Gaskunden liege man unter den Erwartungen. „Wir müssen stärker auf die Bürger zugehen“, lautet auch Maxelons Erkenntnis. Dennoch werde der Aufbau einer kommunalen Energieversorgung noch einige Zeit benötigen. Der Bau von neuen Windrädern dauere wegen komplexer Genehmigungsverfahren etwa drei Jahre.
„Ich empfehle mehr Geduld beim Aufbau unserer Stadtwerke“, erklärt der Erste Bürgermeister Michael Föll, der auch Vorsitzender des SWS-Aufsichtsrates ist. „Gut 4000 Kunden nach vier Monaten Vertrieb halte ich für einen ordentlichen Erfolg.“ Es bestehe jedoch die feste Absicht, mehr zu tun. Der SWS-Aufsichtsrat werde auf einer nächsten Sitzung beschließen, den Kapitalstock um 600 000 Euro zu erhöhen. Es müsse aber auch bedacht werden, dass das noch kleine SWS-Team in der Aufbauphase nicht nur um Kunden werbe, sondern sich zugleich um die Konzessionen und die Versorgungsnetze bemühen und eigene Solar- und Windkraftanlagen planen müsse.
Erst 14 Kommunalpolitiker sind zu den SWS gewechselt
Bei dem mit den Elektrizitätswerken Schönau (EWS) gegründeten SWS-Vertrieb ist nun mehr Bürgernähe gefragt. „Wir gehen in die Offensive und auf potenzielle Kunden zu“, erklärt der kaufmännische Geschäftsführer Martin Rau. Er will Handwerker gezielt auf die für „diese Zielgruppe besonders günstigen SWS-Tarife“ ansprechen, auf Wochenmärkten mit Infoständen Präsenz zeigen und neue Kundschaft auch telefonisch akquirieren. Außerdem soll eine „Ehrenamtskomponente“ Vereinsmitglieder zum Wechsel von der EnBW oder anderen Energiekonzernen zum Strom-und Gasanbieter SWS bewegen. „Wer bei uns Kunde wird, kann bestimmen, welcher Verein eine Spende von 25 Euro erhält“, so Rau. Demnächst sollen auch Jugendmannschaften mit Stadtwerke-Logo auf den Trikots auflaufen. Davon versprechen sich die städtischen Energiemanager erhebliche „Multiplikator- und Netzwerkeffekte“.
„Die Vision von 30 000 Kunden im ersten Jahr war Utopie“, sagt der Stromrebell Michael Sladek, der mit den EWS 40 Prozent der Anteile an der SWS-Vertriebsgesellschaft hält. „In Schönau hatten wir im ersten Jahr bundesweit nur 1500 Kunden.“ Leider seien von den 10 000 Stuttgarter EWS-Kunden erst knapp 1500 zu den Stadtwerken gekommen. Dennoch bedeuteten 4000 Strom- und Gasbezieher nach vier Monaten eine gute Basis. „Wir müssen jetzt aber nachladen“, betont Sladek. Für den bärtigen EWS-Stromrebellen hat das Engagement in Stuttgart eine langfristige Perspektive. Er rechnet ebenso wie Föll „erst im dritten SWS-Geschäftsjahr mit einer schwarzen Null“. Die EWS seien ein treuer und liquider Partner.
Man habe keine Probleme, den Kapitalstock gemäß dem eigenen Anteil an der Vertriebsgesellschaft um 400 000 Euro zu erhöhen. „Es gilt jetzt, die Stuttgarter Bürger stärker für die Energiewende zu begeistern“, betont Sladek. Man brauche Gesichter, die für die Stadtwerke stünden. „Dazu benötigt man allerdings auch einen Gemeinderat, der hinter seinen Stadtwerken steht.“ Bis jetzt seien allerdings erst 14 der insgesamt 60 Kommunalpolitiker zu den SWS gewechselt.