Wohnen in der City wird unerschwinglich. Dass gerade deswegen junge Familien immer noch in die Außenbezirke abwandern, berichten Experten im Hospitalhof.

Stuttgart -

 

Die soziale Mischung der Stadt verändert sich. Menschen mit kleinen Einkommen werden verdrängt. Aber: „Die urbane Qualität Stuttgarts wird gerade durch die soziale Mischung in den Quartieren dargestellt“, sagt Gerd Kuhn, Wohnsoziologe der Universität Stuttgart, in einer Präsentation im Hospitalhof. Als Ausreißer nennt er das Baur-Areal im Stadtteil Berg und den Rosenpark in Vaihingen. „Die Architektursprache signalisiert: Wir sind hier, und Ihr seid dort.“

Gebaut werde, so hat der Gesamtverband Wohnungswirtschaft im Vorjahr erhoben, zu 83 Prozent im mittleren und oberen Preissegment. „Nicht dort, wo es sich zuspitzt“, bemängelt Kuhn, „denn gerade Menschen mit geringen Einkommen bleibt heute angesichts steigender Mietpreise häufig nur die Stadtflucht.“

Kritische Veränderungen im Hospitalviertel

Pfarrer Eberhard Schwarz lenkt als Gastgeber das Interesse auf das Sanierungsgebiet Stuttgart 26 und damit mitten ins Hospitalviertel: „Wir erleben, wie durch jeden Um- und Neubau die Mieten steigen und die Mischung der Mieterinnen und Mieter verändert wird.“ Auch Heinz Gerstlauer von der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart bewertet die Veränderung im Hospitalviertel kritisch: „Schwarze Anzüge und Stöckelschuhe nehmen zu.“ Er erinnert daran, dass der Investor hier eine Kindertagesstätte verhindert habe.

Als Katalysatoren der längst problematischen Mietpreisentwicklung in einigen Innenstädten nennt Gerd Kuhn die Finanzkrise, die Bildungszuwanderung, den Schwund an Sozialwohnungen in den vergangenen zehn Jahren und die Veränderung von grundlegenden Strukturen in den Großstädten. Hier führe die Entwicklung stetig zu größeren Wohnungen, die gleichzeitig immer weniger Menschen als Zuhause dienen. Er fordert eine Konzentration auf kleine und bezahlbare Neubauten. „Wir brauchen mehr genossenschaftliche, nicht spekulative Bauträger, beispielsweise Miethaussyndikate und Baugemeinschaften. Der Schutz der Mieter muss durch Belegungs- und Mietpreisbindung verbessert werden“, sagt er. Zudem müssten Instrumente zur Bestandsaktivierung, wie der Wohnungstausch gefördert werden.

Die soziale Mischung soll stimmen

Martin Holch vom Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung bewertet die für das Nordbahnhof-Viertel gefundene Milieuschutzsatzung als gelungen, zeigt aber gleichzeitig auf, dass ein solches Vorgehen nur möglich ist, wenn der zu erwartende Verdrängungseffekt nachgewiesen hoch ist. Die Ziele einer Stadtteilsanierung formuliert er so: „In der City soll die gewachsene soziale Mischung erhalten werden, während in den Außenstadtbezirken versucht werden muss, eine Durchmischung erst noch zu erreichen.“

Rainer Ganske, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Wohnungs- und Gewerbebau Baden-Württemberg, verweist auf stark gestiegene Baukosten und kritisiert die traditionelle Verkaufspraxis der Kommunen. „Stadteigene Grundstücke werden gegen Höchstgebot verkauft“, sagt er. Er befürwortet Konzeptvergaben, wie sie die Landeshauptstadt aktuell vorsieht. „Grundstücke in der Stadt“, so Holch, „sind heute im Fokus des Interesses.“ In Stuttgart werden zudem im Rahmen des Modells SIM bei neuem Baurecht 20 Prozent geförderter Wohnungsbau vorgeschrieben. „Nach drei Jahren hat sich das Klagen der Wohnungswirtschaft gelegt“, sagt er.