Vor 150 Jahren wurde Adolf Loos im heute tschechischen Brünn geboren. Der Wegbereiter der modernen Architektur kämpfte gegen das Ornament und alles Überflüssige.

Prag - Die Villa Winternitz ist der letzte große Wurf des Architekten Adolf Loos. Der weiße Kubus, der an der Südseite stufenförmig angeschnitten ist, sticht noch heute aus seinem Umfeld im Prager Villenvorort Malvazinky heraus. Das Haus wirkt modern, obwohl es mehr als acht Jahrzehnte alt ist. Loos, einer der Wegbereiter der Moderne in der Architektur, wurde am 10. Dezember vor 150 Jahren geboren.

 

An der Pforte zum Garten wartet der Fotograf und Kameramann David Cysar, der Urenkel des Villa-Erbauers Josef Winternitz. Über einen schmalen Pfad führt er den Besucher an die Seite des Hauses zu einem winzigen Haupteingang. „Der Effekt ist dann umso größer“, verrät der Gastgeber. Und tatsächlich: Durch eine kleine Garderobe hindurch und eine schmale Treppe hinauf kommt man unvermittelt in einen weiten und hohen Saal mit lichtdurchfluteten Fenstern.

Jeder Raum mit anderer Höhe

Mehr als 5000 Freunde der Architektur besuchen in Nicht-Corona-Zeiten jährlich die Villa. Loos hat dort mit seinem Partner Karel Lhota auf vorbildliche Weise seinen „Raumplan“ umgesetzt. Der Baupionier hob die Geschossgrenzen auf. „Jeder Raum hat eine andere Höhe“, erklärt Cysar. Vom vier Meter hohen Repräsentationssaal geht es über mehrere Stufen auf eine gemütliche Empore. Eine Tür führt in eine kleine Bibliothek, in der die Decke noch einmal niedriger ist. „Das ist der ruhigste und persönlichste Raum im Haus“, sagt Cysar, der hier früher selbst sein Arbeitszimmer hatte.

Cysars Urgroßvater konnte sich nur wenige Jahre an seinem einzigartigen Heim erfreuen, das ihn fünfmal mehr als eine gewöhnliche Villa gekostet hatte. Der Rechtsanwalt jüdischer Herkunft wurde 1944 zusammen mit seinem Sohn Petr im deutschen Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Seine Frau Jenny und Tochter Zuzana überlebten den Holocaust. Doch die Familie erhielt die Villa erst lange nach ihrem Tod im Jahr 1997 zurück.

Ausstellung in Brünn

Im Sozialismus wurde das Haus jahrzehntelang als Kindergarten genutzt, jetzt ist es Museum und Veranstaltungsort. Cysar will an seine Familie erinnern: „Ihre Namen bleiben unvergessen, man spricht über sie. Den Menschen kann ihr Schicksal eine Lehre sein.“ Zugleich soll die Villa zum Leben erweckt werden, mit Konzerten, Malkursen und Architektur-Vorträgen - aktuell nur unterbrochen durch die Corona-Pandemie.

Die Krise überschattet auch das Adolf-Loos-Jahr 2020, das zahlreiche tschechische Museen ausgerufen hatten. Viele Kultureinrichtungen sind geschlossen oder nur mit Einschränkungen geöffnet. In Brünn (Brno) ist noch bis Mitte Februar die Ausstellung „Der Europäer Adolf Loos“ zu sehen, welche auch die Spuren des Architekten in seiner Geburtsstadt nachzeichnete. Loos war dort am 10. Dezember 1870 als Sohn eines Steinmetzen zur Welt gekommen. Sein einziges erhaltenes Werk in der mährischen Stadt ist der Marmorsaal im Bauer’schen Schloss auf dem Messegelände.

Das Ornament überwinden

In seiner Jugend besuchte der umtriebige Loos verschiedene Schulen. Von 1889 bis 1893 studierte er an der Technischen Universität in Dresden, ohne jedoch einen Abschluss zu erlangen. Einschneidend für ihn wurde eine Reise durch die Vereinigten Staaten, die er mit Gelegenheitsjobs finanzierte. Besonders beeindruckten Loos die Hochhäuser der Chicagoer Schule.

Aufsehen erregte Loos mit dem Vortrag „Ornament und Verbrechen“, der 1913 veröffentlicht wurde und große Wellen schlug. Zu den aufmerksamen Lesern des Aufsatzes gehörte kein anderer als der schweizerisch-französische Stararchitekt Le Corbusier. Provokativ stellte sich Loos darin gegen den Zeitgeist des Jugendstils mit seinen dekorativen Verzierungen: „Wir haben das Ornament überwunden, wir haben uns zur Ornamentlosigkeit durchgerungen.“

Sanfter Modernismus

In seinen eigenen Werken war der Architekt keineswegs so radikal wie in seinen Schriften. Manche Kunstwissenschaftler sprechen eher von einem „sanften Modernismus“. Am 23. August 1933 starb Loos an einem Nervenleiden. Sein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof gestaltete er noch zu Lebzeiten selbst, als einen einfachen Würfel aus grauem Granit. Der Maler Oskar Kokoschka resümierte Loos’ Leben: „Er befreite die Menschheit von überflüssiger Arbeit.“

In seinen letzten Lebensjahren machte Loos indes nicht nur als Architekturgenie, sondern auch als Angeklagter Schlagzeilen. 1928 wurde er in Wien wegen „Verführung zur Unzucht“ zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe verurteilt, weil er Mädchen unter dem Vorwand des Aktzeichnens in sein Atelier gelockt hatte. Die Gerichtsakte galt lange als verschollen, wurde aber im Februar 2015 wiederentdeckt. Viele sahen darin den Beginn einer längst überfälligen Debatte - die bis heute nicht abgeschlossen ist.