Filder/Esslingen - Es ist ein erschreckender Rekord: Insgesamt 310 Einsätze hat die Feuerwehr Filderstadt zwischen dem 28. und 30. Juni im Zusammenhang mit dem heftigen Wolkenbruch gezählt. So viele wie noch nie in vergleichbarer Zeit, seit Jochen Thorns sich erinnern kann. Er ist der Kommandant der Filderstädter Wehr, und am 28. Juni, als sich die Gewitterzelle über der Stadt entlud, saß er in Filderstadt-Bonlanden im sogenannten Führungshaus und hat entschieden, welche Einsätze Vorrang haben.
Dass seine Leute nicht hinterhergekommen sind, „das liegt in der Natur der Sache“, sagt Thorns. Daher sei es mitunter zu längeren Wartezeiten gekommen, denn die Telefone der Feuerwehr standen nicht still. „Das tut mir persönlich immer sehr leid“, sagt der Kommandant. Aber die Einsatzzahlen sprechen ja für sich.
Filderstadt hat es seit 2018 jedes Jahr getroffen
Auch in Jahren 2018, 2019 und 2020 ist Filderstadt jeweils im Frühsommer von einem Starkregen erwischt worden. In den Vorjahren ebenfalls mit teils verheerenden Konsequenzen für Keller und Einliegerwohnungen. Doch bei keinem dieser Ereignisse sei die Einsatzzahl an die 100 herangekommen, sagt Thorns. Was damals als turbulent galt, ist nach dem 28. Juni eine eher ruhige Lage. Betroffen gewesen seien diesmal auffällig viele Tiefgaragen, sagt er. Ein Kamerad habe privat Regenmengen gemessen. Bei 65 Litern auf den Quadratmeter sei das Gerät ausgestiegen.
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In der nächsten Woche wollen sich die Feuerwehrleute zusammensetzen und über den ungewöhnlichen Einsatz sprechen. „Das ist Standard bei besonderen Lagen“, sagt Thorns. Norbert Branz, der Leiter des Tiefbauamts, war bei der jüngsten Sitzung des Technischen Ausschusses des Gemeinderats und hat von den Tagen Ende Juni berichtet. Auch hier geht es um die Aufarbeitung.
Eine Katastrophe für die Stadt
„Das ist quasi eine Katastrophe, die eine Stadt trifft“, sagt Branz. Klar sei: Der Eigenschutz sei das Allerwichtigste. „Jeder muss sich selbst vor Hochwasser schützen“, sagt er. Die Stadt wiederum habe inzwischen ein kommunales Starkregenrisiko-Management, auf der Homepage der Stadt gebe es Karten, die zeigten, wo man besonders gefährdet wohnt. Der 28. Juni habe die Karten „weitgehend bestätigt“, sagt Branz. Bis 2024/25 wolle die Stadt die großen baulichen Maßnahmen – wie Schutzmauern – bauen, kleinere Verbesserungen an Rinnen oder Bordsteinen liefen nebenher.
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Eine gewaltige, lokale Gewitterwolke hat sich an jenem 28. Juni auch über dem nur wenige Kilometer entfernten Stetten – Ortsteil der benachbarten Stadt Leinfelden-Echterdingen – entladen. 70 Liter auf einen Quadratmeter sind dort laut Peter Friedrich innerhalb von zwei Stunden heruntergeprasselt. „So viel Niederschlag wurde in den vergangenen 60 Jahren dort nicht gemessen“, sagt der Leiter der örtlichen Stadtwerke. An diesem Tag ist eine gefährliche Situation im Stettener Klärwerk gerade noch gut ausgegangen, auch durch den beherzten Einsatz von Mitarbeitern, von denen viele eigentlich frei hatten, aber dennoch zum Helfen kamen. „Hier kann man nur das höchste Lob aussprechen“, sagt Friedrich. Sie haben alle Pumpen, die es gibt, angeschmissen, die Kanaldeckel geöffnet, die Schmutzfänge herausgezogen, sodass der viele Regen etwas besser abfließen konnte.
Gefährliche Situation im Klärwerk
„Diese Menge an Niederschlag ist für unser Kanalsystem zu viel“, erklärte Friedrich im Stadtwerkeausschuss. Das Wasser sei die Sielminger Straße heruntergelaufen, habe die Zentrale des Klärwerkes geflutet, ist in einen Pumpenraum eingedrungen, eine Treppe hinabgelaufen und hat sich dann im Keller eines Gebäudes aufgestaut. „Es hat nicht viel gefehlt, dann wäre das Wasser in die Hauptstromversorgung gelaufen“, informierte er. „In diesem Fall hätten wir ein Problem gehabt, das Klärwerk weiter zu steuern“, sagt er in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Nach einer gewissen Zeit wäre das schmutzige Wasser dann ungeklärt aus den Klärwerkbecken in den Fleinsbach und damit nach Filderstadt gelaufen. „Die Bakterien, die das Wasser reinigen, brauchen Sauerstoff – sie müssen belüftet werden“, erklärt er.
Dieses Risiko ist dem Stadtwerketeam zu hoch, es soll für die Zukunft verkleinert werden. Um die Hauptstromversorgung des Werkes zu sichern, werden nun zügig Drucktüren und Dammbalken eingebaut. Auf längere Sicht ist geplant, die Oberflächen am Klärwerk so umzugestalten, dass beim nächsten Extremregen – wenn die Kanalisation wieder voll gelaufen ist – der viele Niederschlag neben den Becken Platz findet, um in den Bach zu laufen.