Ein Stuttgarter Start Up versucht mit upgecycelten Chips auf dem Markt Fuß zu fassen. Zwar sind die jungen Leute mit einer Crowdfunding-Aktion auf die Nase gefallen. Aber eine große Supermarktkette sieht in dem Produkt großes Potenzial.

Stuttgart - Milde Paprika ist die Lieblingssorte von Pascal Moll. Begeistert reißt er eine Tüte auf und bietet Sandra Ebert und Lisa Berger einen Chip an. Nicht etwa einen aus dem Supermarkt, den ein Konzern hergestellt hat. Nein, einen, den die drei selber kreiert haben. Die Inhaltsstoffe: Unter anderen „Überbleibsel“, meint Lisa Berger lachend, die waschechte Schwäbin des Doktorandentrios der Lebensmitteltechnologie an der Universität Hohenheim.

 

Beim Pressen von Sonnenblumenöl sowie Steirischem Kürbiskernöl käme je ein Drittel Öl aus den Kernen, 2/3 seien Trester, also die vorwiegend festen Bestandteile der Kerne. Beim Herstellen von Apfelsaft sähe es ähnlich aus. Übrig bleibt Trester oder auch Presskuchen genannt. Genau diese Inhaltsstoffe finden sich zu 30 Prozent in ihren Crackern wieder. Diese machen die Cracker ballast- und proteinreich. Es sind sogenannte Nebenströme. „Sie haben tolle Nährstoffe und Nährwerte und werden meist entsorgt oder nicht beachtet“, erklärt Ebert. Upcycling sei in Amerika ein riesiges Ding, aber hier in Deutschland noch nicht angekommen, fügt sie hinzu.

Ob der Name ZERO Bullshit ankommt?

Das wollen die drei ändern. Nachdem Ebert 2019 einen internationalen EIT-Food-Wettbewerb für Studenten und Studentinnen gewonnen hatte, mit einem Quark, der mit Flakes aus Apfeltrester und Kürbiskern garniert war, fand sich das Trio zusammen.

Eberts Mitstreiterinnen verließen danach die Uni und suchten sich einen Job, doch Moll und Berger, die in einer Konkurrenzgruppe am Wettbewerb teilgenommen hatten, wollten ihr Know-how weiterverwenden und nach vorne bringen. 2020 gründeten sie das Start-up ZER0 Bullshit kurz ZBS Food UG. Das Preisgeld investierten sie in die Firmen- und Produktentwicklung. Gerührt und gebacken haben sie zunächst in der „Bäckerei“ des Fachgebiets Getreidetechnologie an der Universität Hohenheim, später dann im Schwarzwald.

Retter Cracker machte den Anfang

Heraus kam zunächst der „Retter Cracker“, ein Prototyp mit Zwiebel-Kräuter-Geschmack. Diesen ließen sie in einer Firma in Eberts fränkischer Heimat herstellen. „Vergangenes Jahr am 23. Dezember haben wir die Produktion dort abgeholt und im Onlineshop vertrieben“, erinnert sie sich. Seitdem hätten sie den Herstellungsprozess verbessert und nach einem Testlisting bei Rewe im September ihren „Better Cracker“ auf den Markt gebracht. Er sei fluffiger als der erste, der eher die Konsistenz eines Knäckebrotes gehabt habe. Und sie hätten gleich zwei Geschmacksrichtungen milde Paprika und pikanter Pfeffer kreiert. „Im Einzelhandel sind sehr gerne mehrere Sorten gesehen“, begründet dies Berger. Sie mag beide gerne, Ebert votiert dagegen klar für den pikanten Pfeffer.

Während die Cracker bei Familie und Freunden gut ankämen und sie fast gescholten würden, wenn sie nicht immer welche mitbrächten, konnten sie mit ihrer Crowdfundingaktion nicht so punkten. Sie ging am 17. Dezember zu Ende. Doch das gesteckte Ziel von 5000 Euro, die sie für die kommende Produktion bräuchten, wurde nicht erreicht. Ebert sieht dafür hauptsächlich zwei Gründe: In der momentanen Situation würden die Leute nicht zusätzlich jemanden finanziell unterstützen und ihr Name habe sich als Hürde beim Werben herausgestellt.

Mit Zero Bullshit seien sie bei Google und auf Social-Media-Kanälen wegen des Namens auf Widerstände gestoßen. Ändern wollen sie ihn trotzdem nicht. „Er spiegelt perfekt wider, was wir machen“, sagt Berger. Sie seien eine transparente, ehrliche Marke. Ihr Produkt sei biozertifiziert, salzreduziert und habe mit dem Nutri-Score A den besten Wert bei der freiwilligen Kennzeichnung auf der Nährwertampel.

Snack für die Handtasche

162 Kalorien führt der Konsument zu sich, wenn er die 40 Gramm-Packung isst. Das seien geringfügig weniger, als bei anderen Crackern, aber das Nährwertprofil sei ausgewogen. „Nach einer Tüte ist man satt. Man hat keinen Heißhunger mehr“, betont Berger. Deshalb und wegen der kleinen Größe eigene er sich gut für das Einstecken in die Handtasche. Er werde hauptsächlich von Müttern zwischen 35 und 50 gekauft, die nachhaltig eingestellt seien und gesunde Lebensmittel wollten, aber auch von jungen Leuten, die darauf Wert legten. Nur sei hier der Preis von 1,69 Euro pro Packung ein Hindernis. Sie hofften, irgendwann günstiger sein zu können und weitere Vertriebskanäle zu erschließen. Ab 2022 seien sie neben den bisherigen zehn Verkaufsstellen im Großraum Stuttgart auch in mehr als 35 REWE Märkten in Süddeutschland gelistet. Zusätzlich wollen sie Unternehmen ansprechen, die ihren Mitarbeitern gesunde Snacks anbieten.

Nun steht auch noch die Promotion an

Außerdem möchten sie im kommenden Jahr ihr zweites Standbein ausbauen: Kleine und mittelständische Unternehmen, Inkubatoren und Start-ups bei der Entwicklung nachhaltiger Produkte beraten. Ihr erster Kunde aus dem milchverarbeiten Bereich habe seines schon auf dem Markt, sagt Ebert stolz. Sie, Berger und Moll sind optimistisch, dass sie 2022 damit so richtig durchstarten können. Bis dahin wollen alle drei ihre Promotion fertig haben.

Vorher gab es zu Weihnachten erst einmal Cracker – und auch an Silvester dürfen sie nicht fehlen. „Ich habe beide Packungen an meine Weihnachtspakete gehängt“, sagt Moll. Besonders Opa Bernhard freute sich darüber sehr. Als ehemaliger selbstständiger Metzger findet er es klasse, dass sein Enkel über den Tellerrand hinausschaut und merkt, wie es in der freien Wirtschaft zugeht. Noch etwas hat er mit dem Enkel gemeinsam: Beide lieben milde Paprika.