Investieren auf Amerikanisch? In Stuttgart gibt es einen Exoten unter den Risikokapitalgebern in Baden-Württemberg. Alec Rauschenbusch zieht mit Grazia Equity weltweit Start-ups hoch.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - In einer gläsernen Vitrine im neunten Stock des Bürogebäudes am Bosch-Areal in Stuttgart ist ein passendes Symbol für Alec Rauschenbuschs Aktivitäten zu sehen: Eine goldenen Nase steht als Mini-Kunstwerk für die Witterung, die man bei Grazia Equity haben muss, um die Goldmine für ein Investment zu finden. Der 52-Jährige ist das Gegenbild zu einem Bankier mit Einstecktuch am Jackett. Die Firma Grazia Equity, die sich als „eine der führenden deutschen Adressen“ für Risikokapital bezeichnet, ist in Baden-Württemberg einmalig. Das Unternehmen, das Rauschenbusch zusammen mit seinen Partnern Jochen Klüppel und Torsten Kreindl betreibt, ist auf Einstiege und die Beratung von Start-ups in der Frühphase spezialisiert. In Deutschland gibt es nur eine Handvoll weiterer spezialisierter Firmen, die sich auf diese potenziell hochrentablen, aber hochriskanten Investments einlassen. Sie beginnen bei einigen Hunderttausend Euro, aber können auch im einstelligen Millionenbereich liegen.

 

„Groß denken“, sagt Rauschenbusch über das, was seine Mentalität von der regionalen Investoren-Kultur unterscheidet. Zwei Jahre hat er an der Harvard Business School in Boston studiert, hat viele Kontakte geknüpft, auch zu großen US-Investoren. Er habe von dort neben einem offenen Kommunikationsstil eine Macher-Mentalität mitgenommen. Drei bis fünf Start-ups klopfen täglich in Stuttgart an, um für einen Einstieg von Grazia Equity zu werben. Entscheidend bei der Auswahl seien neben den Gründerpersönlichkeiten, „dass die Innovation groß ist und eine ganze Branche verändern kann“.

Die erste erfolgreiche Wette war auf die Solarenergie

Seine Sporen als Investor verdiente Rauschenbusch, der zunächst für etablierte Firmen in Baden-Württemberg arbeitete, Ende der neunziger Jahre. Damals stieg er noch vor dem großen Boom der erneuerbaren Energien in die Solarstromfirma Conergy ein. Der Börsengang 2005, bei dem der Frühinvestor Grazia Equity gut Kasse machte, galt als der bis dahin erfolgreichste der Solarbranche. Rauschenbusch bewies bei seinem ersten großen Investment gutes Gespür. „Damals hat vielen anderen schlicht die Vorstellungskraft gefehlt, wie sich der Markt für Solarenergie entwickeln würde“, sagt er.

Zur Geschichte von Conergy gehört allerdings auch, dass das Unternehmen acht Jahre nach dem Börsengang mit einigen Teilgesellschaften Insolvenz anmelden musste und von einer US-Kapitalgesellschaft aufgekauft wurde. Die Firma ist aber weiterhin im Geschäft. „Das Unternehmen ist zu schnell weitergewachsen und hat sich zu viel zugetraut, und das in einem sich verschlechternden Umfeld“, sagt Rauschenbusch heute. Aber Conergy habe die Fotovoltaik in Deutschland etabliert: „Deswegen, und weniger weil ich damit viel Geld verdient habe, ist für mich Conergy bis heute mein persönlich wichtigstes Engagement gewesen.“

Gut läuft zurzeit das Portal Statista, bei dem Grazia Equity der Investor war – und das mit der einfachen Idee, mit wenigen Klicks den Zugang zu vielen Tausenden oft verstreut publizierten Statistiken zu eröffnen, aus Deutschland heraus global expandiert. „Ich sage ihnen voraus, dass es in wenigen Jahren weltweit kaum noch einen Journalisten geben wird, der nicht auf Statista angemeldet ist“, sagt Rauschenbusch. Im Februar ist Grazia Equity ausgestiegen – und hat dabei das Zwanzigfache seiner ursprünglichen Investition verdient.

Eine weitere wichtige Beteiligung in Deutschland ist die 2007 in Berlin gegründete Firma Mister Spex, nach eigenen Angaben Europas führender Online-Optiker, bei der inzwischen 440 Menschen arbeiten. Gelegentlich schafft es ein baden-württembergisches Start-up ins Portfolio wie die im Bereich der Krebs-Immunisierung tätige Tübinger Firma Immatics. Drei der aktuellen Firmen im Portfolio machen mehr als 100 Millionen Euro Jahresumsatz.

Dass Grazia Equity im Jahr 2000 in Stuttgart startete und – neben einer Außenstelle in München – dort bis heute beheimatet ist, hat deshalb nicht mit regionalen Start-ups, sondern sozusagen mit weichen Standortfaktoren zu tun. „Ich stamme aus Stuttgart, hier ist meine Familie – und auch meine engsten Freunde sind hier“, sagt Rauschenbusch. Er ist viel unterwegs, insbesondere in den USA. Die amerikanische Denkweise ist seiner Meinung nach wie kaum eine andere auf die digitale Revolution zugeschnitten: „Es ist die Offenheit: Als junge Firma mit guten Ideen landen sie in Deutschland häufig vor verschlossenen Türen. In den USA stehen die viel leichter offen.“ Es sei nicht nur mehr Kapital zu mobilisieren etwa mithilfe von Pensionsfonds, die dort auch in riskantere Investments einsteigen dürfen, sondern es gebe eine größere Bereitschaft, sich auf neue, unerprobte Ideen einzulassen.

Rauschenbusch macht sich Sorgen um die Zukunft der Region

Die Bekenntnisse zu neuen Ideen und zu Start-ups, die inzwischen auch für etablierte Firmen zum Ritual geworden sind, gehen seiner Ansicht nach nicht weit genug. Wenn davon die Rede sei, Start-ups und deren Technologien zu integrieren, sei das wieder der regionaltypische, inkrementelle Ansatz. Doch der verhindere die ganz großen Ideen, die Bestehendes konsequent infrage stellten: „Wir bei Grazia Equity investieren in erster Linie in Menschen, nicht in Technologien.“

Unternehmerpersönlichkeiten, wie sie einst das Land groß gemacht hätten, würden zu schnell domestiziert. Wenn etablierte Firmen ihre reibungslose Kooperation mit Start-ups lobten, dann sei das der beste Beweis dafür: „Eine wirklich große Gründerpersönlichkeit hat daran kein Interesse.“

Dass neue Ansätze in der Region ihre Zeit brauchen, erlebte Rauschenbusch bei seinem 2003 angestoßenen Investorennetzwerk Business Angels Region Stuttgart (BARS), dem er bis 2010 vorstand. Business Angels sind Investoren, die sich ausdrücklich auch als Geburtshelfer für Start-ups verstehen und sich auch persönlich darin engagieren. Doch man sei auf einem sehr guten Weg: Aus anfangs fünf „Angels“ sind inzwischen 40 geworden. „Das Problem in Stuttgart ist aber immer noch, dass hier viel mehr passiert, als man allgemein weiß“, so Rauschenbusch. Die notwendige Offenheit kollidiere mit der schwäbischen Mentalität: „Es fehlt an der Kommunikationskultur. Man redet oft nicht miteinander.“