Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)


Warum haben Sie erst jetzt gestanden?
Ich war damals noch nicht so weit. Ich empfand alles als ungerecht, dass sich die Welt gegen mich verschworen hat, dass ich ein Bauernopfer bin. Ich habe Ausreden gesucht, der hat doch auch gedopt und so weiter. Mein Mentalcoach Holger Fischer hat mich immer wieder daran erinnert: „Hättest du nichts genommen, wäre nichts passiert. Es war deine Entscheidung.“ Ich wollte auch nicht etwas Dahingeheucheltes erzählen. Heute stehe ich voll hinter dem, was ich sage. Und nach all dem, was in den vergangenen Monaten passiert ist, ist die Zeit auch reif für meine Geschichte.

Und die ist?
Ich habe Doping als Teil des Sports gesehen. Es war klar: wenn ich vorne mitfahren will, muss ich was machen. Das gehörte dazu wie das Rad. Ich wollte gewinnen. Und später als Kapitän habe ich auch Verantwortung für das Team gehabt. An den Ergebnissen der Spitzenfahrer hängen 60 Arbeitsplätze. Wenn ich zu feige bin und das Risiko Doping nicht eingehe, ist das schlecht für mich, aber auch fürs Team. Wenn alle aus Angst sauber fahren, kann die Mannschaft einpacken. So dachte ich.

Eine, nun ja, ungewöhnliche Sicht.
Heute schon. Damals sah ich das anders. Es ist schwer und vielleicht nicht zu verstehen, aber zwischen der Außensicht und der Innensicht liegen Lichtjahre. Es ist vielleicht nicht die Geschichte, die die Leute hören wollen. Aber ich mache nicht einen auf vom Saulus zum Paulus nach dem Motto: ich hasse mich, ich bin ein schlechter Mensch und weine in der Öffentlichkeit. Es war wie es war, und ich übernehme die Verantwortung dafür: Ich habe gedopt, weil ich gewinnen wollte, aber ich hasse mich nicht dafür. Aus damaliger Sicht erschien es mir richtig und logisch.

Sie hätten sagen können: ich höre auf.
Die Wahl hatte ich, ja. Aber ich wollte meinen Traum leben. Ich hatte nach dem Abitur alles auf die Karte Radsport gesetzt. Ich war bereit, für Erfolg vieles zu opfern. Ich wollte immer alles oder nichts. Das Risiko ist der Preis für den Erfolg, für die Anerkennung und natürlich auch für einen großen Vertrag. Als Helfer verdienst du vielleicht 30 000 Euro jährlich, als Superstar unter Umständen Millionen. Das Gehaltsgefüge im Radsport ist absolut krank.