Gegen Merkel fuhr Steinmeier 2009 ein miserables Ergebnis ein, rettete sich auf den Fraktionsvorsitz und überdauerte dort die Zeit in der Opposition, um vier Jahre später ein zweites Mal jene Paraderolle zu übernehmen, in der er mit seiner abwägenden Detailversessenheit aufgehen konnte wie in keiner anderen: die des Außenministers. Abermals gelang ihm dort der Aufstieg zum beliebtesten Politiker, was in diesem Amt allerdings eher die Regel als die Ausnahme ist. Seine zurückhaltende, überlegte, mitunter etwas dröge Art und sein vergleichsweise gering ausgeprägter politischer Killerinstinkt mögen ihn mitunter ausgebremst haben, aber viele Menschen haben diese Art zu schätzen gelernt. Er gilt als einer der wenigen Spitzenpolitiker, denen man nachsagt, einigermaßen authentisch geblieben zu sein. Dass er 2010 seiner schwerkranken Frau eine Niere spendete, ohne davon viel Aufhebens zu machen, hat ihm auch bei seinen schärfsten Kritikern Respekt abgenötigt. Er begegnet anderen auf Augenhöhe, blickt nicht herab. Für viele Spitzenpolitiker sind Menschen, die sie eigentlich gut kennen, in der Öffentlichkeit nichts als Luft, wenn diese hierarchisch unter ihnen stehen. Steinmeier geht auf sie zu und gibt ihnen die Hand.

 

Ganz viel Glück war im Spiel

Als SPD-Chef Sigmar Gabriel Steinmeier Anfang Oktober von seinen Vertrauten als Kandidat für Schloss Bellevue auf die Lichtung schieben ließ, hat der 60-Jährige sich bedeckt gehalten, was freilich als stille Einverständniserklärung gewertet werden musste. Das war verwunderlich, denn zunächst war das nicht viel mehr als eine taktische Finte. Der Außenminister war anfangs für Gabriel noch eine Figur auf dem Schachbrett der Möglichkeiten, die notfalls zu opfern war. Gabriel wollte Merkel reizen, den Preis für einen gemeinsamen Kandidaten hoch treiben, das ja. Aber eine Kampfkandidatur gegen einen starken Merkel-Kandidaten schien angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung zunächst auch aus Sicht der SPD aussichtslos zu sein. Als Konsenskandidat der großen Koalition kam der Sozialdemokrat für die Union anfangs auch nicht in Frage. Keiner in der SPD, der noch ganz bei Trost ist, würde in Abrede stellen, dass deshalb ganz viel Glück im Spiel war. Das sieht auch Gabriel so, der am 23. Oktober erstmals selbst öffentlich vorpreschte und sich für Steinmeier aussprach. Angeblich brach Gabriel damit eine Abmachung mit der Union, einen gemeinsamen Kandidaten zu suchen. Die SPD hat dies stets dementiert, aber selbst wenn es so wäre, hätte es ihn wohl nicht geschert. Zu verlockend erschien ihm die Chance, die sich auftat: Weil Merkel so lange keine adäquate eigene Besetzung vorschlagen konnte, änderte sich die Lage.

Eine Kopfentscheidung der Union

Künstler sprachen sich für den 60-Jährigen als Bundespräsidenten aus, Medienschaffende wie der Regisseur Sönke Wortmann, zu denen der belesene Intellektuelle einen engen Draht pflegt. 30 Unternehmer unterzeichneten einen Aufruf, in dem Steinmeier als Bestbesetzung „zum Wohle unseres gesamten Landes“ gewürdigt wird. Zu den Unterzeichnern gehört der südbadische Tunnelbohrmaschinenbauer Martin Herrenknecht, seines Zeichens CDU-Mitglied. Auch in der Unionsfraktion des Bundestags konnte Steinmeier auf stille Unterstützer hoffen. Merkel hätte mit einem schwachen Kandidaten in der Bundesversammlung eine Niederlage riskiert, also zog sie die Reißleine. Die Köpfe der Unionsabgeordneten im Bundestag können das nachvollziehen, ihre Herzen weniger.

Gabriel ist der erste, der am Tag nach dem entscheidenden Dreiertreffen vor die Mikrophone tritt. Es ist sein ganz persönlicher Triumpf. Er hat bewiesen, dass er Merkel schlagen kann, wenn auch nicht bei einer Wahl. Dennoch ist ihm jetzt wohl die Kanzlerkandidatur endgültig sicher, wenn er nicht von sich aus noch beiseite tritt. Er ist klug genug, sich seine Genugtuung nicht zu sehr anmerken zu lassen. Seinem Triumph soll keine Demütigung Merkels folgen, das würde dem Amt des Bundespräsidenten nicht gerecht. Deshalb spricht er lieber von den Krisen der Welt und der Zerrissenheit der Gesellschaft. Angesichts der unsicheren Lage sei es „gut, dass sich die Parteien der Regierungskoalition auf den Kandidaten verständigt haben, den die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes im Amt des Bundespräsidenten für in besonderer Weise für geeignet halten“, sagte Gabriel. Ob er stolz darauf sein, das geschafft zu haben? „Ich habe gar nichts geschafft“, antwortet Gabriel, „sondern die Person Frank-Walter Steinmeier hat überzeugt.“

Ein mannschaftsdienlicher Charakter

Im westfälischen Brakelsiek wuchs Steinmeier heran, auf dem Bolzplatz nannte man ihn Prickel. Keiner weiß warum, war halt so. Der TUS 08 spielte 2. Kreisklasse, Steinmeier in der Abwehr. 1976 soll er gegen den FC Dornup ein Tor geschossen haben, was deshalb eine Erwähnung wert ist, weil es sein einziger Treffer bleiben sollte. Vollstrecker war er nie, das überließ er anderen. Er half stattdessen, den eigenen Kasten sauber zu halten. Mannschaftsdienlich nennt man sowas. Und vielleicht ist es dieser Charakterzug, den jene Menschen spüren, die ihn, der anders als Joachim Gauck nun wahrlich kein überragender Redner ist, gern im Schloss Bellevue sehen würden. Einer wie er könnte vielleicht den Laden zusammenhalten. Ganz schön viel verlangt in dieser Zeit.

Er ist schon mal fast ganz oben gewesen. Zum Bundeskanzler ward er ausgerufen, allerdings nicht in Berlin, sondern in Tschungking. Im Sommer 2008 trug sich das zu. Steinmeier, damals wie heute Außenminister, war in China zu Gast, und die Dolmetscherin stellte ihn einer illustren Runde als „Bundeskanzler“ vor. Das war ein Versehen, natürlich, aber der Vorfall passt zu einem Leben, in dem so manches wohl eher aus Versehen geschehen ist. So ist es auch in diesen Tagen, in denen Steinmeier vom Lockmittel des SPD-Chefs Sigmar Gabriel zum Kandidaten der großen Koalition für das Amt des Bundespräsidenten aufgestiegen ist.

Eine merkwürdige Vita für einen Politiker

Steinmeiers Vita ist schon eine merkwürdige. Er hat nie den Ehrgeiz verspüren lassen, anderen die Krone zu entreißen. Er rüttelte an keinem Zaun, schon gar nicht an dem des Kanzleramts, wie dies sein langjähriger Mentor, Altkanzler Gerhard Schröder, zuvor getan hatte. Bis zu jenem Moment, in dem er 2005 völlig überraschend Außenminister wurde, galt Schröders einstiger Kanzleramtschef und Agenda-2010-Architekt als erste Wahl für die zweite Reihe: fleißig, zurückhaltend, porentief loyal. Er fühlte sich wohler im Maschinenraum der Macht, das Führerhaus war zuvor nie sein Ding. Klar, dass er während seines Jura- und Politikwissenschaftsstudiums in Gießen als Mitglied der Juso-Hochschulgruppe im Asta nicht etwas dessen Vorsitzender, sondern Finanzreferent war: unentbehrlich, aber im Hintergrund. Die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 2009 hatte er eher der Schwäche des damaligen SPD-Chefs Kurt Beck als seiner eigenen Durchsetzungsstärke zu verdanken. Und es ist bezeichnend, dass er nicht die Traute hatte, auch nach dem Parteivorsitz zu greifen. Als dem Kanzlerkandidaten der SPD missfiel Steinmeier dann 2009 die kämpferische Attitüde, die viele in der Partei von ihm erwarteten. Zumal er zuvor in seiner ersten Amtszeit als Außenminister Kanzlerin Angela Merkel, die nun seine Gegnerin sein sollte, als verlässliche Partnerin zu schätzen gelernt hatte.

Die beiden können gut miteinander. Wer beispielsweise erlebt hat, wie sie sich beim Nato-Gipfel 2014 in Wales die Bälle zuwarfen, als in der Ukraine Europas größte sicherheitspolitische Krise seit Jahrzehnten eskaliert war, konnte nicht bezweifeln, dass Merkel sich Steinmeier immer gut in Schloss Bellevue vorstellen konnte. „Wir arbeiten ganz ungewöhnlich eng zusammen“, sagt sie am Montag. Sie habe Steinmeier „sehr gut kennengelernt“, hält ihn für „ausgezeichnet geeignet“ und „geachtet in Wirtschaft und Gesellschaft“. In Zeiten von Trump, Brexit, Terror und Kriegen in der Nachbarschaft und aufgerauten politischen Debatten daheim in Deutschland sendet Steinmeiers Nominierung aus ihrer Sicht ein „Signal der Stabilität“ aus. Über ihre parteipolitisch missliche Lage verliert Merkel an diesem Tag kein Wort.

Der Aufstieg zum beliebtesten Politiker

Gegen Merkel fuhr Steinmeier 2009 ein miserables Ergebnis ein, rettete sich auf den Fraktionsvorsitz und überdauerte dort die Zeit in der Opposition, um vier Jahre später ein zweites Mal jene Paraderolle zu übernehmen, in der er mit seiner abwägenden Detailversessenheit aufgehen konnte wie in keiner anderen: die des Außenministers. Abermals gelang ihm dort der Aufstieg zum beliebtesten Politiker, was in diesem Amt allerdings eher die Regel als die Ausnahme ist. Seine zurückhaltende, überlegte, mitunter etwas dröge Art und sein vergleichsweise gering ausgeprägter politischer Killerinstinkt mögen ihn mitunter ausgebremst haben, aber viele Menschen haben diese Art zu schätzen gelernt. Er gilt als einer der wenigen Spitzenpolitiker, denen man nachsagt, einigermaßen authentisch geblieben zu sein. Dass er 2010 seiner schwerkranken Frau eine Niere spendete, ohne davon viel Aufhebens zu machen, hat ihm auch bei seinen schärfsten Kritikern Respekt abgenötigt. Er begegnet anderen auf Augenhöhe, blickt nicht herab. Für viele Spitzenpolitiker sind Menschen, die sie eigentlich gut kennen, in der Öffentlichkeit nichts als Luft, wenn diese hierarchisch unter ihnen stehen. Steinmeier geht auf sie zu und gibt ihnen die Hand.

Ganz viel Glück war im Spiel

Als SPD-Chef Sigmar Gabriel Steinmeier Anfang Oktober von seinen Vertrauten als Kandidat für Schloss Bellevue auf die Lichtung schieben ließ, hat der 60-Jährige sich bedeckt gehalten, was freilich als stille Einverständniserklärung gewertet werden musste. Das war verwunderlich, denn zunächst war das nicht viel mehr als eine taktische Finte. Der Außenminister war anfangs für Gabriel noch eine Figur auf dem Schachbrett der Möglichkeiten, die notfalls zu opfern war. Gabriel wollte Merkel reizen, den Preis für einen gemeinsamen Kandidaten hoch treiben, das ja. Aber eine Kampfkandidatur gegen einen starken Merkel-Kandidaten schien angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung zunächst auch aus Sicht der SPD aussichtslos zu sein. Als Konsenskandidat der großen Koalition kam der Sozialdemokrat für die Union anfangs auch nicht in Frage. Keiner in der SPD, der noch ganz bei Trost ist, würde in Abrede stellen, dass deshalb ganz viel Glück im Spiel war. Das sieht auch Gabriel so, der am 23. Oktober erstmals selbst öffentlich vorpreschte und sich für Steinmeier aussprach. Angeblich brach Gabriel damit eine Abmachung mit der Union, einen gemeinsamen Kandidaten zu suchen. Die SPD hat dies stets dementiert, aber selbst wenn es so wäre, hätte es ihn wohl nicht geschert. Zu verlockend erschien ihm die Chance, die sich auftat: Weil Merkel so lange keine adäquate eigene Besetzung vorschlagen konnte, änderte sich die Lage.

Eine Kopfentscheidung der Union

Künstler sprachen sich für den 60-Jährigen als Bundespräsidenten aus, Medienschaffende wie der Regisseur Sönke Wortmann, zu denen der belesene Intellektuelle einen engen Draht pflegt. 30 Unternehmer unterzeichneten einen Aufruf, in dem Steinmeier als Bestbesetzung „zum Wohle unseres gesamten Landes“ gewürdigt wird. Zu den Unterzeichnern gehört der südbadische Tunnelbohrmaschinenbauer Martin Herrenknecht, seines Zeichens CDU-Mitglied. Auch in der Unionsfraktion des Bundestags konnte Steinmeier auf stille Unterstützer hoffen. Merkel hätte mit einem schwachen Kandidaten in der Bundesversammlung eine Niederlage riskiert, also zog sie die Reißleine. Die Köpfe der Unionsabgeordneten im Bundestag können das nachvollziehen, ihre Herzen weniger.

Gabriel ist der erste, der am Tag nach dem entscheidenden Dreiertreffen vor die Mikrophone tritt. Es ist sein ganz persönlicher Triumpf. Er hat bewiesen, dass er Merkel schlagen kann, wenn auch nicht bei einer Wahl. Dennoch ist ihm jetzt wohl die Kanzlerkandidatur endgültig sicher, wenn er nicht von sich aus noch beiseite tritt. Er ist klug genug, sich seine Genugtuung nicht zu sehr anmerken zu lassen. Seinem Triumph soll keine Demütigung Merkels folgen, das würde dem Amt des Bundespräsidenten nicht gerecht. Deshalb spricht er lieber von den Krisen der Welt und der Zerrissenheit der Gesellschaft. Angesichts der unsicheren Lage sei es „gut, dass sich die Parteien der Regierungskoalition auf den Kandidaten verständigt haben, den die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes im Amt des Bundespräsidenten für in besonderer Weise für geeignet halten“, sagte Gabriel. Ob er stolz darauf sein, das geschafft zu haben? „Ich habe gar nichts geschafft“, antwortet Gabriel, „sondern die Person Frank-Walter Steinmeier hat überzeugt.“

Ein mannschaftsdienlicher Charakter

Im westfälischen Brakelsiek wuchs Steinmeier heran, auf dem Bolzplatz nannte man ihn Prickel. Keiner weiß warum, war halt so. Der TUS 08 spielte 2. Kreisklasse, Steinmeier in der Abwehr. 1976 soll er gegen den FC Dornup ein Tor geschossen haben, was deshalb eine Erwähnung wert ist, weil es sein einziger Treffer bleiben sollte. Vollstrecker war er nie, das überließ er anderen. Er half stattdessen, den eigenen Kasten sauber zu halten. Mannschaftsdienlich nennt man sowas. Und vielleicht ist es dieser Charakterzug, den jene Menschen spüren, die ihn, der anders als Joachim Gauck nun wahrlich kein überragender Redner ist, gern im Schloss Bellevue sehen würden. Einer wie er könnte vielleicht den Laden zusammenhalten. Ganz schön viel verlangt in dieser Zeit.