Klaus Wowereit muss nach der Steuerhinterziehung seines Kulturstaatssekretärs Andre Schmitz Antworten geben. Seinen Rücktritt kann Berlins Regierender Bürgermeister zwar abwenden, aber das System ist fragil geworden.

Berlin - Es könnte so schön sein, dieses Bild von Klaus Wowereits schickem Berlin, das sich da am Montag im Abgeordnetenhaus präsentiert: eigentlich ist praktisch das komplette Haus für den Co-Production-Market Filmfestspiele vermietet – eine super-hippe Konferenz. Produzenten, Verleiher, Investoren kommen und schauen, dass Kunst und Geld zusammenfinden. Lauter Leute in weichen Lederschuhen schnüren durch die Wandelhalle, Männer in Hemden, deren Halsweiten nur in Amerika existieren, Frauen mit perfektem Make-up. Eins ist sicher: Mitarbeiter der Berliner Verwaltung sind das nicht.

 

Die drängen sich ein Stockwerk höher im Saal 376, zusammen mit Dutzenden Abgeordneten und Bürgern, die zu denen gehören, welche genug haben. Hier sieht Berlin so gar nicht großartig aus. Es müffelt. Nach Menschen, die zu lange schon auf ihrem Platz verharren, die Fenster müssten dringend mal geöffnet werden. Vorne sitzt, im königsblauen Anzug, leicht gebräunt, der am Wochenende aus dem Skiurlaub zurückgekehrte Regierende Bürgermeister. Hier tagt der Rechtsausschuss, Sondersitzung, einziger Tagesordnungspunkt: „Der Fall Schmitz: Wie geht der Senat mit Steuerhinterziehung durch Beamte und der disziplinarrechtlichen Aufarbeitung um?“

Wowereit umwehte ein eisiger Hauch

So klingt im Parlamentsdeutsch die Frage, die seit einer Woche in der Republik diskutiert wird: Muss Klaus Wowereit zurücktreten, weil er von der Steuerhinterziehung seines Kulturstaatssekretärs Andre Schmitz wusste? Ja, sagen 44 Prozent der Berliner einer Umfrage zufolge, 48 Prozent sagen Nein. Wer das für katastrophal hält, kennt nicht das Ergebnis nach dem Flughafendebakel vor einem Jahr – damals wollten 47 Prozent Wowereit nicht mehr sehen. Aber er sitzt immer noch im Roten Rathaus, hat sich unlängst dort in königlicher Haltung fotografieren lassen für ein Interview, in dem die Frage gestellt wurde, ob er 2016 noch einmal antritt. Man hielt das für sehr gut möglich, zumindest bisher.

Jetzt geht es eher um die Frage, ob Wowereit einen so schweren politischen Fehler machte, dass er gehen muss. Zur Erinnerung: Andre Schmitz, persönlicher Freund Wowereits, hochgelobter Kulturnetzwerker, wurde von Fahndern erwischt, weil er 425 000 Euro auf einem Schweizer Konto geparkt hatte. Es gab ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung, das gegen eine Geldbuße eingestellt wurde. Wowereit wusste von den Ermittlungen. Und tat: nichts.

All das flog vor einer Woche auf. Und Wowereit, im Urlaub, umwehte einen Tag lang ein eisiger Hauch – vor allem als Parteichef Sigmar Gabriel auf einer Klausurtagung mit dem Thema Strafbarkeit von Steuerhinterziehung scharfe Worte wählte. Wowereit war weit, es gab ein Machtvakuum, und in dieses hinein agierte der Landesvorsitzende der SPD. Jan Stöß berief eine Telefonkonferenz ein und erklärte, Schmitz müsse gehen. Breit wurde gestreut, Wowereit sei nicht erreichbar gewesen. Für ein paar Stunden wirkte es, als seien die eigenen Leute ihres Vormanns überdrüssig. Aber dann trat Schmitz zurück und Gabriel erklärte den Fall für erledigt. Der Regierende blieb in Tirol. Antworten? Später.

Wowereit steht zu seiner Entscheidung

Die will jetzt die Opposition. Aber schon ist zu erwarten, dass es nur noch um Details gehen wird, nicht mehr ums Ganze. „Hat der Regierende das alles mit sich allein ausgemacht?“, fragt der Linken-Politiker Klaus Lederer und sagt, „Sie sind nicht der Staat, Herr Wowereit.“ Die grüne Fraktionschefin Ramona Pop schimpft: „Haben Sie das nach Wowereit’schem Landrecht beschlossen?“ Und selbst der koalitionäre CDU-Mann Heiko Melzer nennt das alles einen „Grenzfall der Politik“.

Da hat er wohl recht. Lange konnte sich Wowereit auf seine Instinkte verlassen - und darauf, dass seine Partei ihn braucht. Inzwischen aber werden die Intervalle zwischen den Anlässen, zu denen man über Rücktritt redet, kürzer. Das System ist fragil geworden. Wowereit spricht nun, aber nicht kämpferisch wie sonst, sondern mit matter Stimme. Er beschreibt, wie Schmitz ihn informierte, wie er entschied, aus „Fürsorgepflicht“ des Dienstherren, niemanden zu informieren. „Ich stehe auch heute zu dieser Entscheidung von damals“, sagt er. „Das ist auch eine Frage von Loyalität. Das mag in diesen Zeiten vielleicht etwas altmodisch sein.“

Es wird hakelig, man verbeißt sich in die Frage, ob der Regierungschef hätte ein Disziplinarverfahren einleiten müssen. Mehrere Rechtsgutachten gibt es dazu. Der Staatsrechtler Ulrich Battis meint, dass es zwingend gewesen wäre – aber da man es bis zum Ende der Ermittlungen hätte aussetzen müssen, grenze es an „Förmelei“, eine Pflichtverletzung zu sehen. Wowereit sitzt da, schiebt ein Blatt Papier hin und her. Nach zweieinhalb Stunden ist Schluss. Er steht auf und geht. Ins Rote Rathaus.