Mit den Steuertricksereien von Amazon, Google & Co. soll es bald vorbei sein. Der Maschinenbauer Trumpf befürchtet, dass der Mittelstand dann für die Sünden der US-Multis zahlen muss.

Ditzingen - Die Steuertricksereien von Google, Apple, Amazon & Co. lösen auch in der Wirtschaft Empörung aus. „Es kann nicht sein, dass es einigen Konzernen gelingt, sich einer Besteuerung zu entziehen“, sagt Lars Grünert, im Vorstand des Ditzinger Maschinenbauers Trumpf für Finanzen zuständig. Das ist für den 47-Jährigen eine Frage der Gerechtigkeit, aber nicht nur. Denn Trumpf befürchtet stellvertretend für den deutschen Mittelstand, dass die Kleineren für die Sünden von manchen Großen büßen müssen.

 

Vor zwei Jahren haben die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und die 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) den Aktionsplan „BEPS“ auf den Weg gebracht, der sich gegen „Base Erosion and Profit Shifting“ wendet, also gegen das Aushöhlen der steuerlichen Bemessungsgrundlagen und die Verlagerung von Gewinnen. „Das finden wir richtig“, sagt Grünert, „aber wir befürchten, dass es nicht nur die multinationalen Konzerne, sondern alle trifft“ – etwa durch neue Dokumentationsanforderungen und zusätzliche Berichte. Der Trumpf-Finanzchef: „Im schlimmsten Fall steigt bei uns der Aufwand, weil wir kollektiv zur Verantwortung gezogen werden, und die Multis lassen sich einen anderen Weg einfallen.“

Bei Verrechnungspreisen schaut das Finanzamt genau hin

Nicht nur Grünert macht sich Sorgen. Denn das BEPS-Aktionsprogramm wendet sich nicht nur gegen windige Steuermodelle, sondern nimmt auch das Tagesgeschäft vieler Betriebe unter die Lupe: die Festlegung von internen Verrechnungspreisen, zum Beispiel für Lieferungen der Mutter an eine Tochter. Die Preise für interne Lieferungen gelten traditionell als bevorzugtes Mittel zur Gewinnverschiebung. Das wissen auch die Finanzämter, die hier deshalb ganz genau hinschauen; entsprechend beklagen international tätige Mittelständler eine große Rechtsunsicherheit.

In fast jedem zweiten Fall, so heißt es unter Berufung auf Umfragen in einer Studie der Finanzwissenschaftler Andreas Oestreicher und Ekkehart Reimer für die Stiftung Familienunternehmen, habe das Finanzamt die Methode zur Festsetzung der Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung korrigiert. In zwei von drei Fällen sei es als Folge der Beanstandung zu einer Anpassung der Verrechnungspreise gekommen, heißt es. Insgesamt hat das Thema für die Betriebe einen hohen Stellenwert. Für 61 Prozent der Betriebe haben die Verrechnungspreise nach der Umfrage eine hohe oder sehr hohe Relevanz im Rahmen der Steuerpolitik. Trumpf-Steuerexperte Stefan Schuhmann kann das nur bestätigen: „Das Thema Verrechnungspreise hat wahnsinnig an Bedeutung gewonnen, vor allem im Ausland. Da geht es fast nur noch um Verrechnungspreise.“

Trumpf ist für Trumpf der größte Kunde

Warum das so ist, lässt der Fall Trumpf ahnen. Der Konzern macht 2,7 Milliarden Euro Umsatz mit seinen Kunden – und noch einmal genauso viel mit Abnehmern aus dem eigenen Verbund, was im konsolidierten Jahresabschluss gar nicht in Erscheinung tritt. Multis stehen in dem Verdacht, dass sie bei internen Lieferungen die Preise so setzen, dass Gewinne vor allem in Niedrigsteuerländern anfallen und der Fiskus in Hochsteuerländern möglichst leer ausgeht. Die OECD schätzt grob, dass den Staaten durch sämtliche Steuertricksereien weltweit Jahr für Jahr 100 bis 240 Milliarden US-Dollar Körperschaftsteuern entgehen – vier bis zehn Prozent des globalen Aufkommens. Empörung rufen immer wieder die Praktiken von US-Konzernen hervor, die ihre Gewinne gerne – möglichst niedrig besteuert – im Ausland belassen, weil sie bei Rückführung in die USA hoch besteuert würden (zumindest höher als in Deutschland; siehe Grafik).

Für Trumpf, so versichern Grünert und sein Steuerexperte, geht es bei der Suche nach den richtigen internen Preisen nicht um Steueroptimierung. „Unser steuerliches Ziel ist die Vermeidung von Doppelbesteuerung“, sagt Schuhmann. Gewährleisten soll das ein Verrechnungspreissystem, das die Ditzinger vor ein paar Jahren ausgearbeitet haben. Schuhmann: „Hinter unserem Verrechnungspreissystem steht ein betriebswirtschaftlicher Ansatz, kein steuerlicher. Das ist dann nicht so schwer zu vermitteln: Wenn ich etwas betriebswirtschaftlich sauber erklären kann, dann kann ich es auch steuerlich.“

Es geht um die betriebswirtschaftliche Logik

Trumpf unterscheidet drei Arten von Gesellschaften: Produktionsgesellschaften, Vertriebsgesellschaften und das sogenannte Produktcenter, das für die Entwicklung der Maschine zuständig war. In der Praxis sieht das zum Beispiel so aus, dass eine Maschine in der Schweiz montiert wird, die aus Zulieferungen aus Ditzingen (Laser), Neukirch/Sachsen (Komponenten) und Hagenau/Elsass (Rahmen) besteht; anschließend geht das fertige Produkt zu einer Vertriebsgesellschaft. Die Produktionsgesellschaften liefern zu einem Verrechnungspreis, der aus Herstellkosten plus Gewinnaufschlag für die Verzinsung des eingesetzten Kapitals besteht. Die Vertriebsgesellschaften gehen vom Absatzpreis aus, zu dem sie die Maschinen am Markt verkaufen können, und kommen durch Abzug der Gewinnmarge auf ihren Verrechnungspreis. Die Differenz zwischen den beiden Verrechnungspreisen steht dem Produktcenter zu.

So weit, so gut – sofern die ausländischen Steuerbehörden mitspielen. Mit einigen Ländern gibt es allerdings immer wieder Diskussionen, vor allem mit Korea, Italien, Indien und teilweise mit Brasilien. In Italien, so erinnert sich Schuhmann an ein Beispiel, wollten die Behörden nicht akzeptieren, dass die dortige Trumpf-Tochter aufgrund der Konjunkturkrise 2009 einen Verlust gemacht hatte. Die Beamten in dem Land argumentierten mit Verweis auf Datenbankrecherchen, dass ein Hightech-Unternehmen wie Trumpf üblicherweise auf eine Rendite von drei bis fünf Prozent kommt – und zeigten sich unnachgiebig. Diskussion? Fehlanzeige.

Der Fall Italien hat trumpf drei Jahre lang beschäftigt

„In Italien ist es fast unmöglich, zu einer Verständigung zu kommen“, klagt Grünert. „Man müsste jahrelang darauf warten, dass irgendwann einmal eine Verständigung kommt. Das scheuen wir. Es ist teuer und der Ausgang unsicher. Da geben wir lieber nach, auch wenn wir nicht einverstanden sind. Man beugt sich eben.“ Der Fall Italien habe Trumpf drei Jahre lang beschäftigt, erinnert sich Schuhmann, „und da waren wir noch relativ gut unterwegs“. Eine Seltenheit, aber kein Einzelfall. Grünert: „Wir haben jedes Jahr einen Fall, der sich dann über Monate, wenn nicht gar Jahre hinzieht. Der materielle Schaden aus Doppelbesteuerungen hält sich bei uns allerdings in Grenzen.“

Eine zentrale Neuerung, die die OECD-Länder durchsetzen wollen, ist eine länderbezogene Berichterstattung, im Fachjargon Country-by-Country-Reporting genannt. Die Unternehmen sollen Auskunft darüber geben, in welchen Ländern sie welche Geschäfte machen, Mitarbeiter beschäftigen und Steuern zahlen. Ziel ist die Bekämpfung von Briefkastenfirmen, die Gewinne steuerbegünstigt da anfallen lassen, wo es weder Wertschöpfung noch Mitarbeiter gibt. Dem kann Schuhmann etwas abgewinnen: „Beim Country-by-Country-Reporting wird unterstellt, dass da, wo Gewinn gemacht wird, auch Mitarbeiter sind. Das ist für mich ein ganz logischer Ansatz“, sagt der 60-Jährige. Allerdings ist noch nicht klar, welche Daten genau abgefragt werden – geht es nur um steuerrelevante Fragen, oder muss ein ganzes Geschäftsmodell beschrieben werden? Grünert ist skeptisch: „Schon heute beschreiben wir in unseren Dokumentationen sehr viel. Angesichts der Diskussion um die Sicherheit von Informationen gerät man ins Grübeln. Wenn ein Wettbewerber schon unsere jetzige Dokumentation sehen würde, wäre das verheerend.“ Er fürchtet die deutsche Gründlichkeit, nach der hierzulande alles buchstabengetreu umgesetzt wird, im Ausland hingegen das meiste nur sinngemäß.

Die Länderberichte werden nicht veröffentlicht

Die Länderberichte sollen nur für Unternehmen ab 750 Millionen Euro Konzernumsatz Pflicht werden. Dieser Schwellenwert ist dem Netzwerk Steuergerechtigkeit, das weltweit gegen die Steuervermeidungspraktiken der Konzerne kämpft, zu hoch. Markus Henn von der deutschen Sektion der Nichtregierungsorganisation WEED World Economy, Ecology and Development, die dem Netzwerk angehört, hätte 100 bis 200 Millionen Euro für ausreichend gehalten, um den Mittelstand vor allzu viel Bürokratie in Schutz zu nehmen. Größere Unternehmen, so lautet das Kredo des Finanzexperten, verfügen ohnehin über die geforderten Informationen. Aber 750 Millionen Euro sind ihm lieber als gar kein Grenzwert. Henn ist eigentlich auch dafür, dass die Berichte offengelegt werden müssen. Aber dieser Forderung, so sagt er, habe die Bundesregierung eine klare Absage erteilt. Die Berichte werden voraussichtlich den Steuerbehörden vorbehalten sein.