Es gibt Mittel, um gegen Steuersparmodelle vorzugehen. Es ist ein Skandal, sie nicht zu nutzen, meint StZ-Brüssel-Korrespondent Christopher Ziedler.

Lesen bildet. Lesen verärgert manchmal aber auch. Zum Beispiel bei der Lektüre eines alten Schmökers aus dem Jahr 1977. Damals erließ die Europäische Gemeinschaft eine Richtlinie, die es in Artikel 1 nicht an Klarheit fehlen lässt: „Die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erteilen sich nach dieser Richtlinie gegenseitig alle Auskünfte, die für die zutreffende Festsetzung der Steuern auf Einkommen und auf Vermögen geeignet sein können.“ Findige Wirtschaftsjuristen mögen im zweiten Teil des Satzes Einfallstore erkennen. Im Prinzip aber ist vom Austausch aller Informationen die Rede, die es braucht, um unfairen Steuerwettbewerb in Europa zu verhindern. So viel zum ärgerlichen Unterschied zwischen Theorie und Praxis.

 

Die rechtlichen Möglichkeiten waren also vorhanden, um mehr gegen die Steuersparmodelle von Großunternehmen zu unternehmen, die sich in Hochsteuerländern arm rechnen und die Gewinne bei Tochterfirmen in Niedrigsteuerländern anfallen lassen und dort noch Vorzugsbehandlungen der Finanzämter erhalten. Vor vier Jahren wurde sogar noch ausdrücklich klargestellt, dass das Gesetz diese „tax rulings“ genannten Steuervorbescheide abdeckt. Wirklich geschehen aber ist wenig: Auf 150 Milliarden Euro wird der jährliche Schaden für die öffentliche Hand beziffert.

Es stellen sich Fragen: Warum haken Finanzbeamte trotzdem nicht routinemäßig bei Kollegen im Ausland nach, wenn Unternehmen am Heimatstandort kaum noch Steuern zahlen? Warum haben ihre Finanzminister sie nicht stärker ermuntert? Warum hat die EU-Kommission nicht darauf gepocht, dass die Richtlinie auch praktische Anwendung findet? Es stimmt, der vom unter Druck geratenen Kommissionschef Jean-Claude Juncker vorgeschlagene Informationsaustausch wäre automatisch, verpflichtend und damit eindeutiger. Das kann aber doch nicht heißen, die weniger ambitionierte Richtlinie in Vergessenheit geraten zu lassen. Es muss aufgeklärt werden, warum die Hilfeleistung im Sinne der Allgemeinheit unterlassen wurde.

Einige Antworten könnte ein Untersuchungsausschuss im Europaparlament beantworten, um dessen Einrichtung gerade gerungen wird. Am Donnerstag fällt die Entscheidung. Im Sinne der Aufklärung muss man hoffen, dass die Bedenken dagegen beiseitegewischt werden.