Früher wurde in der Dorotheenstraße geparkt. Jetzt soll dort gesessen werden. Nur leider sitzt dort niemand. Das städtische Mobiliar lädt nicht dazu ein. Beobachtungen aus angrenzenden Läden

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Die Möblierung der Dorotheenstraße mit Sitzkieseln und Gitterbänken ist ein beliebtes Gesprächsthema, was damit zu tun hat, dass das Mobiliar offensichtlich unbeliebt ist. Ein Leser, der in einer Mail an die Redaktion kundtat, dass er die von der Stadt versuchsweise aufgestellten Sitzkiesel „ausgesprochen ästhetisch und die neuartigen Sitzbänke ausgesprochen originell“ findet, steht nach allem, was sonst zu hören ist, weitgehend alleine da. Und selbst er ist von dem Freiluftmobiliar nicht vollständig überzeugt: „Die fehlenden Lehnen finde auch ich merkwürdig“, schreibt er. Das Beste an der Sache sei, dass jetzt weniger Parkplätze die Innenstadt verschandelten.

 

Skater nutzen die neuen Sitzmöbel

Dem schließt sich das Team Peloton an, das im Dorotheenquartier Fitnessgeräte verkauft – mit unverstellter Aussicht auf den besagten Sitzmöbelstreifen am Karlsplatz. Die Kurzzeitparkplätze, die an dieser Stelle weggefallen seien, brauche es nicht, sagt eine Mitarbeiterin. Viel schöner wäre es, eine Fußgängerzone zu haben. Allerdings eine richtige! Und nicht diesen seltsam möblierten Asphaltstreifen, für den sich nur die Skater interessierten. Und das unüberhör- und unübersehbar. „Also wirklich, was soll das sein?“, fragt die junge Verkäuferin und zieht die Augenbrauen hoch.

Robert Weinreich vom benachbarten Wohndesign-Geschäft Architare kann die Frage nicht beantworten. Er rätselt selbst und hat auch schon seine Kollegen zurate gezogen. „Ich kann den Sinn nicht nachvollziehen“, sagt der Designexperte. Die neuen Freiluftmöbel seien optisch nicht ansprechend und passten überhaupt nicht zu den Bänken auf dem angrenzenden Karlsplatz.

Ein gefährlicher Standort für Kinder?

Dort sitzen an diesem strahlend schönen Nachmittag etliche Leute. Auf der Dorotheenstraße sitzt dagegen „ überhaupt nie jemand“, sagt Weinreich, der eine perfekte Aussicht auf die Szenerie hat. Parkplätze wären ihm lieber als das, was die Stadt dort einfach so hingestellt hat. Er könnte sich allerdings auch mit einer Fußgängerzone nach dem Vorbild des Dorotheenquartiers anfreunden. „So aber hat man das Gefühl, direkt auf dem Asphalt zu sitzen“, sagt er. Noch dazu sei das gefährlich. Vor allem für Kinder. Tatsächlich endet die Fahrbahnmarkierung in nächster Nähe zu den neuen Bänken. Und dann kommt dem Verkäufer doch noch eine Idee, wozu die seltsamen Gitterbänke gut sein könnten: „Im Sommer kann man vielleicht darauf grillen?“, sagt er scherzhaft.

Das Urteil eines Gastronomen, der nicht genannt werden möchte, fällt gnädiger aus. „Ich finde es super, dass die Blechlawine vor dem Karlsplatz weg ist“, sagt er gut gelaunt und zeigt auf große alte Fotografien in seinem Lokal, die autofreie Straßen zeigen. „So hat das mal ausgesehen.“ Über die Kiesel und Bänke heute sieht er gnädig hinweg.

Die Stadt Stuttgart orientiert sich an Barcelona

Und was sagt die Stadt? Sie verweist auf den Versuchscharakter des Arrangements. „Der Karlsplatz ist ein Pilotstandort“, erklärt eine Sprecherin auf Anfrage. Man beobachte, wie die Sitzkiesel von der Bevölkerung angenommen würden. Barcelona dient dabei als Vorbild. „Dort funktionieren die Sitzkiesel aus Glasfaserbeton nach anfänglicher Skepsis sehr gut“, sagt die Sprecherin. „Wir hoffen, dass wir auch in Stuttgart gute Erfahrungen sammeln“ – trotz der jetzt aufgetretenen, bedauerlichen Beschädigungen. Bei Gefallen könnten solche Kiesel auch an anderen Standorten in der Stadt platziert werden. Der Gesprächsstoff wird nicht ausgehen.