Streit über die Energiewende Die Klimadebatte muss raus aus dem Heizkeller

Die Energiewende verändert unsere Gesellschaft: Sie macht Stromkunden zu Stromerzeugern. Foto: imago//Yuri Arcurs

Der Streit über das geplante Heizungsgesetz betrifft Millionen von Menschen. Die Wärmewende kommt für sie gefühlt aus dem Nichts, weil es bisher an Mut und Ehrlichkeit mangelte.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

M it dem geplanten Heizungsgesetz, das manche titeltauglich „Heizhammer“ nennen, klopft der Klimaschutz nun also an die Türen von Millionen. Die Sache spielt nicht in Berlin und Brüssel, sondern daheim, unten im Keller. Und die Millionen Menschen fragen sich: Hat denn überhaupt jemand „herein“ gesagt? Fragen über Fragen auch an den Gesetzentwurf. Jede für sich vermutlich berechtigt. Nicht berechtigt ist derweil, die grundsätzliche Marschrichtung in Zweifel zu ziehen.

 

Es wird in diesen Tagen viel gezündelt, nicht nur von dem Blatt mit den vier großen Buchstaben. Die FDP macht einen auf Oppositionspartner, und die echte Opposition trumpft auf. Seit Kurzem läuft eine Kampagne der Christdemokraten. Unter der Überschrift „Fair heizen statt verheizen“ wolle man den Menschen eine Stimme geben. Wofür? Die Leute hätten „angesichts des Heizungshammers existenzielle Angst“. Ja, die Angst ist da. Sie wird aber auch geschürt.

Derzeit heizen hierzulande rund 70 Prozent der Menschen mit Öl und Gas. Das Gesetz will keinen Komplett-Tausch im Jahr 2024, es will einen Schlusspunkt setzen für den Einbau fossiler Heizungen. Laut Umweltbundesamt verursachte die Erzeugung von Raumwärme im Jahr 2020 rund 73 Prozent der CO2-Emissionen im Bereich Wohnen. Heizungen müssen klimafreundlicher werden. Deutschland ist zum Klimaschutz gesetzlich verpflichtet.

Die Aufholjagd in der Energiewende hat begonnen

In den zurückliegenden Jahren ist viel über Klimaschutz geredet worden, die Energiewende kam jedoch nur schleppend voran. Nun, da die Aufholjagd begonnen hat, wird der Diskurs schmerzhafter – und leider auch unehrlicher. „Die Regierung hat zu lange geschlafen, und jetzt muss alles plötzlich sehr schnell passieren“, sagte Marek Miara vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme im Interview mit unserer Zeitung. Das überfordere viele, „zumal die ganze Diskussion sehr emotional geführt wird und nicht sachlich“. Das ist auch jenseits der Heizdiskussion zu beobachten.

So ließ sich beispielsweise Andreas Scheuer (CSU) vor Kurzem mit diesem Satz zitieren: „Die Menschen, die ich treffe, haben ganz andere Sorgen als Klimahysterie und Genderfragen.“ Dieser Sound, der den Klimawandel herunterspielt, begegnet einem in diesen Tagen immer wieder. Kostprobe aus Stuttgart: Ein Stadtrat der Freien Wähler warf dem linkeren Lager neulich vor, „immer dasselbe Lied vom Weltuntergang zu singen“. Das Wetter werde sich schon auch wieder ändern.

Warnungen vor einem Klimakollaps werden dringlicher

Der Klimawandel ist in vollem Gange, auch wenn sich speziell dieses kalte, verregnete Frühjahr in Deutschland nicht danach anfühlen mochte. In anderen Teilen der Welt, auch in Europa, ging es anders zu. Die italienische Emilia-Romagna erlebte gerade apokalyptische Hochwasser. Und die Spanier haben im April eine ungewöhnliche Hitzewelle von an die 40 Grad Celsius verzeichnet. Die Warnungen des Weltklimarats vor einem Klimakollaps werden von Jahr zu Jahr dringlicher. Die schlechte Nachricht: Der Klimawandel wird sich nicht in Luft auflösen. Die gute: Wie dramatisch er verläuft, ist durchaus noch zu beeinflussen. Sicher ist, der Weg des geringsten Widerstands funktioniert nicht mehr, und die Widerstände sind nicht zu unterschätzen. Das hat – neben der aktuellen Verunsicherung – zwei weitere Gründe.

Erstens: In einem Interview sagte der Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) Anfang Mai: „Bei der ganzen Transformation handelt es sich natürlich auch um ein Ringen von Einfluss.“ Ähnlich äußerte sich sein Parteifreund Jürgen Trittin: „Wir werden gerade wegen unserer Glaubwürdigkeit angegriffen – weil wir ernsthaft rauswollen aus der fossilen Energie-Abhängigkeit.“ Wer unbedingt will, erkennt hier sicher auch eine gewisse Jammerlappigkeit, doch komplett daneben dürften Habeck und Trittin mit ihrer Einschätzung nicht liegen. Klimaschutz heißt Energiewende, und Energiewende heißt: Märkte sortieren sich neu.

Statistische Kurven zeigen, dass die fortschreitende Klimaerwärmung parallel zur Nutzung von fossilen Brennstoffen verläuft. Der Klimawandel ist eine Ausgeburt dieser Ära und gilt deshalb als menschengemacht. 70 Prozent der weltweiten Emissionen gehen auf das Konto des Energiesektors. Laut dem US-amerikanischen Klimatologen Michael E. Mann lassen sich die klimaschädlichen Ausstöße auf rund hundert Kohle-, Öl- und Gaskonzerne zurückführen. „Die alten Energieindustrien sind freilich nach wie vor ein erheblicher Machtfaktor, vor allem aufgrund ihrer beträchtlichen finanziellen Mittel, mit denen sie Einfluss auf die staatliche Energiepolitik nehmen können“, schreibt der US-amerikanische Ökonom und Publizist Jeremy Rifkin in seinem Buch „Die dritte industrielle Revolution“.

Die neue Energiewelt gefällt nicht jedem

Rifkin skizzierte bereits 2014 ein neuartiges Energiesystem, ein Energieinternet, das sehr an das erinnert, was sich derzeit anbahnt: dass nicht mehr einzelne Großkonzerne Energie verkaufen, sondern dass aus Konsumenten Prosumenten werden, die Energie nicht nur verbrauchen, sondern auf dem eigenen Dach oder in einem Bürgerwindpark produzieren. Und auch die Industrie springt auf. So plant beispielsweise der Autozulieferer Fischer Group zwei Windräder am Stammsitz in Achern (Ortenaukreis). Rifkin spricht mit Blick auf die neue Energiewelt von einer „Demokratisierung von Energieerzeugung und -verteilung durch Millionen von Mini-Energieunternehmen“. Das kann nicht jedem gefallen. Aus der Insiderperspektive berichtet er von einem „Heer von über 600 registrierten Lobbyisten“ in den USA, das sich an die erodierenden Machtverhältnisse des fossilen Zeitalters klammert.

Zu einer ähnlichen Analyse gelangen die Autorinnen Susanne Götze und Annika Joeres in „Die Klimaschmutzlobby“. Mit der Macht schwinde nicht nur der Einfluss, sondern auch das Geld. „Das ist ein handfester Grund, jede Transformation zu behindern“, argumentieren sie. In Deutschland müssen Treffen zwischen Politikern und Lobbyisten nicht offengelegt werden, die Verflechtungen bleiben in der Blackbox. Ganz offensichtlich zeigt sich hingegen der zweite Grund, weshalb Klimaschutz immer wieder ins Straucheln gerät.

Politiker sind gefangen in der Kurzfristigkeit, sie schielen auf Umfragen und die nächsten Wahlen.Um unpopuläre Entscheidungen für eine fernere Zukunft reißt sich keiner. SPD und FDP überlassen das Feld lieber den Grünen, sie sehen ja, was passiert. Robert Habeck, vor einem Jahr noch der Liebling der Nation, hat bei den meisten Leuten derzeit keinen Stein mehr im Brett. „Es ist immer leichter, ein altes System fortzusetzen, als einen schwerfälligen Tanker zum Umsteuern zu bewegen“, schreiben Götze und Joeres. Also wird seit Jahrzehnten verschoben, vertagt, verwässert. Mit der Folge: „Es bleibt weniger Zeit für unsere persönliche Anpassung.“

Heizungsgesetz kommt auf den letzten Drücker

Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach sind 80 Prozent gegen das Heizungsgesetz. Dass dieses gefühlt aus dem Nichts kommt, hängt jedoch auch hiermit zusammen: Wäre früher angefangen worden, wäre es heute wesentlich entspannter. Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Geht man davon aus, dass eine Öl- oder Gasheizung im Schnitt 20 Jahre hält, braucht es keine Mathematikkünste, um zu dem Ergebnis zu gelangen: Das Gesetz kommt auf den letzten Drücker. Länder wie Dänemark, Schweden oder Norwegen sind hier längst weiter.

Die verlorene Zeit ist futsch. Deshalb ist es nun auch egal, ob der Einbau neuer fossiler Heizungen zum Januar oder Sommer 2024 Geschichte sein wird. Doch: Jedes weitere Hinauszögern wird später mit noch härteren Maßnahmen einhergehen müssen – und mit höheren Kosten. Ab 2027 soll der EU-Emissionshandel auch für Gebäude greifen, der Preis ist nur bis 2030 gedeckelt. Wer heute in eine Gas- oder Ölheizung investiert, tappt in eine Kostenfalle.

Was meint die FDP mit Technologieoffenheit genau?

Zu den größten Herausforderungen der Energiewende gehört nicht nur, das Land in Windeseile mit Erneuerbaren einzukleiden, sondern auch, die Menschen dabei an die Hand zu nehmen. Das erfordert Mut und Aufrichtigkeit. Bei denen, die regieren, aber auch bei denen, die opponieren. Wenn die FDP gebetsmühlenhaft Technologieoffenheit fordert, muss sie beantworten, ob sie damit wirklich Zukunftstechnologien meint oder doch die der Vergangenheit. Je mehr Häuser mit Wärmepumpen heizen, desto überflüssiger werden die rund 300 000 Kilometer Gasnetz – und damit ein langjähriges Geschäftsmodell. Und auch das Narrativ des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), Klimaschutz tue überhaupt nicht weh, geht nicht mehr auf. Natürlich gehört der private Heizungskeller dazu.

Die zuweilen schmerzhafte Klimadebatte gehört auf den Tisch, sie muss raus aus dem Keller. Aufs Dach sowieso, aber auch sonst auf alle Ebenen. Für die grüne Transformation gibt es kein Geheimrezept. Die entscheidende Frage wird sein, ob sie von einer Mehrheit als echtes Gemeinschaftsprojekt begriffen wird. Vielleicht gibt es diese Mehrheit bereits, aber sie weiß nicht, dass sie die Mehrheit ist. Umso mehr muss Politik einen, statt zu spalten. Und dazu gehört, die Debatte mutig und ehrlich zu führen. Zum Beispiel so: Es geht nicht ums Ob, sondern ums Wie. Es geht nicht ums Wogegen, sondern ums Wofür. Denn nur weil etwas anders wird, wird es nicht automatisch schlechter. Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin kommt zu dem Ergebnis, dass sich von rund 300 Klimaschutzmaßnahmen 79 Prozent positiv auf die Lebensqualität auswirken – weil die Menschen gesünder und sicherer wären. Da ist also Licht am Ende des Tunnels.

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