Die Vergabe des Remarque-Friedenspreises an  Adonis wird kritisiert. Der syrische Lyriker soll sich zu wenig vom Assad-Regime distanziert haben. Zu Recht? Ein Porträt.

Kairo - Er ist kein einfacher Ehrengast. Vor dem Arabischen Frühling wurde Adonis viele Jahre lang als möglicher Literaturnobelpreisträger gehandelt, heute scheiden sich an dem syrischen Lyriker die Geister. Seine Kritiker werfen ihm vor, sich in der Tragödie Syriens nicht sofort und eindeutig genug von Diktator Baschar al-Assad distanziert zu haben. Seine Verteidiger dagegen sehen ihn als hellsichtigen Mahner, der schon früh die marode arabische Staatlichkeit angeprangert und die Gefahr einer islamistischen Radikalisierung hat kommen sehen.

 

Am 20. November will die Stadt Osnabrück Ali Ahmad Said, wie der 85-Jährige mit bürgerlichem Namen heißt, mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis auszeichnen, eine Entscheidung, die sofort Kontroversen auslöste. Der diesjährige Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Navid Kermani, sagte dem „Kölner Stadtanzeiger“, er habe es abgelehnt, die Laudatio auf Adonis zu halten. Kermani begründete dies mit den politischen Stellungnahmen des Geehrten, dessen lyrisches Werk er hoch schätze. Dagegen verteidigte der Juryvorsitzende Wolfgang Lücke die Entscheidung. „Wir wollen den Blick auf die Situation in Syrien lenken. Wir wollen die Sprachlosigkeit überwinden und Debatten anstoßen, wie es zu diesen kriegerischen Auseinandersetzungen kommen konnte.“

Assad zum Rücktritt aufgefordert

Denn seit fast einem halben Jahrhundert gilt Adonis als einer der bedeutendsten lebenden Dichter, Intellektuellen und Essayisten der arabischen Welt. Eine Generation lang war er geistiger Vordenker für Demokratie und offene Gesellschaften im Nahen Osten. „Unglücklicherweise basiert alles in unserer Tradition auf Einheitlichkeit – die Einheit Gottes, die Einheit in der Politik“, schrieb er. Mit dieser Mentalität aber lasse sich keine Demokratie verwirklichen. „Demokratie basiert darauf, dass man begreift, dass der Andere anders ist. Man kann nicht einfach denken, ich allein habe die Wahrheit und niemand sonst.“

Zu Baschar al-Assads blutigem Vorgehen gegen die friedlichen Demonstranten zu Beginn des Arabischen Frühlings im März 2011 schwieg er zunächst, aus Angst, nach dessen Regime könnten Kräfte an die Macht kommen, die einen ideologisch-islamischen Staat wollen. Im Sommer 2011 forderte er den Diktator dann in einem offenen Brief zum Rücktritt auf, bezeichnete ihn als „gewählten Präsidenten“ und hielt ihm vor, er könne nicht seine ganze Nation einkerkern. Der Opposition begegnete er von Anfang an mit einer gewissen Skepsis und beschwor sie, der Gewalt abzusagen, mit dem Regime zu verhandeln sowie ein säkulares Staatswesen anzustreben.

Ein heidnischer Prophet

Mehr als dreißig Bücher hat Adonis publiziert, viele auch ins Deutsche übersetzt. Sein innovativer Stil, seine Experimente mit Syntax, Rhythmus und Metaphern, aber auch seine provozierenden Thesen und seine ungeschminkte Kritik an den politischen und religiösen Verhältnissen seiner arabischen Heimat haben ihn im Orient und im Okzident bekannt gemacht. Der verstorbene palästinensische Intellektuelle Edward Said nannte Adonis den „waghalsigsten und provozierendsten arabischen Dichter der Gegenwart“.

Als ältestes von sechs Kindern wuchs er in einem ärmlichen Dorf im nordsyrischen Küstengebirge nahe der Stadt Latakia auf. Der Vater, Landwirt und alawitischer Imam des Dorfes, vermittelte seinem Sohn eine traditionell arabisch-islamische Bildung – Koran lesen und fromme Gedichte. An der Universität Damaskus studierte er deutsche und französische Philosophie. Als erste Gedichte, die er an Zeitungen und Zeitschriften schickte, nicht gedruckt wurden, legte er sich einen kühnen Künstlernamen zu – Adonis. „Ich bin ein heidnischer Prophet“, sagte er oft – und blieb bis heute bei seinem Pseudonym, dem griechischen Gott der Schönheit, was ihm Erfolg bei den Zeitungen, in jungen Jahren aber auch viel Spott eingetragen hat.

Pessimistischer Blick in Zukunft

Schon früh entwickelte sich Adonis zu einem bissigen Gegner jeglicher institutionalisierter Religion. Dem islamischen Klerus warf er vor, einfach nur die Ismen der Vergangenheit wiederzukäuen. „Wir leben in einer Kultur, die keinen Raum lässt für Fragen. Sie kennt von vorneherein alle Antworten. Selbst für Gott gibt es nichts mehr hinzuzufügen“, spottete er. Die Dominanz dogmatischer Religion und die fehlende Trennung von Politik und Religion sind für ihn die Kernursachen für „die unglückliche Lage der muslimischen Welt“.

Bis zu seiner Emeritierung lehrte Adonis arabische Poesie am Collège de France. „Ich gehöre zu den Leuten, die die Fehlentwicklungen der Araber in ihrer eigenen Geschichte suchen, nicht außerhalb“, betont er stets. Für seine Heimat Syrien allerdings sieht er heute absolut schwarz. „Das Regime wird nicht stürzen – leider, es sei denn es gibt eine militärische Intervention von außen“, sagte er dem „Cairo Review of Global Affairs“. Gebe es keine ausländische Invasion, werde Assad bleiben. „Und wenn es eine gibt – wie im Irak – wird sie katastrophal enden.“