Eine Ratsmehrheit ändert den Plan der Verwaltung für nachhaltige Mobilität: Vermeidung und Verlagerung von Verkehr haben Priorität.

Der Ausschuss für Stadtentwicklung hat am Dienstag vom Aktionsplan der Stadtverwaltung „Nachhaltig und innovativ mobil in Stuttgart“ mehrheitlich Kenntnis genommen. Von großer Einigkeit im Bemühen, die Klimawende mit drastischen Maßnahmen zu forcieren, konnte allerdings keine Rede sein. Die Mehrheit aus Grünen, SPD, Linksbündnis und Puls hat das von OB Frank Noppers Chefstrategen Martin Körner entwickelte Konzept mit mehr als 200 Maßnahmen zur Stärkung des Rad- und Fußverkehrs konkretisiert und sich damit in vielen Einzelfällen gegen CDU, FDP, Freie Wähler, AfD und Nopper durchgesetzt.

 

Man brauche nicht nur „irgendwelche Papiere“, sagte Lucia Schanbacher (SPD) für das Bündnis, „sondern klare und messbare Ziele“. Es hat auch kurzerhand das lange Vorwort des Stadtoberhaupts mit einem ausführlichen Plädoyer für den Automobilstandort Stuttgart und der Forderung, die ökonomische, ökologische und soziale Dimension bei der Formulierung einer nachhaltigen Mobilitätspolitik zu berücksichtigen, aus der Vorlage gestrichen und war auch nicht für eine Kompromisslösung zu haben.

Bürgermeister klagen über fehlendes Personal

Die kontroverse Debatte über die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen und den nötigen Grad an Ernsthaftigkeit, um bis 2035 das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen, war auch vom Bemühen der Bürgermeister Dirk Thürnau (SPD) und Peter Pätzold (Grüne) geprägt, sich gegen die Flut an Vorschlägen wie gleich mehrere „Superblocks“ nach dem Vorbild von Barcelona oder 5000 statt 500 Radabstellplätzen für die nächsten drei bis fünf Jahre zu stemmen. Sie hätten dafür gar nicht die Fachkräfte – von den nötigen Büroarbeitsplätzen ganz zu schweigen.

Die Verwaltung schaffe das nicht, betonte Nopper. Stadtrat Luigi Pantisano (Linksbündnis) konterte, die Ratsmehrheit könne sich mit dieser Haltung nicht anfreunden: „Wir wollen eine andere Geschwindigkeit.“ Dem OB warf er im Zusammenhang mit dem Konzept „Orientierungslosigkeit“ vor. Es müssten eben mehr Leute eingestellt werden, notfalls mit höherer Bezahlung, sagte sein Kollege Hannes Rockenbauch mit Verweis auf die „größte Transformation der Menschheitsgeschichte“.

Bürger wollen Auto fahren

Auch Lucia Schanbacher wollte keine Klagen hören, sondern wissen, „was es für die Umsetzung braucht“. Man dürfe jetzt nicht im Status quo verharren. Ein Zustand, den allerdings laut einer „Spiegel“-Umfrage die Hälfte der Menschen im Land zu schätzen weiß und der dafür sorgt, dass die Umfragewerte der Grünen in den Keller rauschen. Sie erklärt den Klimaschutz im Vergleich – etwa zu Wirtschaftsfragen – für sich persönlich als weniger relevant.

Für CDU-Fraktionschef Alexander Kotz betreibt die Ratsmehrheit Symbolpolitik gegen das Auto. Die Stadträte auf seiner Seite sträubten sich nicht gegen den Wandel, die Einsicht, dass der CO2-Ausstoß reduziert werden müsse, sei vorhanden. Er fordert aber, dass auf dem Weg dorthin der motorisierte Individualverkehr weiter Berechtigung haben müsse. Er verweist auf die äußeren Stadtbezirke, in denen der ÖPNV schlechter ausgebaut sei als in der City.

Körner kritisiert Änderungen

Mit Stuttgart als Wiege des Automobils und dem Hinweis, der Wohlstand der Stadt hänge von Daimler und Porsche ab, vermochte die Verwaltung in ihrem Vorwort bei der Ratsmehrheit nicht zu punkten. Darauf zu verzichten findet Martin Körner allerdings ebenso falsch, wie die Bedeutung der E-Mobilität zu ignorieren. Die ökosoziale Mehrheit hebt dagegen auf die Verkehrswende ab, mit der sie schnell beginnen wolle. Sie sieht die Umverteilung des Straßenraums zulasten des motorisierten Individualverkehrs – ob batteriebetrieben oder mit Verbrennermotoren – und zugunsten von „Lebens- und Aufenthaltsflächen als zentrale Herausforderung“. Es gehe zuerst um Vermeidung von Verkehr und um Verlagerung auf den Umweltverbund, so Björn Peterhoff (Grüne). Nopper sagt, die „transformierte Automobilindustrie steht für soziale Stabilität und die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung“.

In der Sitzung hatten die Freien Wähler 14 und das ökosoziale Mehrheitsbündnis neun Änderungsanträge eingebracht, die zum Großteil befürwortet wurden. Alternative Formulierungen der Verwaltung, die häufig rechtliche Bedenken vorbrachte, wurden teilweise berücksichtigt. Was bleibt, ist die Forderung der Ratsmehrheit, nach einer Reduzierung des motorisierten Verkehrs um 20 Prozent sowie für den Cityring (B 14 und B 27) um 50 Prozent. Prämisse zur Reduktion sei nicht der Erhalt der heutigen Qualität. Bei städtebaulichen Umgestaltungen sei lediglich auf die Funktionsfähigkeit zu achten.