Zwei Wochen lang hat ein 41-Jähriger mit AOK und Agentur für Arbeit um sein Geld gestritten. Keiner fühlte sich für ihn zuständig – beiden nützt eine Lücke im Gesetz.

Göppingen - Anton Jäck (Name geändert) ist verzweifelt. Die beiden ersten Wochen im Oktober läuft er von Pontius zu Pilatus und wieder zurück, doch keiner hilft ihm. In diesem Fall ist Pontius die Agentur für Arbeit und Pilatus die AOK-Neckar-Fils. Und Anton Jäck bekommt weder Arbeitslosen- noch Krankengeld.

 

„Das ist ein sehr spezieller Fall“, attestieren sowohl Alwin Gschwendtner von der AOK als auch Hans-Jürgen Wüst von der Agentur für Arbeit später. Anton Jäck ist in eine kuriose Geschichte um gesetzliche Vorgaben, ein Wochenende, das auf einen Quartalswechsel fällt, und unklare Zuständigkeiten geraten. Immerhin: die Geschichte hat ein glückliches Ende.

Der Arzt bestellt Patient einen Tag zu spät ein

Angefangen hat alles damit, dass Anton Jäck die Arbeitsstelle zum 30. September gekündigt worden war. Das hat er auch rechtzeitig bei der Agentur für Arbeit gemeldet. Dann konnte er im September jedoch nicht mehr arbeiten, die Folge einer Bandscheibenoperation im vergangenen Januar. Jäck ging zum Arzt, und dieser schrieb ihn krank. Erst für zehn Tage, dann erneut bis zum 30. September. „Da war Quartalswechsel und ein Sonntag. Der Arzt hat zu mir gesagt, ich soll am Montag wieder kommen, wenn es nicht besser geworden ist“, erzählt der 41-Jährige. So war es dann auch. Jäck blieb arbeitsunfähig. Der Arzt stellte ihm eine Folgebescheinigung aus. Damit ging er zur Agentur für Arbeit. Im Nachhinein, so weiß er heute, hätte er es umgekehrt machen müssen, erst zur Agentur, dann zum Arzt.

Nicht arbeitsfähig = nicht vermittelbar

Die Agentur für Arbeit erklärte sich nämlich prompt für nicht zuständig. Er sei ja nicht arbeitsfähig und daher auch nicht vermittelbar. Er solle sich an seine Krankenkasse wenden. Da er schon seit Wochen krankgeschrieben sei, müsse diese das Krankengeld fortzahlen. So machte er sich also auf den Weg zur AOK. Dort wiederum lehnte man ab. Die Begründung: Er sei nur bis zum 30. September sozialversicherungspflichtig beschäftigt und daher nur bis dahin bei der AOK versichert gewesen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stamme aber vom 1. Oktober. Man bedaure das sehr, könne jedoch auf Grund der Gesetzgebung leider nicht helfen; also kein Krankengeld zahlen.

„Mir wurde am Telefon nur gesagt, dass man mich gerne für die Zukunft freiwillig versichern werde, und dass mein Arzt die Sache verbockt hätte“, so Jäck.

Erst Hilfe bewilligt, dann zurückgenommen

Einigermaßen ratlos wandte er sich wieder an die Agentur für Arbeit. Dort sei ihm geraten worden, er solle doch die Krankschreibung vergessen und sich gesund melden. Das tat er dann auch. Daraufhin wurde ihm Arbeitslosengeld beiwilligt, allerdings nur vorläufig. Fünf Tage später kam statt Geld ein Schreiben, das die Bewilligung wieder einkassierte – mit derselben Begründung. Diesmal sei ihm gesagt worden, er solle doch eine Mahnwache vor der AOK abhalten, Widerspruch einlegen und den Petitionsausschuss im Landtag anrufen oder die Sache öffentlich machen, was Anton Jäck dann auch tat.

Gesetz ist Gesetz, bedauert die AOK und ist fein raus

Nun scheint sich alles in Wohlgefallen aufzulösen. Von abweisenden Schreiben will Alwin Gschwendtner von der AOK, dort zuständig für das Krankengeld, nichts wissen. „Wir haben uns um den Fall gekümmert“, betont er. Nicht nur schriftlich, sondern auch telefonisch habe man Jäck beraten. Natürlich bestehe kein Versicherungsschutz mehr für Anton Jäck. Immerhin klaffe eine Lücke zwischen dem 30. September und dem Zeitpunkt, an dem er am 1. Oktober wieder zum Arzt gegangen sei. „Wir werden auch vom Sozialministerium geprüft, und dort wäre sicher beanstandet worden, wenn wir dennoch gezahlt hätten“, so Gschwendtner.

Andererseits gebe es auch den sogenannten „Anspruch auf Leistungen im Nachgang“. Wenn nach dem Jobende keine Krankenversicherung mehr besteht, muss demnach die Kasse, bei der man zuletzt versichert war, noch einen Monat länger einspringen. Trotz einer Kündigung. Danach werde man pflichtversichert; wieder bei derselben Kasse. „Herr Jäck hätte also im Zweifel im Nachgang von uns zumindest bis Ende Oktober noch Krankengeld bekommen“, erklärt Gschwendtner.

Agentur für Arbeit erbarmt sich

In Jäcks Fall ist die AOK fein raus. Statt der Gesundheitskasse hat die Agentur für Arbeit nun die Kosten übernommen. „Wir mussten die Ablehnung der ersten Bewilligung zurücknehmen“, sagt Hans-Joachim Wüst, der dort zuständige Teamleiter.

„Also, ich kapiere nichts mehr“, kommentiert Anton Jäck sein Glück.

Die Begründung klingt für ihn abenteuerlich und sehr nach Kulanzentscheidung. Wüst zitiert dafür diverse Paragrafen der Sozialgesetzgebung. Der Tenor: eigentlich dürfte Jäck kein Arbeitslosengeld bekommen. Nur wer dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe, hat Anspruch auf Stütze. Die erste Bewilligung sei „wie auch immer“ irrtümlich erfolgt. Und nun beruft sich Wüst auf die Paragrafen 45 und 48 des Sozialgesetzbuchs X. Diese regeln, wann ein Verwaltungsakt wie die Bewilligung von Arbeitslosengeld zurückgenommen werden kann, unter anderem bei Täuschung oder bei Änderung der Verhältnisse.

„Herr Jäck hat uns aber nicht getäuscht. Der Fall ist so kompliziert, dass man zugeben muss, dass er das nicht wissen konnte“, so Wüst. Zudem sei nach der irrtümlichen Bewilligung auch keine Änderung der Verhältnisse eingetreten. „Wir haben keine andere Möglichkeit, als Herrn Jäck das Arbeitslosengeld auszuzahlen“, sagt Wüst.

Krankenkassen treiben ein ärgerliches Spiel

Und dann wird der Mann von der Agentur deutlich: „Es ärgert mich schon lange, welches Spiel die Krankenkassen treiben. Es kommt bisweilen vor, dass unsere Kunden noch Krankengeld beziehen. Sobald sie einen Tag zu spät für eine Folgebescheinigung beim Arzt waren, kündigen die Kassen.“ Die AOK stehe damit nicht allein. „Das machen andere genauso. Ich habe es aufgegeben, mich mit den Kassen zu streiten“ schimpft Wüst.

Anton Jäck ist das einerlei. Ihm geht es mittlerweile besser. Nun hofft er darauf, bald einen neuen Job zu finden – und dann auch eine neue Krankenversicherung.

Tipps von Insidern, oder: Wie die Kassen sich wegstehlen

Fortlaufend krank
: Egal, ob man arbeitet, kurz vor der Kündigung steht oder arbeitssuchend ist. Man sollte spätestens einen Tag vor Ablauf der Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit zum Arzt gehen. Nur dann gilt diese als ununterbrochen.

Krank und gekündigt
: In diesem Fall solle man sich vor Ende des Beschäftigungsverhältnisses an die Krankenversicherung und die Agentur für Arbeit wenden. Dort werde man beraten, betonen Alwin Gschwendtner von der AOK und Hans-Joachim Wüst von der Agentur für Arbeit. Eine freiwillige Krankenversicherung oder eine Pflichtversicherung beinhalten nicht mehr die Leistung von Krankengeld.

Insidertipps:
Wer bei den Krankenkassen nachfragt, bekomm erklärt, wie man tricksen kann – auf Kosten der Agentur für Arbeit. Der Leiter des Kundencenters einer großen Krankenkasse, der nicht namentlich genannt werden will, rät allen, die in eine ähnliche Situation wie Anton Jäck geraten, sich im Zweifel für ein oder zwei Tage von ihrem Arzt für die Arbeitsvermittlung gesundschreiben zu lassen. „Danach kann es einem auch offiziell wieder schlecht gehen.“ Dann sei man über die Agentur versichert, inklusive Fortzahlung des Arbeitslosengeldes bei Krankheit. Der Vertreter einer anderen Versicherung rät: Man könne sich zu Beginn der Arbeitslosigkeit sogar leicht ein bis zwei Wochen gesund melden – auch wenn man krank geschrieben sei. „Erst dann läuft die Maschinerie der Vermittlung an. Dann ist man halt wieder krank“, sagt er. Und die Agentur muss zahlen, nicht mehr die Krankenkasse.