Fußballtrainer Jürgen Klopp ist nur die Spitze des Eisbergs: Immer mehr Männer lassen sich Haare transplantieren. Dabei wird Glatzenträgern mehr zugetraut. Viele Frauen (und Männer) finden das nackte Haupt extrem sexy.

Stuttgart - Der Kummer scheint groß. „Und dann bekam ich Haarausfall“, schreibt ein Mann, „man merkt ganz krass, was es heißt, unattraktiv zu werden. Die Mädchen gucken einem nicht mehr hinterher, man ist unbeliebter. Das Selbstvertrauen leidet.“ Auf nackte Verzweiflung stößt man bei der Lektüre einschlägiger Internetforen für Singles, wo das Thema Haarverlust von allen Seiten beleuchtet wird. Der Leidensdruck vieler Betroffenen scheint groß – und Kleinanzeigen in Fernsehillustrierten versprechen Abhilfe, die dubiose Tinkturen und täuschend echte Toupets im Kampf gegen wachsende Kahlstellen auf dem männlichen Haupt empfehlen.

 

Trainer Jürgen Klopp hat es öffentlich gemacht

Der Fußballtrainer Jürgen Klopp ist einer, der sein Leiden öffentlich gemacht hat, als er vor einem Jahr öffentlich bekannte: Ja! Ich hab mir Haare vom Hinterkopf auf die lichter werdenden Stirnpartien verpflanzen lassen. Der Mann hat eine stattliche Erfolgsbilanz mit seinen 47 Jahren vorzuweisen: Zweimal machte er die Dortmunder Borussen zum Deutschen Meister, wurde mit ihnen als Trainer Champions-League-Finalist, gewann den DFB-Pokal. Man wundert sich: Sind ein paar Lichtungen für ein solches Alphatier tatsächlich ein Thema? Vor allem ist man mit einer Glatze in bester Gesellschaft. Achtzig Prozent der weißhäutigen Männer sind früher oder später davon betroffen, weil sie sich die falschen Ahnen ausgesucht haben. Die Glatze ist nämlich erblich.

Das offene Bekenntnis von Klopp hat den Blick auf männliche Stirnregionen nachhaltig verändert. Promifotos in bunten Blättern werden neuerdings zur privaten Feldforschung missbraucht: Ach, hat der etwa auch. . .? Eine Frauenzeitschrift lud unlängst per Fotostrecke zum Miträtseln ein. Das Ergebnis: Bei George Clooney, David Beckham, Tom Cruise und Brad Pitt soll oben alles natürlich gewachsen sein. Kevin Costner und Mel Gibson haben wahrscheinlich per Operation nachgeholfen. Ganz offensichtlich haben das John Travolta und Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi gemacht, wie Vergleiche von älteren Fotos mit aktuellen Schnappschüssen beweisen. Bei flüchtigem Hinschauen könnte man meinen, sie trügen Badekappen.

Auch Frauen leiden unter Haarausfall

Mit dem Verpflanzen von Haaren wird seit mehr als achtzig Jahren experimentiert – mit stetig wachsenden Erfolgen. Inzwischen ist das Aufforsten kahler Regionen zur Routine geworden, seit etwa zehn Jahren erlebt die Verschönerungsbranche einen Boom. In den USA retten jährlich etwa 250 000 Menschen ihre Haarpracht mit Hilfe einer Operation – zu über achtzig Prozent sind es Männer. Frauen kennen das Problem aber auch: Bei vielen wird das Haar nach den Wechseljahren spärlicher.

Der Verband deutscher Haarchirurgen gibt an, dass sich in Deutschland etwa zehn bis fünfzehn Ärzte „ernsthaft und fast ausschließlich“ mit Haartransplantationen beschäftigen. Vor allem Dermatologen und Chirurgen mit entsprechender Fortbildung bieten das Verfahren an. Pro Jahr würden hierzulande etwa 3000 bis 5000 Eingriffe vorgenommen – Tendenz steigend dank „Klopp-Effekt“. Der hat die Anfragen bei den entsprechenden Spezialisten in jüngster Zeit um immerhin dreißig Prozent ansteigen lassen.

Es muss nicht immer eine teuere Operation sein

„Die Anwuchsrate ordentlich präparierter und korrekt transplantierter Haarwurzeln liegt bei neunzig Prozent“, meint der Verbandssprecher Frank G. Neidel. Ob sich die zeitraubende und teure Prozedur gelohnt hat, stellt sich nach etwa zwölf Wochen heraus, wenn aus den verpflanzten Follikeln neue Haare wachsen. „Das liegt an der Unempfindlichkeit der aus dem Haarkranz entnommenen Wurzeln gegen das männliche Hormon Dihydrotestosteron“, sagt der Mediziner. War die Aktion erfolgreich, wachsen die Haare lebenslang auf den therapierten Regionen.

Doch nicht immer muss es gleich eine teure Operation sein. Speziell bei jüngeren Männern haben sich zwei Wirkstoffe bewährt. Minoxidil, ein Mittel, mit dem auch Bluthochdruck therapiert wird, als auch der Enzymhemmer Finasterid können – richtig und konsequent angewandt – den Haarverlust stoppen.

Schon früher wurde getrickst und geschummelt

Die heutige Männergeneration ist damit die erste, die im Kampf gegen die Glatzenbildung nicht hoffnungslos verloren ist. Ihre Ahnen konnten davon nur träumen. Was haben sie nicht alles versucht, um dem Albtraum zu entfliehen? Extrakte von Birke oder Brennnessel, Esel- und Eigenurin, Massagen mit Kochsalz, das Schlürfen angebrüteter Hühnereier – die Liste der vermeintlichen Wundermittel ist lang.

Trickreich wurde immer schon kaschiert, wenn sich das Symbol jugendlicher Männlichkeit dünn machte: Cäsar setzte sich den Lorbeerkranz auf sein Haupt, im Barock und im Rokoko waren gepuderte Perücken in Mode. Die älteren Herren der Wirtschaftswunderjahre ließen dagegen die verbliebenen Haare lang wachsen und drapierten sie mit mehr oder weniger großem Geschick über die Platte. Ab Windstärke vier blieb man mit dieser Frisur allerdings besser zu Hause.

Ein superkurzer Schnitt kaschiert Lücken

Die Enkel dieser Strähnen-Akrobaten gehen das Problem ganz anders an: Die Varianten „Raspelkurz“, „Vollglatze“ oder „Undercut“ (an den Seiten Stoppeln, das Deckhaar länger) überlisten zumindest optisch das sich ausweitende Problem mit dem gravitätischen Namen Geheimratsecken. Rund um Fußballfelder und Tennisplätze, wo die gut bezahlten Trendsetter toben, hat sich der superkurze Schnitt in den vergangenen Jahren als Einheitslook etabliert. Ob Arjen Robben, der Trainer Pep Guardiola,der Ex-Kicker Mehmet Scholl, der Sportdirektor Matthias Sammer, Serbiens Davis-Cup-Sieger-Team oder die Tennislegende Andre Agassi – alle demonstrieren, dass man auch mit wenig Wolle auf dem Kopf ganz gut leben kann.

Und nicht nur das: ein kahler Kopf ist sogar der Karriere dienlich. Das hat der amerikanische Wissenschaftler Albert E. Mannes herausgefunden. Nachdem sein Haar mit Anfang dreißig immer schütterer geworden war, trat er die Flucht nach vorn an und rasierte sich den Schädel. „Ich merkte, dass mein Umfeld anders auf mich reagierte als vorher“, berichtet er, „Fremde begegneten mir distanzierter, sogar ängstlicher“.

Glatzenträger wirken dominat

Für den Wissenschaftler war die Erfahrung der Ausgangspunkt zu einer viel beachteten Studie. Mannes fand heraus: Glatzenträger werden als dominanter und maskuliner eingeschätzt. Man traut ihnen ein größeres Führungspotenzial als Männern mit normaler Haarpracht zu. Sein Rat: „Wenn man im Job besonders männlich und mächtig rüberkommen will, sollte man es mal mit einer Glatze probieren. Ich glaube, viele Männer wären über die positiven Reaktionen überrascht. Das Schönste daran ist: es kostet nichts und ist nicht unumkehrbar.“