Nach langem Ringen ist nun klar: Der NSU-Ausschuss des Bundestages wird Edward Snowden befragen. Offen sind allerdings die näheren Umstände. Für den Grünen Christian Ströbele, der sich ungefragt als Snowdens Anwalt geriert, ist das ein Erfolg.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Vor dem Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags steht eine einsame Demonstrantin. Sie hat ein Sandwichplakat umgebunden: Pappkarton vor dem Rücken und vor der Brust. Darauf ist eine Szene aus einem der „Star Wars“- Filme zu sehen: Luke Skywalker, der Held jener Erzählungen, auf der Flucht. Dahinter zeichnet sich schemenhaft der Schatten des Bösen ab. Für die Frau mit dem Plakat lassen sich offenbar auch die Verhältnisse in der realen Welt so einfach sortieren. Sie hat auf das Foto einen Appell geklebt: Die Parlamentarier müssten „der richtigen Seite beistehen“. Wen sie für die falsche Seite hält, steht gleich daneben: USA und Großbritannien gefährdeten unsere Freiheit.

 

Mit solchen Fragen wird sich in den nächsten drei Jahren der NSA-Untersuchungsausschuss beschäftigen. Er trifft sich an diesem Donnerstag vier Etagen weiter oben. Auf dem Weg dorthin bekommen die Mitglieder des Gremiums ein Paket mit 190 000 Unterschriften überreicht. So viele Menschen sprechen sich dafür aus, dem Enthüller Edward Snowden „freies Geleit“ zu verschaffen. Exakt darum geht es auch im Sitzungssaal 4900.

Die Randfigur steht im Mittelpunkt

Bevor sich dessen Türen schließen, findet vor laufenden Kameras eine weitere Demonstration statt. Der Grünen-Veteran Hans Christian Ströbele tritt ins Scheinwerferlicht. Seit 1998 gehört er dem Bundestag an. Und er hat seitdem keinen Untersuchungsausschuss ausgelassen. In dem Gremium, das die Hintergründe der NSA-Spionage ausleuchten soll, ist Ströbele offiziell nur eine Randfigur. Seine Partei hat nur einen Sitz. Den hat ein Kollege der kommenden Generation inne, Konstantin von Notz (Jahrgang 1971). Ströbele (Jahrgang 1939) könnte sein Großvater sein. Er selbst ist nur stellvertretendes Mitglied. Er darf eigentlich nur mitreden, wenn von Notz mal krank sein sollte. Dennoch spielt Ströbele gerade die Hauptrolle.

Er hat ein dickes Buch mitgebracht. Wenn es die Bibel wäre, dann könnte es sich um den Auftritt eines Strafpredigers handeln. Doch es ist nur die Strafprozessordnung. Schließlich seien ja unter seinen Kollegen „nicht alle Anwälte“, sagt der Grünen-Senior. Im Klartext soll das heißen: sie hätten keine Ahnung, jedenfalls nicht so viel wie er, der in Prozessen gegen RAF-Terroristen gestählte Strafverteidiger. Ströbele schlägt sein dickes Buch auf und zitiert aus dem Paragrafen 250. Da ist davon die Rede, dass ein Zeuge unmittelbar zu vernehmen sei. Das ist eines der zentralen Argumente der Opposition, wenn es um Edward Snowden und um die Frage geht, ob, wie und wo er als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss Gehör finden soll. Damit hält sich der Ausschuss seit Wochen auf.

Ströbele: „Snowden will in Moskau nicht aussagen“

Hans-Christian Ströbele spricht wie Snowdens Anwalt. Seit er den NSA-Dissidenten Ende vergangenen Jahres in dessen Moskauer Asyl besucht hat, fühlt er sich auch ohne formelles Mandat als solcher berufen. Für Snowden arbeiten jedoch bereits drei andere Anwaltskanzleien. Aber keine so telegen wie Ströbele. Seine wichtigste Mission scheint zu sein, Snowden nach Deutschland zu bringen. Nur hier sei er in der Lage, umfassend die Wahrheit zu sagen, versichert Ströbele. Außer ihm gibt es niemanden in der deutschen Politik, der sich anmaßen könnte, für Snowden zu sprechen. Ströbele ist sich dieses Monopols sehr wohl bewusst. „Er hat mir gesagt, er wolle in Moskau nicht aussagen“, berichtet der Grüne, „das sollten wir respektieren.“

Da nicht alle diese Zielvorgabe zu respektieren bereit sind, erklingen schrille Töne aus dem Untersuchungsausschuss. Ströbeles Kollege von Notz nennt es „bizarr und absurd“, Snowden eventuell doch in Moskau vernehmen zu wollen. Er wolle ihn „persönlich, live und in Farbe“ sehen. Wer dem widerspricht, dem unterstellt er „winkeladvokatische Züge“. Debatten über eine Vernehmung per Videokonferenz wertet er als „ein Stück aus dem Tollhaus“. Würde man ihn beim Wort nehmen, dann hätte dieses „Tollhaus“ einen konkreten Namen: Europäisches Parlament. Die Kollegen in Straßburg haben Snowden nämlich tatsächlich per Video angehört. Argumente gegen eine Einreise nach Deutschland möchte auch die Linke Martina Renner nicht gelten lassen. Schon gar nicht, wenn es um Rücksichtnahme auf die Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika geht. Sie sagt, es gebe „höherwertige Verfassungswerte als bilaterale Wirtschafts- und Sicherheitsfragen zwischen zwei Staaten“. Roderich Kiesewetter, Obmann der Union, wählt ein ähnlich großes Kaliber, wenn er zu begründen versucht, warum er eine Snowden-Vernehmung auf deutschem Boden für völlig tabu hält. Er bewerte „das Rechtsgut der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der Freiheit Snowdens für höher“, sagt der CDU-Mann aus dem Ostalbkreis, der einem ungefragt verrät, das er „bekennender Transatlantiker“ sei.

Für die Regierung ist die Kuh vom Eis

Knapp vier Stunden benötigt der Untersuchungsausschuss, um sich auf einen Satz zu verständigen, den alle zu unterschreiben bereit sind: Snowden wird als Zeuge geladen. Alle weiteren Fragen, die sich daraus ergeben, sollen mit seinem Berliner Anwalt verhandelt werden. Aber die Kontrahenten im Ausschuss haben bereits Antworten parat. Für den Christdemokraten Kiesewetter steht fest, dass eine Vernehmung in Deutschland auszuschließen sei. SPD-Mann Christian Flisek hält sich alle Optionen offen, ist aber schon „froh, dass ein Konsens erzielt werden konnte auf Seiten der Regierungsparteien“. Und die Opposition gibt sich vorerst auch damit zufrieden. Obwohl sie tags zuvor noch angedroht hatte, prompt vor das Verfassungsgericht zu ziehen, wenn ihrem Ansinnen, Snowden postwendend nach Berlin zu holen, nicht vollumfänglich entsprochen werde.

Hans-Christian Ströbele darf sich an diesem Nachmittag zumindest über einen Etappensieg freuen. Er tut dies in demonstrativ bescheidener Art. „Nur einen einzigen Satz“ wolle er in die Mikrofone sprechen, sagt der Alt-Grüne. Wenn Ströbele jedoch zu dozieren beginnt, bleibt es selten bei einem Satz. Es werden zwei. Er sei „sehr weitgehend zufrieden“, sagt er und fügt hinzu: Nun sei die Tür für eine Vernehmung Snowdens in Berlin „mindestens halb offen“. Die Linke Martina Renner ergänzt: Jetzt müsse nur noch die Union aus der Tür heraustreten, dann sei der Weg frei.