Die politischen Ansichten von Ost- und Westdeutschen gleichen sich an. Doch es gibt auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer markante Unterschiede.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Seit einem Vierteljahrhundert gehört auch Thüringen und Sachsen, Cottbus und Rügen zur Bundesrepublik Deutschland. Aber nicht einmal die Hälfte der Ostdeutschen fühlen sich hier „politisch zu Hause“. Das ist einer der eher verblüffenden Befunde einer umfassenden Studie zur Wiedervereinigung in den Köpfen, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt worden ist. Beteiligt daran waren das Zentrum für Sozialforschung in Halle, die Universitäten Stuttgart und Koblenz sowie das Umfrage-Institut Infratest dimap.

 

„Wir sind vereint, aber noch nicht eins“, so fasst Iris Gleicke (SPD), Ost-Beauftragte der Bundesregierung, die Studie zusammen. Es gebe „klare Belege dafür, dass Ost und West seit der Wiedervereinigung im Sinne Willy Brandts zusammenwachsen“. Allerdings unterscheiden sich die Weltbilder bei einigen Fragen auch noch markant.

Beim Frauenbild hat der Westen vom Osten gelernt

Die fortschreitende Angleichung der politischen Ansichten verläuft keineswegs nach dem Muster einer Kolonisierung des Ostens. Auf manchen Feldern hat auch der Westen vom Osten gelernt. Das betrifft zum Beispiel das Frauenbild. In den neuen Bundesländern neigten auch die Männer mehr einer egalitären als einer traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern zu. Hier „durchläuft Westdeutschland eine nachholende Modernisierung des Rollenbildes, ohne dass ein Aufholen erkennbar wäre“, schreiben die Autoren der Studie. Ihr Fazit: „Im Westen der Bundesrepublik hat man sich inzwischen gesellschaftspolitischen Positionen angenähert, die in Ostdeutschland schon länger zum gewohnten Alltag gehören.“

Auch wenn die montäglichen Berichte von Demonstrationen in Dresden und andernorts einen gegenteiligen Eindruck erwecken, gibt es nach Auskunft des Stuttgarter Politikwissenschaftlers Oscar Gabriel „keinerlei Hinweise auf eine Akzeptanzkrise der Demokratie“. Die Ostdeutschen seien mit der demokratischen Ordnung in Deutschland aber weniger zufrieden als ihre Landsleute im Westen. Immerhin sind aber offenbar Lernprozesse zu beobachten. 2007 waren nur 35 Prozent der ehemaligen DDR-Bürger mit der Demokratie in Ostdeutschland zufrieden, inzwischen sind es 72 Prozent. Das Vertrauen in Politiker und Parteien sei hier wie dort gleich schlecht. Vor allem im Osten werde eine „gering eingeschätzte Bürgernähe von Politikern“ bemängelt. 82 Prozent der Ossis und 90 Prozent der Wessis halten die Demokratie aber grundsätzlich für die beste Staatsform.

Die meisten sehen die Wiedervereinigung positiv

Das passt nicht immer zu dem glorreichen Bild von der eigenen Vergangenheit. So sind im Osten immer noch knapp 60 Prozent davon überzeugt, dass der Sozialismus „im Grunde eine gute Idee“ sei. Ein Drittel meint, Sozialismus und Demokratie seien „grundsätzlich ganz gut vereinbar“. Das Urteil über ihr früheres Vaterland fällt uneinheitlich aus. Zwar sind 70 Prozent der Ostdeutschen überzeugt, dass die DDR eine Diktatur gewesen sei. Nur 46 Prozent möchten sie aber als Unrechtsstaat bezeichnen. Mithin glauben viele also, es habe sich um einen diktatorischen Rechtsstaat gehandelt oder um eine rechtsstaatliche Diktatur. Diese Schizophrenie erklären die Urheber der Studie mit dem Umstand, „dass viele Ostdeutsche fürchten, Teile ihrer eigenen Biografie zu entwerten“. Die „partiell wohlmeinende Einschätzung der DDR“ ist aber offenbar eine Generationenfrage. Jüngere Ostdeutsche vertreten dazu Ansichten, die sich von denen ihrer westdeutschen Altersgenossen nicht mehr allzu sehr unterscheiden.

Die meisten haben inzwischen ihren Frieden mit dem politischen Umbruch vor 25 Jahren gemacht. Vier von fünf Deutschen in Ost und West sind gleichermaßen überzeugt, dass die Wiedervereinigung „für Deutschland als Ganzes vorteilhaft“ gewesen sei. Einigkeit herrscht auch darin, dass der Mauerfall und die Angliederung der ehemaligen DDR an die Bundesrepublik mehr Vorteile für Ostdeutschland erbracht hätten. Im Westen ist der Anteil der Bürger, die die Wiedervereinigung für ihre eigene Heimat als nachteilig empfinden, niedriger als im Osten . 77 Prozent der Ossis und 62 Prozent der Wessis sagen, sie hätten persönlich Vorteile davon gehabt.

Die komplette Studie mit allen Details wird im Herbst von der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht.