Die Gegner von Stuttgart 21 verbinden die beiden Zentralen der großen Volksparteien miteinander. Der Vorsitzende Schmid stellt sich dem Protest.

Stuttgart - Noch nie ist der Schwabenstreich so in die Breite gegangen. Pünktlich um 19 Uhr ertönten zwischen Rotebühl- und Wilhelmsplatz die Trillerpfeifen und Vuvuzelas, die Pauken und Rasseln. Eine bunte Menschenkette aus Schülern, Familien, Geschäftsleuten und Rentnern, viele mit grasgrünen Luftballons mit der Aufschrift "Oben bleiben", hatte sich gebildet. Sie verbanden die beiden Landesgeschäftsstellen der CDU am Rotebühlplatz und der SPD am Wilhelmsplatz, unter dem Motto "Wir reichen Euch die Hand zum Ausstieg".

Vor der SPD-Zentrale am Wilhelmsplatz überreichte Gangolf Stocker vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 einen Brief an den Landesvorsitzenden Nils Schmid, in dem die Gegner die Partei aufforderten, sich für einen Baustopp einzusetzen und in einen konstruktiven Dialog einzutreten.

"Es ist schwer, Gespräche zu führen, wenn der Abrissbagger am Nordflügel zu Gange ist", so Stocker. Schmid erklärte, dass er sich für einen Baustopp bis zu einem verbindlichen Volksentscheid einsetzen wolle – auch wenn er in der Sache für Stuttgart 21 sei, wie seine Partei: "Mich überzeugen die Pro-Argumente mehr," sagte er und erntete damit laute Buh-Rufe und Pfiffe. Bei der CDU stieß das Aktionsbündnis mit dem gleichen Brief auf verschlossene Türen – keiner wollte das Schreiben in Empfang nehmen.

In zwei Demonstrationszügen zogen die Menschenmassen zum Schlossplatz: der eine über die Theodor-Heuss- und die Bolzstraße, der andere über die Hauptstätter Straße und die Planie. Die Veranstalter nannten "genau 69.112 Teilnehmer", die sie durch Klickzähler festgestellt haben wollten. Die Polizei schätzte nach Luftbildern die Zahl der Demonstranten auf 35.000.

Auch bei der Kundgebung war die Volksabstimmung das zentrale Thema: "Es muss in diesem Land entschieden werden," erklärte Winfried Hermann, Bundestagsabgeordneter und Verkehrsexperte der Grünen. "Sie tun so, als sei alles schon entschieden und sagen uns, wir hätten kein Respekt vor demokratischen Verfahren." Aber weder Stuttgart 21 noch die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm sei in allen Teilen rechtskräftig planfestgestellt, sagte der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag. Die Trasse nach Ulm sei die "teuerste und riskanteste Neubaustrecke Europas". Es sei sinnlos und unvernünftig, eventuell zehn Milliarden Euro für eine Strecke auszugeben, die steiler sei als die alte Geislinger Steige.

Die Menschenkette und die anschließende Demonstration blieben friedlich. Die Polizei, die mit mehreren Hundertschaften im Einsatz war, leitete den Verkehr großräumig um, die B14 zwischen Heslacher Tunnel und Bad Cannstatt und die Kreuzung am Arnulf-Klett-Platz waren am Freitag jedoch nicht beeinträchtigt, sodass es nur zu kleineren Staus kam.

Nicht alle Teilnehmer der Demonstration glauben daran, dass ihre Meinung wirklich gefragt wird. Tanja und Udo Kirchhofer finden, "ein Volksentscheid wäre eine gute Sache, wenn er tatsächlich kommen würde". Aber dieser Vorschlag sei doch nur der bevorstehenden Landtagswahl geschuldet." Trotzdem demonstrieren sie jeden Freitag weiter: "Wir wollen unserem Sohn und seinen Kameraden zeigen, was Demokratie bedeutet."

Das sieht Sascha Kynast anders: "Das Projekt ist so gut wie tot. Die Zeiten, in denen die Politiker einfach etwas beschließen und durchwinken können, sind vorbei, das zeigt sich jeden Montag und Freitag." Er selbst ist seit April regelmäßig unter den Demonstranten und will weiter auf die Straße gehen: "Ich protestiere so lange, bis dieses unselige Projekt begraben wird."

"Wir haben inzwischen auch eine große Unterstützung aus dem ganzen Land," sagte Gerhard Pfeifer vom Aktionsbündnis. Zahlreiche Gegner seien aus Aalen und Heilbronn, aus Oberschwaben und Ulm angereist, sogar aus dem Badischen – aus Karlsruhe – sei eine Delegation gekommen. Den Grund sieht Pfeifer in der überregionalen Berichterstattung, die erst jetzt mit dem Baubeginn und den Protesten angefangen habe.

Die Gegner wollen ihren Protest nun noch verstärkt nach Berlin tragen: Eine Abordnung des Aktionsbündnisses will zur ersten Lesung des Haushalts im Bundestag am 17. September nach Berlin fahren.