Wie viele kommen wirklich zu Stuttgart-21-Demos? Das Misstrauen von Projektgegnern und Polizei in die jeweiligen Zählmethoden ist groß.

Stuttgart - Am Samstag wollen auf der ersten von drei Großkundgebungen bis zum Wahltag am 27. März die Gegner des geplanten Bahnprojekts Stuttgart 21 einmal mehr ihren Protest öffentlich zeigen. Die Veranstalter hoffen dabei auf Zehntausende aus dem ganzen Land, die Befürworter dagegen setzen darauf, dass der Schlichterspruch von Heiner Geißler die Lust der Bürger am Demonstrieren gedämpft hat. Vor dem Hintergrund der Landtagswahl kommt der Zahl der Demonstranten eine besondere politische Bedeutung zu, sie wird entsprechend interpretiert. So freuten sich schon kurz nach der Schlichtung bekennende Stuttgart-21-Fans auf Facebook, die Zahl der Montagsdemonstranten habe deutlich nachgelassen. Die Projektgegner konterten mit Häme: Bei einer ihrer letzten Kundgebungen hätten die Befürworter 2000 Schaufeln geordert, die sie symbolisch verteilen wollten. Rein rechnerisch hätte jeder der 400 erschienenen Demonstranten fünf Schaufeln mit nach Hause nehmen können, hieß es.

Tatsache ist: die Angaben bezüglich der Teilnehmerzahlen bei Anti-Stuttgart-21-Kundgebungen differieren erheblich, so auch nach der jüngsten Montagsdemonstration. Während das Aktionsbündnis 6500 Menschen vermeldete, sprach die Polizei von weniger als 3000 Demonstranten. Die von Projektgegnern immer wieder geäußerte Vermutung, die Polizei rechne die Zahlen herunter, erhält durch einen abgehörten Funkspruch neue Nahrung: Nach StZ-Infomationen hatte ein Einsatzleiter am Bahnhof am Montagabend an seine vor dem Landtag postierten Kollegen die Zahl 6000 durchgegeben. Auf Nachfrage bestätigten die Beamten am Landtag, es handele sich um die offiziellen Polizeizahlen.

Polizeisprecher Olef Petersen erklärt auf Anfrage, dass "im Funkverkehr immer wieder unterschiedliche Zahlen kursieren" und nennt ein Extrembeispiel: Bei einer Kundgebung im vergangenen Sommer hätten Kollegen vor Ort die Zahl der Demonstranten auf 25.000 geschätzt und dies ebenfalls per Funk durchgegeben. Während die Veranstalter 18.000 Menschen gezählt haben wollten, ergab eine eigens veranlasste Nachzählung der Polizei schließlich die Zahl 7500. "Klar können auch wir manchmal daneben liegen - wir sind schließlich nicht Jesus", sagt Petersen. Ein Kleinrechnen der Zahlen, womöglich aufgrund politischer Weisungen, gebe es "definitiv nicht". Man schätze vielmehr "nach bestem Wissen und Gewissen", versichert Petersen.

Beide praktizierten Methoden können nicht genau sein


Wie schwer es ist, im Gewühl vor Ort den Überblick zu behalten, hat ein Experiment auf dem Kölner Weihnachtsmarkt gezeigt. Das TV-Magazin "Planetopia" ließ zunächst Passanten ihre Schätzungen abgeben. Anschließend analysierte der Katastrophenforscher Dirk Oberhagemann anhand von Videoaufnahmen die Anzahl der Marktbesucher. Ergebnis: vermutete und tatsächliche Besucherzahlen klafften weit auseinander - es flanierten laut Oberhagemann viel weniger Leute pro Stunde zwischen den Marktständen als von den Besuchern vermutet.

Seine Zählweise ähnelt jener der Stuttgarter Polizei. Die Aufstellfläche wird vermessen, eine maximale Zahl von vier Personen pro Quadratmeter unterstellt. Dann prüfen Beamte vor Ort, wie dicht die Menschen stehen. Anschließend wird hochgerechnet und abgeschätzt. Die Projektgegner setzen dagegen auf Handzähler - eine Methode, der wiederum die Polizei misstraut. "Da werden auch normale Passanten, Bahnfahrgäste oder Menschen, die zu Bushaltestellen wollen, mitgezählt", sagt Petersen.

Eine ganz einfache Methode, die zu relativ exakten Ergebnissen führen müsste, wäre es, die Teilnehmer einer Demonstration etwa über den Cityring in Zehnergruppen durch eine Art Schleuse marschieren zu lassen - Polizei und Aktionsbündnis könnten sogar gemeinsam zählen. Während die Stuttgart-21-Gegner immerhin über ein solches Verfahren nachdenken wollen, bleibt die Polizei skeptisch. "Unsere Methode kommt der Wahrheit am nächsten", sagt Olef Petersen.