Peter Sturm, einer der drei Geschäftsführer der Bahn-Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm, die den neuen Stuttgarter Bahnknoten und die Schnellfahrstrecke nach Ulm baut, hält die Kritik der Prüfbehörde für verfehlt.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Vorige Woche hat der Bundesrechnungshof Berichte zu Stuttgart 21 dem Bundestag sowie dem Finanz- und Wirtschaftsministerium übergeben. Teile unterliegen der Geheimhaltung.

 
Herr Sturm, wenn stimmt, was kolportiert wird, kommt der Bundesrechnungshof inzwischen auf Kosten von zehn Milliarden Euro für Stuttgart 21. Der Betrag liegt 3,5 Milliarden über dem, was Sie bei der jüngsten Bestandsaufnahme des Projekts ermittelt haben. Wer hat sich verrechnet?
Ich kann nur beurteilen, was wir errechnet haben. Und das ist selbstverständlich richtig. Wir stecken tief in den einzelnen Themen und bewerten die Projektkosten mit wachsendem Baufortschritt auf einer stetig genauer werdenden Grundlage. Wir haben uns angesehen, wo unsere großen Verträge stehen. Und wir haben uns auch die Risiken angesehen und diese abgeschätzt. Der Bundesrechnungshof hat keine auch nur im Ansatz vergleichbare Projektprüfung vorgenommen. . .
. . .sondern?
Der Bundesrechnungshof hat eine Ferndiagnose abgeliefert, um die Tätigkeit der Aufsichtsräte zu prüfen. Zuletzt waren Mitarbeiter des Bundesrechnungshofs im Februar 2014 hier bei uns bei der DB Projekt Stuttgart-Ulm – vor mehr als zweieinhalb Jahren. Damals wurden alte Unterlagen gesichtet. Die zum 1. September 2013 gegründete DB Projekt Stuttgart-Ulm war gerade mal ein halbes Jahr alt und die neue Geschäftsführung genauso lange im Amt. Der Bundesrechnungshof hat sich bei uns zumeist bereits damals veraltete Unterlagen angeschaut.
Gehört zu diesen Unterlagen nicht auch Ihr Bericht vom Juni dieses Jahres, als die Bestandsaufnahme der Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm dem Aufsichtsrat zur Kenntnis gegeben wurde?
Ich weiß nicht, bis wann genau die Berichte herangezogen wurden. Schließlich kennen wir nicht den finalen Bericht des Bundesrechnungshofs, aber die Grundlage sind Unterlagen aus der Vergangenheit. Im Wesentlichen hat er sich mit dem Stand von 2013 beschäftigt. Das war nach meinem Kenntnisstand der Prüfungsschwerpunkt. Viele Informationen, die die Basis für unsere aktuelle, detaillierte und umfängliche Bestandsaufnahme der Termin- und Kostensituation des Projekts sind, hat der Bundesrechnungshof nicht und hat darüber auch nie mit uns gesprochen. Und deswegen verwundert es schon, wenn er angeblich eine aktuelle Abschätzung über die Kostenhöhe gemacht haben soll.
Sie haben für Ihre Bestandsaufnahme ein gutes halbes Jahr gebraucht, der Bundesrechnungshof hat sich dafür drei Jahre Zeit gelassen. Da liegt doch die Vermutung nahe, dass sich die Prüfer die Sache etwas genauer angesehen haben.
Genau diese Vermutung führt völlig in die Irre. Es wurde der Eindruck erweckt, Prüfer des Bundesrechnungshofes hätten uns hier drei Jahre lang auf die Finger geschaut. Das ist schlichtweg falsch. Wir gucken uns laufend den Status des Projekts an. Unsere Bestandsaufnahme war nochmals vertiefend, um die Terminsituation zu untersuchen. Der Bundesrechnungshof hat drei Jahre lang zumeist alte Unterlagen gelesen, darunter wohl einige im Kontext zu der Aufsichtsratssitzung im März 2013, als der Aufsichtsrat den Finanzierungsrahmen für Stuttgart 21 auf 6,526Milliarden Euro erhöhte. Da kann man wahrlich nicht von einer aktuell vertieften Prüfung sprechen. Warum der Bundesrechnungshof für seinen Bericht drei Jahre gebraucht hat, vermag ich nicht zu sagen. Ein Austausch über unsere Bestandsaufnahme hat jedenfalls nicht stattgefunden.
Außer den Aufsichtsratsunterlagen hat der Bundesrechnungshof keine weiteren Dokumente der Projektgesellschaft gesichtet?
Wenn es Anfragen von Aufsichtsräten an uns gab, hat der Bundesrechnungshof womöglich auch unsere darauf erteilten Antworten angesehen. Das sind im Übrigen auch ganz überwiegend die Unterlagen, die die Projektpartner hatten. Und auf dieser Grundlage kann ich mir nicht vorstellen, wie man zu einer angeblichen Kostenschätzung von zehn Milliarden Euro kommen kann, denn die ergibt sich aus diesen Papieren ganz gewiss nicht. Ein solches Projekt entwickelt sich laufend. Man muss sich einzelne Risiken ansehen, die sich etwa aus dem Projektverlauf, aus der Terminsituation, aus der Geologie ergeben. Dann kann man den Projektstatus ermitteln und gerne mit uns darüber diskutieren. Sonst nicht.
Hatten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens die Erkenntnisse des Bundesrechnungshofs zu bewerten und Ihre Sicht der Dinge darzulegen?
Wir hatten eine sogenannte Sachverhaltszusammenfassung vom Bundesrechnungshof gesehen und dazu eine Stellungnahme abgegeben. Das ist aber lange her.
Wie lange?
Herbst 2015.
Und Ihre Stellungnahme dazu hatte welchen Tenor?
Wir haben die Gesamtkostenschätzung der DB von Anfang 2013 erläutert.
Der Bundesrechnungshof hat sich aber nicht nur die Rolle der Aufsichtsräte angesehen, sondern auch die Kostensituation durchleuchtet. Auf welchen der Berichte bezog sich Ihre Stellungnahme?
Ich weiß nicht, wie viele Prüfberichte es gibt. Ich weiß nur, dass er in dem einen Prüfmandat sich angeschaut hat, ob die Entscheidung der Aufsichtsräte, als der Finanzierungsrahmen auf 6,526 Milliarden Euro geweitet wurde, auf einer guten Grundlage gefußt hat. Das war in der Sitzung vom 5. März 2013.
Und die Prüfer des Rechnungshofes waren in Stuttgart, um die Unterlagen zu sichten?
Ja, sie waren – wie gesagt – im Februar 2014 auch mal hier, um sich die Aufsichtsratsunterlagen erläutern zu lassen. Danach nicht mehr.
Der Bundesrechnungshof ist ja nicht der einzige, der sich die Zahlen angesehen hat. Die erste Bewertung Ihrer Bestandsaufnahme war durch die Prüfer von PricewaterhouseCoopers (PWC), die zweite läuft derzeit auf Wunsch des Aufsichtsrats durch KPMG. Gibt es da schon Erkenntnisse, zu welchem Schluss die Prüfer gekommen sind?
PWC prüft jedes Quartal unseren Aufsichtsratsbericht und sie haben ihn bislang auch immer für plausibel gehalten. Wir haben jedes Quartal die Bestätigung für die Kosten- und Risikoabschätzung bekommen. Der Bericht von KPMG und Ernst Basler liegt noch nicht vor, eine absolut unabhängige Prüfung im Auftrag des Aufsichtsrats, der sich damit am 13. Oktober beschäftigen wird. Unsere aktuelle Kostenschätzung hat Hand und Fuß. Ich erwarte deshalb von der Prüfung keine Überraschungen. Wir liegen selbst dann im bewilligten Finanzierungsrahmen von 6,526 Milliarden Euro, wenn alle neu identifizierten Kostenrisiken eintreten würden.
KPMG und Ernst Basler sind Wirtschaftsexperten und keine Mineure. Macht das die Prüfung nicht angreifbar?
Die Prüfer gelten als die führenden Experten zur Untersuchung von derart komplexen Projekten.
Von wo dräut die größere Gefahr für Stuttgart 21? Vom Bericht des Bundesrechungshofes oder den Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften?
Von keinem der beiden. Wer vergangenen Freitag bei der Grundsteinlegung war, weiß, dass Stuttgart 21 selbstverständlich zu Ende gebaut wird.
Ärgert Sie es, dass diese Diskussion im Vorfeld der Grundsteinlegung für den neuen Hauptbahnhof hochgekocht ist?
Das sind Zeitenläufe, die man nicht beeinflussen kann. Ich will auch gar nicht spekulieren, warum das just nun hochkommt. Für uns ist die Grundsteinlegung jedenfalls ein großer Schritt.