Die Deutsche Bahn hat erneute Mehrkosten und Risiken von bis zu 2,3 Milliarden eingeräumt. Der Aufsichtsrat prüft das neue Zahlenwerk und will in einer Sondersitzung Anfang 2013 über die Zukunft des Verkehrsprojekts entscheiden.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Stuttgart 21 könnte bis zu 6,8 Milliarden Euro kosten – und damit nochmals bis zu 2,3 Milliarden mehr als geplant. Diese gravierende Kostensteigerung hat die Bahn am Mittwoch bei einer Aufsichtsratssitzung in Berlin eingeräumt. Die Kontrolleure des größten deutschen Staatskonzerns wollen das neue Zahlenwerk und den Vorschlag der Bahn-Spitze prüfen, dass der bereits hochverschuldete Konzern selbst weitere 1,1 Milliarden Euro für S 21 ausgibt.

 

Bemerkenswert ruhig und betont gelassen präsentierte der Bahn-Vorstand Volker Kefer den Medien in Berlin die neue Kalkulation. Seine „Kernbotschaften“ hatte er zuvor nebenan im Bahn-Tower dem Aufsichtsrat vorgestellt. Das Gremium reagierte alles andere als erheitert und will über die Zukunft von S 21 nun in einer Sondersitzung Anfang nächsten Jahres entscheiden. „Das war kein Zuckerschlecken für die Bahn“, heißt es in Regierungskreisen, wo man über den neuen Ärger nachhaltig verstimmt ist.

Was Kritiker schon lange vorhersagen, ist eingetreten

Denn was Kritiker lange schon vorhersagen, ist nun eingetreten: Stuttgart  21 wird nochmals exorbitant teurer. Trotzdem sei das Projekt noch wirtschaftlich, beteuerte Kefer, ohne Beweise dafür vorzulegen. Klar ist: falls sich S 21 für den Konzern nicht mehr rechnet, müsste der Aufsichtsrat schon aus Haftungsgründen seine Zustimmung zum Weiterbau verweigern.

Und das umso mehr, da der Staatskonzern nun selbst voll ins Risiko gehen will. Der Konzernvorstand um Rüdiger Grube hat dem Aufsichtsrat vorgeschlagen, dass die DB einen großen Teil der bereits festgestellten Mehrkosten trägt und die finanzielle Beteiligung von 1,7 auf 2,8 Milliarden Euro erhöht. Ob die Kontrolleure des Staatskonzerns zustimmen, ist offen.

Noch immer gilt das Wort der Kanzlerin

In Koalitions-, Ministeriums- und Gewerkschaftskreisen rumort es je- denfalls gehörig. Dort haben viele den Kalkulationen der Bahn-Spitze vertraut. Nun zeigen sie sich völlig überrascht, dass das angeblich „bestgeplante Bahn-Projekt“ immer weiter aus dem Ruder läuft. Allerdings gelte noch immer das Wort der Kanzlerin, heißt es. Angela Merkel hatte S 21 einst zum Beweis erklärt, dass solche Großprojekte in Deutschland auch gegen Widerstand noch durchzusetzen seien.

Das teure Vorhaben könnte nun aber weniger am hartnäckigen Widerstand der Gegner als vielmehr an den wiederholten Fehlplanungen und katastrophalen Falschkalkulationen der Bauherrin scheitern. Nach dem neuen „Finanzierungsrahmen“ soll das Projekt nun 5,626 Milliarden Euro kosten. Einst war von 2,8 Milliarden Euro die Rede. Im Aufsichtsrat und von der Politik beschlossen waren bisher maximal 4,526 Milliarden Euro. Nun will die Bahn 1,1 Milliarden Euro dazugeben. Der Grund: externe Berater unter Leitung von McKinsey haben das bisherige Zahlenwerk geprüft, das Experten seit Jahren als schöngerechnet kritisieren. Offenbar zu Recht: denn die Berater entdeckten allein 610 Millionen Euro Bau- und Planungskosten, die bis jetzt in der Kalkulation des Konzerns gar nicht enthalten sind.

Kefer muss sich unangenehme Fragen gefallen lassen

Weitere 490 Millionen Euro wurden als nicht realisierbare Einsparpotenziale identifiziert, was Kefer eher nebenbei erwähnte. Doch nur wegen angeblich identifizierter Einsparpotenziale von 900 Millionen Euro hatte die Bahn vor der Volksabstimmung die Kosten auf 4,5 Milliarden Euro herunterrechnen können. Kein Wunder, dass sich Kefer im Aufsichtsrat unangenehme Fragen gefallen lassen musste. „Wir sind über diese Kostenexplosion schon sehr erstaunt und werden uns das neue Zahlenwerk sehr genau anschauen“, heißt es in Kreisen der einflussreichen Bahngewerkschaft EVG, deren Vorsitzender Alexander Kirchner Vizechef des Kontrollgremiums ist. Schließlich müssen die Arbeitnehmer befürchten, dass die Milliardenkosten den Konzern so belasten, dass auch bei der Belegschaft gespart werden muss.

Erst neun von 59 Planfeststellungsverfahren sind abgeschlossen

Kefer betont, dass die Finanzierung der Mehrkosten aus Eigenmitteln der DB sichergestellt werden könne. Auf Nachfrage hieß es, dass dann weniger Geld für den von Grube versprochenen Abbau des Schuldenbergs zur Verfügung steht. Rund 100 Millionen Euro für den Schuldenabbau könnten pro Jahr fehlen, so Kefer.

Dabei bleibt es wohl kaum: Neben den feststehenden Mehrkosten haben die Berater fast 800 Millionen Risiken durch „externe Einflussfaktoren“ ermittelt. Dazu gehören Zusatzleistungen aus Schlichtung und Filderdialog, an denen sich das Land und die anderen Projektpartner nicht beteiligen wollen. Dazu rechnet die Bahn mit bis zu 400 Millionen Euro Mehrkosten durch weitere Verzögerungen wegen langwieriger Verfahren. Erst neun von 59 Planfeststellungsverfahren sind abgeschlossen, teils haben sie vier Jahre länger als kalkuliert gedauert. Keine guten Aussichten, da ein juristischer Streit über die sogenannte Sprechklausel, also die Aufteilung der Mehrkosten unter den Projektpartnern, droht.