Das Bundesverkehrsministerium hält im "Bedarfsplan Schiene" die Trasse Wendlingen–Ulm für wirtschaftlich. Kritiker sehen das anders.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)
Berlin - Das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart-Ulm rechnet sich nur, wenn der bisher schrumpfende Güterverkehr auf dieser Strecke stark wächst. Das zeigt die mit Spannung erwartete Wirtschaftlichkeitsberechnung des Bundes, die der Stuttgarter Zeitung exklusiv vorliegt.

Am Donnerstag wird Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) in Berlin den neuen "Bedarfsplan Schiene" vorstellen, der einiges Aufsehen erregen wird. Denn darin wird die Wirtschaftlichkeit und damit Machbarkeit der 60 Neubauprojekte des Bundes neu bewertet. Hintergrund: die bisherigen Rechnungen sind veraltet, und das Geld reicht wegen der Sparzwänge bei weitem nicht so weit wie bisher geplant. Damit droht vielen Vorhaben die Verschiebung um Jahrzehnte.

Wirtschaftlichkeit nur knapp gegeben


Als hochbrisant gelten besonders die Kalkulationen für das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm, dessen Nutzen viele Kritiker wegen der hohen Kosten von offiziell sieben Milliarden Euro bezweifeln. Die aktualisierten Zahlen liegen der StZ vor. Demnach ist die Wirtschaftlichkeit der ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm, ohne die Stuttgart 21 » sinnlos wäre, nur knapp gegeben. Das Bundesverkehrsministerium geht demnach von einem Nutzen der ICE-Strecke von insgesamt 3,085 Milliarden Euro aus. Die Kosten werden abgezinst mit 2,531 Milliarden Euro angegeben. Dadurch entsteht ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 1,2. Diese Zahl gilt bei Verkehrsexperten als sehr niedrig. Straßenprojekte werden kaum realisiert, wenn diese Zahl nicht mindestens bei 3 liegt, also den dreifachen Nutzen bringt.

Diesen Nutzen bringt Ramsauers neuen Berechnungen zufolge der viergleisige Ausbau der Rheintalbahn. Dort fehlen seit Jahren Kapazitäten für den stark wachsenden Güterzugverkehr zwischen den Nordseehäfen und dem Mittelmeer. Die Wirtschaftlichkeit des Ausbaus der Rheintaltrasse wird mit 2,9 angeben. Der bereits 1987 begonnene Ausbau hat aber riesige Verspätung, die komplette Fertigstellung könnte mangels Geld noch Jahrzehnte dauern.

Die Wirtschaftlichkeit der geplanten ICE-Strecke nach Ulm liegt mit 1,2 weit darunter. Kritiker halten die Zahl für geschönt und bezweifeln, dass die Trasse überhaupt je wirtschaftlich sein wird. Nur mit einem massiven Zuwachs an Güterverkehr zwischen Stuttgart und Ulm werden sich die hohen Kosten für die Trasse rechnen. Denn das Ministerium kalkuliert Nutzeneffekte durch Frachtverkehr von 750 Millionen Euro mit ein. Ohne diese Effekte wäre die Strecke mit nur noch 2,3 Milliarden Euro Nutzen deutlich unwirtschaftlich, der Wert läge den Unterlagen zufolge nur noch bei 0,92. Der Bau wäre angesichts anderer Engpässe politisch kaum zu rechtfertigen und laut Bundeshaushaltsordnung nicht zulässig.

Trickserei mit fiktiven Zügen?


In Ramsauers Rechnung wird sogar ein doppeltes Wachstum des Frachtverkehrs unterstellt. Zum einen erwartet das Ministerium, dass künftig 17 "leichte Güterzüge" pro Tag auf der Neubaustrecke verkehren. Allerdings gibt es diese leichten Güterzüge bis heute nicht, obwohl seit dreißig Jahren davon die Rede ist. Zum zweiten soll auf der bisherigen Altstrecke der Güterverkehr um 30 Prozent steigen, weil der Fernverkehr künftig auf der Neubaustrecke rollen könnte und Kapazitäten frei würden. Allerdings könnten schon heute viel mehr Züge die Strecke über den Albaufstieg an der Geislinger Steige nutzen. Wegen des großen Anstiegs rollen viele Ost-West-Verkehre aber schon jetzt bevorzugt über alternative Strecken wie Würzburg. "Daran wird sich nichts ändern, wenn die ICE-Strecke gebaut würde", kritisiert der Verkehrsexperte der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter. Das Frachtaufkommen auf der Altstrecke habe sich in den letzten Jahren halbiert und sei damit massiv gesunken. Es gebe daher keinerlei vernünftige Begründung, in Zukunft von einem Anstieg von sagenhaften 30 Prozent auszugehen.

"Wie erwartet wird die ICE-Trasse mit allen Tricks schön gerechnet, um Stuttgart 21 zu retten", so Hofreiter. Die Trickserei mit fiktiven Zügen habe unselige Tradition. Schon die umstrittene Trasse Nürnberg-Ingolstadt sei mit der falschen Berechnung durchgesetzt worden, dass bis zu 90 Güterzüge pro Tag die Trasse nutzen würden. "Tatsächlich aber fährt dort bis heute kein einziger Frachtzug", so Hofreiter.

Update:
Ein Sprecher von Landesverkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) konnte die Zahl am Mittwoch auf dapd-Anfrage nicht bestätigen. Sollte der Wert allerdings bei 1,2 liegen, bedeute das weiterhin grünes Licht für die Neubaustrecke. "Ab 1 kann realisiert werden", sagte er.

Ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums dementierte das angegebene Verhältnis von 1,2 nicht. Er erklärte: "Die Annahmen, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis unter den Faktor 1 fallen kann, sind falsch." Es sei abwegig, die Effekte des Güterverkehrs auf der Altstrecke und der Neubaustrecke herauszurechnen. Überdies sei in dem Gutachten kein Anstieg des Güterverkehrs auf der Altstrecke um 30 Prozent unterstellt. Es sei "nicht zielführend, vor der Vorstellung der Ergebnisse mit wilden Vermutungen die Öffentlichkeit zu verunsichern".