Was in der Toskana begonnen hat, ist dem Stuttgarter Projekt sehr ähnlich – bis hin zu den Protesten.

Florenz - Die Gegner nennen es "die nutzloseste Geldverschwendung", die Florenz je erlebt habe; die Befürworter sprechen von einem "unerlässlichen, längst überfälligen Projekt zur Modernisierung der Toskana". Und die italienischen Staatsbahnen hoffen, einen der letzten Knoten im nationalen Hochgeschwindigkeitsnetz endlich durchhauen zu können.

Die Bagger sind schon da


Die Bagger sind bereits aufgefahren. Sie graben das Startloch für den gigantischen "Maulwurf", der sich von Februar 2011 an unter dem Zentrum der weltberühmten Kunst- und Kulturstadt durchfressen soll. Zwei parallele Tunnels von sechs Kilometer Länge soll er wühlen; unterwegs wird er, in 25 Metern Tiefe, auf die Baustelle für den neuen Hauptbahnhof treffen, den der britische Architekt Norman Foster (Reichstag Berlin) unter einem Glasdach als eine Art lichte U-Bahn-Station entworfen hat.

Zweck des Vorhabens ist es, zur Steigerung der Reisegeschwindigkeit den bisherigen Kopfbahnhof von Santa Maria Novella zu umfahren. 1,5 Milliarden Euro soll das Projekt verschlingen. Und eigentlich sollte es, wie der Rest der 300-Stundenkilometer-Trasse zwischen Mailand und Rom, bereits fertig sein. Nach etlichen politischen und finanziellen Verzögerungen peilt man die Vollendung nun für das Jahr 2015 an.

Industrie und Gewerkschaften dafür


Industrie und Gewerkschaften stellen sich unumwunden auf die Seite von "Florenz 21". Bei anderen weiß man nicht so recht, was sie wollen. Matteo Renzi, der 35-jährige Oberbürgermeister beispielsweise: Leistet er deswegen Widerstand, weil er das Projekt verhindern will? Oder legt er es nur darauf an, so viele milliardenschwere Gegenleistungen für seine Stadt zu erhalten wie nur möglich?

Dem sozialdemokratischen Jungpolitiker schwebt vor, das Zentrum von Florenz weitgehend autofrei zu machen; von den Staatsbahnen verlangt er, sie sollten ihm alle dafür erforderlichen Straßenbahnen finanzieren. Notfalls droht Renzi, weil das tatsächliche Tunnelprojekt vom genehmigten erheblich abweiche, die Baugenehmigungen zu versagen.

Die tatsächlichen Gegner von "Florenz21" - Umweltschützer, Geologen und Kirche vor allem - befürchten gravierende Schäden an historischen Bauwerken und an Wohngebäuden. Teresa Crespellani, Dozentin für Ingenieurwissenschaften an der Uni Florenz, warnt vor einer "Einsturzkatastrophe wie in Köln", weil der geologisch recht gemischte Florentiner Untergrund "unberechenbar" sei.

Bürger verlangen Baustopp


Crespellani und die Bürgerkomitees befürchten eine Senkung des Grundwasserspiegels, die zum Zusammenbruch von Gebäuden führen könnte. 105 Anwohner haben deswegen Klage bei Gericht erhoben; sie verlangen einen Baustopp oder, alternativ, die Einrichtung eines riesigen Entschädigungsfonds. Nun hat die regierungsamtliche "Umweltbeobachtungsstelle" den Kreis der mutmaßlich gefährdeten Häuser erweitert: Hatte das zuständige Bauunternehmen von 227 "zu beobachtenden Bauten" gesprochen, gelten nun 2000 Wohn- und Geschäftsblocks als Problemfälle. Das betrifft 30000 Florentiner.

Eine Umweltverträglichkeitsprüfung gibt es erst für die Hälfte des Aushubmaterials; wo der Rest bleiben soll, ist offen. Dass das Projekt in fünf Jahren fertig sein wird, glaubt kaum jemand. Die Tunnelgegner rechnen mit "zehn Jahren schwerster Behinderungen für das Florentiner Stadtleben". Immerhin: denkmalwürdigen Gebäuden geht es nicht an den Kragen. Der Bahnhof von Santa Maria Novella bleibt erhalten. 1,5 Kilometer vom künftigen Hochgeschwindigkeitsbahnhof Belfiore entfernt, wird er auch künftig das Zentrum für den Nahverkehr sein. Und: seine in Italien viel gelobte "rationalistische Architektur" aus der Zeit von "Duce" Mussolini soll nach einer sündhaft teuren Rundumrenovierung neu erstrahlen - als riesiges Einkaufszentrum.