Der Waldheimverein Gaisburg engagiert sich seit mehr als 100 Jahren politisch und für Arbeiterfamilien.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

S-Ost - Die Lage ist Segen und Fluch zugleich. Vom Waldheim Gaisburg hat man eine traumhafte Aussicht über den Stuttgarter Osten und die Neckarvororte. An schönen Tagen kann man vom Biergarten bis nach Ludwigsburg schauen. „Die Aussicht ist unser schönstes Kapital“, sagt Dieter Lachenmayer, der seit mehr als 20 Jahren der Vorsitzende des Waldheimvereins ist. Die Lage hat jedoch auch Nachteile: Das Waldheim liegt versteckt unterhalb der Waldebene Ost und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu erreichen. Sonntags ist sogar die Straße dorthin für Autos gesperrt. Zufällig kommt also kaum jemand am Waldheim vorbei.

 

Auch der ursprüngliche Gedanke der Waldheime ist nicht mehr ganz zeitgemäß. Am Anfang, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, stand ein Traum, der nach und nach zu einer realistischen Idee wurde. Der Traum war, der Not des Alltags zu entrinnen und ein anderes, selbstbestimmtes Leben zu führen. Die Besitzlosen sollten einen Ort für sich bekommen. Zu diesem Zweck gründete Friedrich Westmeyer, SPD-Landtagsabgeordneter und Redakteur des Schwäbischen Tagblatts, die Arbeiter-Waldheime.

Der Stuttgarter Waldheimidee lag der Gedanke zu Grunde, den Arbeiterfamilien mehr Möglichkeiten für Freizeit und Erholung zu schaffen. „Besonders die Wohnungsnot im Osten war ein Grund für die Gründung des Waldheims Gaisburg“, erzählt Dieter Lachenmayer. Das Waldheim Gaisburg wurde deshalb Teil eines ganzen Netzes von Einrichtungen zur Selbsthilfe innerhalb der Arbeiterbewegung. In ihrer Summe sollten sie eine Alternativstruktur zum Kultur- und Alltagsleben der privilegierten bürgerlichen Schichten bilden. Das ist den Initiativen gelungen – letztlich bis zum heutigen Tag.

Nach dem Krieg das Waldheim wieder aufgebaut

Doch die Freude über den Erholungsort erfuhr nach Hitlers Machtergreifung ein jähes Ende. Im Dritten Reich gehörten die Waldheimvereine in Stuttgart aufgrund ihres sozialistischen Hintergrundes zu den ersten Vereinen, die von den Nazis verboten und aufgelöst wurden. „Viele Mitglieder sind in die frühen Konzentrationslager abtransportiert worden“, erzählt Lachenmayer. Auch in der Chronik des Waldheims wird an diese dunkle Zeit erinnert.

Nach dem Krieg haben sich die Überlebenden aber schnell wieder zusammengefunden und das durch Fliegerbomben zerstörte Waldheim wieder aufgebaut. Die Vereinsmitglieder versuchten, die Tradition aufzugreifen und fortzuführen. „Vieles hat sich dennoch inzwischen gewandelt“, so Lachenmayer.

Manches jedoch wieder nicht: Das Waldheim Gaisburg und der dahinter stehende Verein sind auch heute noch Orte der Gegenkultur. Das politische Engagement steht noch immer im Vordergrund. Einmal im Monat findet sonntags ein politischer Frühschoppen statt. Bis heute habe sich das Waldheim Gaisburg seine politische Unabhängigkeit bewahrt, findet Lachenmayer – auch wenn sich der Verein eher dem linken Lager zugehörig fühle. „Mich macht das nicht unglücklich, dass das Waldheim ein eher linkes Spektrum anzieht, dafür wurde es schließlich gegründet“, betont er. Jeden ersten Donnerstag im Monat trifft sich die Freundschaftsbewegung BRD – Kuba im Waldheim.

Zum politischen Engagement sind in jüngster Zeit viele kulturelle Veranstaltungen hinzugekommen: Tango am Sonntagnachmittag, Kabarett und Theateraufführungen. Für Kinder hält das Waldheim ein umfangreiches Angebot bereit: im Sommer ein Kinderfest, im Herbst das Rübenfest, der Nikolaus und der Weihnachtsmann kommen ebenfalls nach Gaisburg. „Das lockt immer viele Kinder an, nicht nur aus dem Stuttgarter Osten, sondern weit darüber hinaus“, sagt Dieter Lachenmayer.

Die Waldheimfreizeiten in den Sommerferien gibt es allerdings seit 1958 nicht mehr. Zahlreiche Versuche, bei der Stadtverwaltung eine Genehmigung zu bekommen, sind bis heute gescheitert. Die Anforderungen an Gebäude und Umfeld sind so gestiegen, dass ein kompletter Umbau des Waldheims notwendig wäre.

Über 90 Jahre wurde das Waldheim durch die eigenen Mitglieder betrieben. Die Gaststätte wurde selbst bewirtschaftet. Doch auf Dauer lohnte sich dies nicht mehr. „Die Konkurrenz zum Angebot in der Stadt ist einfach zu groß“, sagt Lachenmayer. Heute ist im Waldheim eine normale Vereinsgaststätte, die vom Ehepaar Dagmar und Martin Lang bewirtschaftet wird.