Stuttgart-Album zur Geschichte des Weihnachtsmarkts Erinnerungen an Lebkuchen und ans Leuchten von Kinderaugen

Am Mittwoch vorm ersten Advent hätte der Stuttgarter Weihnachtsmarkt 2020 beginnen sollen. Corona-bedingt gibt es nur einen kleinen Ersatz mit 33 Ständen. Unser Stuttgart-Album erinnert an die lange Geschichte des Budenzaubers.
Stuttgart - Es gab Strohsterne, bemalte Tannenzapfen, Kerzen aus Rindertalg. Aus geschmolzenem Zucker, von Lebensmittelkarten abgespart, sind mit selbst gemachtem Sirup bunte Bonbons entstanden. Kreativ und mit einfachen Mitteln haben die Händlerinnen und Händler des Stuttgarter Weihnachtsmarkts nach Kriegsende festliche Stimmung erzeugt und Wünsche geweckt. Die Stadt lag noch in Trümmern - und die Sehnsucht nach Träumen war riesengroß, die Händler mit einfachen Holztischen unweit vom alten Rathausturm zu erfüllen versuchten.
Im Facebook-Forum unseres Stuttgart-Albums hat ein Weihnachtsmarkt-Foto aus dem Jahr 1949 für viele Reaktionen gesorgt. Man sieht darauf, wie sich Menschen an einen Stand drücken, auf dem „Schweizer Spielhalle“ steht. Schon damals waren also Schweizer zur Adventszeit in unserer Stadt.
Im Krieg ist der Weihnachtsmarkt nicht ausgefallen
„Ist das wirklich Stuttgart?“, hat sich ein junger Leser gefragt. Denn den Turm im Hintergrund überrascht ihn. Im Krieg ist das alte Rathaus schwer beschädigt worden. In den 1950ern vollzog die Stadt den radikalen Wandel. Das Rathaus zur Marktplatzseite wurde komplett neu gestaltet. Der Turm, der den Krieg ohne nennenswerte Beschädigungen überstanden hatte, wurde zurückgebaut und in das moderne Korsett eingefügt.
In den Kriegsjahren ist der Stuttgarter Weihnachtsmarkt niemals ausgefallen. Nur in diesem Winter müssen wir aus den bekannten Gründen auf ihn verzichten. Am Mittwoch vor dem ersten Advent wäre es losgegangen mit Glühweinduft, Kerzenleuchten und strahlenden Kinderaugen auf der kleinen Schlossplatz-Eisenbahn. Daraus wird nichts. Wenigstens gibt es einen kleinen Ersatz, aber ohne Imbiss und ohne alkoholische Heißgetränke. 33 Buden (sonst sind es fast 300) dürfen öffnen und stehen natürlich weit auseinander. Auf dem von der Baustelle befreiten Marktplatz und Schlossplatz stehen große Tannenbäume. Kann wenigstens damit ein bisschen weihnachtliche Stimmung aufkommen?
Die erste urkundliche Erwähnung geht auf 1692 zurück
Unser Weihnachtsmarkt ist in normalen Zeiten nicht nur einer der schönsten und größten Weihnachtsmärkte Europas, sondern auch einer der ältesten. Seine erste urkundliche Erwähnung geht auf 1692 zurück. In seinen Anfängen war er ein Jahrmarkt im Herbst mit Seiltänzern, Zauberern, Gauklern, Spaßmachern und Tierdressuren – und er war ein Viehmarkt.
Wenn die Stuttgarter einst sagten, sie gingen „auf die Mess“, war der Weihnachtsmarkt beim Rathaus gemeint. Auf den alten Reklamemarken aus dem Jahr 1912, die Wolfgang Müller, einer der Väter des Stuttgart-Museums im Stadtpalais, sammelt, steht unter einem gezeichneten Marktbild: Weihnachts-Messe Stuttgart.
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„Solange ich denken kann, sind wir zur ,Messe‘ gegangen“, schreibt Gusti Schäfer in unserem Internetportal, „die Bezeichnung Weihnachtsmarkt kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf.“ Unsere Leserin erinnert sich an „unterschiedliche Ständchen und Marktbuden“. Manche hätten nur einen Tisch mit Lebkuchen, Bonbonketten, Magenbrot gehabt. „Wir Kinder waren voller Vorfreude auf das Weihnachtsfest“, erzählt Gusti Schäfer, „meist kaufte mir die Mama einen viereckigen Lebkuchen mit Mandeln.“ Den habe sie „wie einen Schatz“ nach Hause getragen.
Bis in die 1970er war das Treiben auf den Marktplatz beschränkt. Da standen Klapptische mit Planen als Dach. Der neue Marktleiter Lothar Breitkreuz wollte mehr daraus machen. Die alten Stände wurden durch einheitliche Holzbuden mit aufwendiger und glanzvoller Dekoration ersetzt. Der neue Budenzauber vor der Kulisse der Stiftskirche hat den Tourismus beflügelt. Jetzt hofft mit den Schaustellern die ganze Stadt, dass im nächsten Jahr der Stuttgarter Weihnachtsmarkt in alter Schönheit erwachen kann.
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