Keine Staus, nur wenige Häuser an den Hängen – auch das war mal die Neue Weinsteige. König Wilhelm I. ließ die Panoramastraße bauen. Später wurde sie zur schönsten Straßenbahnstrecke Europas. 1987 verschwand die Strampe im Tunnel.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Heute sieht man triste Wände an einem vorbeiflitzen, wenn man mit der Stadtbahn von den Filderhöhen in die City fährt. Wer in der Gelben einen kurzen Blick auf den Kessel erhaschen will, muss auf der Hut sein, um das Aussichtsloch nicht zu verpassen. Fast 33 Jahre sind’s hier, dass der Sechser und der Fünfer – diese Linien verkehrten damals dort – in die parallel verlaufende Tunnelröhre verbannt worden sind.

 

Den Vergleich mit San Francisco hört man in unserer Stadt oft. Stuttgart und die kalifornische Metropole haben eine imposante Gemeinsamkeit: steile Aufstiege und traumhafte Aussichten. 282 Meter hoch ist der höchste Hügel der Weltstadt an der amerikanischen Westküste – unser Degerloch liegt 448 Meter über dem Meeresspiegel. Um Weinberge zu sehen, fahren die Besucher von San Francisco ins Nappa Valley – bei uns wachsen die Reben mitten in der Stadt.

1831 war die neue Panoramastraße fertig

Stuttgart besitzt gleich zwei befahrbare Weinsteigen. Der extrem steile Weg der Alten Weinsteige wurde 1350 erstmals erwähnt. Bis zu 16 Pferde brauchte man, um den Berg zu bewältigen. Weil manche Pferdefuhrwerke den Aufstieg nicht schafften, fasste der württembergische König Wilhelm I. im Jahr 1822 einen Beschluss. Er beauftragte seinen Oberbaurat Eberhard von Etzel, die Residenzstadt an die südlich gelegenen und damals noch selbstständigen Gemeinden über eine breite Panoramastraße anzubinden. Nach jahrelangen Bauarbeiten wurde sie am 23. Oktober 1831 eröffnet.

Da von 1904 an auch Straßenbahnen auf ihr fuhren und immer mehr Autos die Pferde ersetzten, hat man die Steige in den 1930ern deutlich verbreitert. Damals hieß sie noch nach dem königlichen Auftraggeber Wilhelmstraße und kam erst 1946 zu ihrem heutigen Namen.

Im September 1987 verschwand die Strampe im Tunnel

Als Pionierleistung der Ingenieurkunst rühmte man die Steige, deren Bau mit 76 000 Gulden als sehr teuer galt. Bis 1922 verlangte die Stadt Zoll- und Pflastergeld. Heute denken manche Politiker aus ökologischen Gründen über eine City-Maut nach – früher gab es mal eine Zeit, da wurde man auch ohne Luftschadstoffe zur Kasse gebeten . . .

„I muss die Stroßabahna kriega“, sang Wolle Kriwanek in den 1980ern, „nur der Fünfer bringt mi hoim.“ Der Fünfer führte von Stammheim in die Stadt, dann hinauf nach Degerloch und endete in Möhringen. Die Ära der traumhaften Aussicht endete am 25. September 1987. Für die Stadt ist dieser Tag ein historisches Datum. Damals mussten der Fünfer und auch der Sechser in der Tunnelröhre verschwinden. Die Neue Weinsteige gehörte nur noch den Autos – oder Radfahrern, die das Risiko lieben. Thomas Mack, ein eifriger Bildgeber des Stuttgart-Albums, wundert sich noch immer: „Warum hat man an diesem historischen Tag die Bahnen nicht mit Fähnchen geschmückt?“

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Bei seinen Fotos von der letzten Straßenbahnfahrt auf der Weinsteige erfasst etliche Kommentatoren des Facebook-Forums unseres Stuttgart-Albums Wehmut. „Ach, war das schön – jeden Morgen bin ich auf dieser Strecke zur Arbeit in die Stadt gefahren und hab’ das damals noch genossen“, findet Bärbel Böhm. Und in einem anderen Kommentar heißt es: „Die Straßenbahn, die ja längst Stadtbahn heißt, in den Tunnel zu verlegen, war ein Fehler – aus touristischer Sicht. Die kurzen Ausblicke auf die City können für die lange Genussstrecke aus früheren Zeiten nicht entschädigen.“

Elke Wallace schreibt im Internet-Portal unseres Geschichtsprojekts: „Das war mein täglicher Weg zur Schule und Lehre. So eine tolle Aussicht immer! Und auch wenn die Bahn jetzt schneller in die Stadt fährt, so vermisse ich diese Aussicht immer noch.“

Die Neue Weinsteige ist seit Jahrzehnten ein beliebtes Fotomotiv – und mit ihr eine Villa mit Türmchen oberhalb der B 27. Dabei handelt es sich um ein „Landhaus an der Landstraße nach Tübingen“, wie es 1898 im Baugesuch hieß.

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