Für die Polizei ist die Lage am Tag nach dem Leichenfund in Feuerbach eindeutig: "Wir haben einen Abschiedsbrief gefunden."

Stuttgart - Für die Polizei ist die Lage am Tag nach dem Auffinden der beiden Leichen in einem Haus an der Straße Mühlwasen in Feuerbach relativ eindeutig: "Wir haben einen Abschiedsbrief gefunden", sagt Polizeisprecher Sven Schüler. Das Schreiben sei direkt zur Spurensicherung gegangen. Es weise darauf hin, dass es sich bei dem Familiendrama um einen erweiterten Suizid handelt: "Beide wollten gemeinsam aus dem Leben scheiden", so Schüler. Der handgeschriebene Brief sei von beiden unterzeichnet worden.

Nach den ersten Erkenntnissen habe der 54-jährige Sohn zunächst die 81-jährige Mutter in ihrer Wohnung im ersten Stock des Mehrfamilienhauses erschlagen. "Sie starb vermutlich durch eine stumpfe Gewalteinwirkung auf den Kopf", erklärt der Polizeisprecher. Genaueres werde die Obduktion ergeben, die für Donnerstag Nachmittag angesetzt war. Dies wertet die Polizei zunächst als "Tötung auf Verlangen". Danach sei der Sohn in seine eigene Wohnung im Dachgeschoss gegangen und habe sich die Pulsadern aufgeschnitten.

Keinen Pflegedienst eingeschaltet


Der Grund für die schreckliche Bluttat liegt wohl in einer lebensbedrohenden Krankheit des Sohnes: "Er wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte", sagt Sven Schüler. Dies soll bewirkt haben, dass auch die Mutter lieber sterben wollte. Laut Polizei hätten die beiden ausgemacht, dass der Sohn sie töten sollte - ob die alte Frau damit einverstanden war, dass der Sohn sie brutal erschlägt, sei unklar, könne aber nun auch nicht mehr aufgeklärt werden.

Der 54-Jährige sei das einzige Kind der 81 Jahre alten Mutter, es gebe aber weitere Angehörige. Der Sohn ist nach Angaben der Ermittler nicht verheiratet gewesen und arbeitete schon seit längerem nicht mehr. Die Tat liege mindestens zwei Tage zurück, auch hier erwarten sich die Beamten von der Obduktion genauere Erkenntnisse. Der Sohn soll sich zu Hause um die Mutter gekümmert haben, die Polizei hat jedoch keine Erkenntnisse dazu, dass er mit der Pflege der Frau überfordert gewesen sei: "Uns liegen keine Informationen darüber vor, dass die Frau pflegebedürftig war", sagt Polizeisprecher Schüler. Sie habe vermutlich nicht mehr alles allein erledigen können. Es sei aber kein Pflegedienst eingeschaltet gewesen. Bekannte hatten die Polizei alarmiert, als sie den 54-Jährigen schon länger nicht gesehen hatten.

Psychologen sprechen in Fällen, in denen der Täter einen oder mehrere ihm nahestehende Menschen tötet und dann sein eigenes Leben beendet, auch von einem Mitnahmesuizid. Bei so einer Tat werde häufig aus vermeintlicher Fürsorge und Mitleid heraus gehandelt, weiß Armin Schmidtke, der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

Erkrankte sind oft auch depressiv


Zugrunde liege die irrige Ansicht, der Angehörige oder Partner sei unter den gegebenen Umständen alleine nicht lange lebensfähig. "Das hat oft etwas mit depressiven Grundstrukturen zu tun", sagt der Psychologe von der Universitätsklinik Würzburg. Der erkrankte Täter fühle sich absolut hoffnungslos und denke, er müsse die andere, von ihm abhängige Person von ihrem Schicksal erlösen.

Die Angst vor dem Schritt, sich nach außen zu wenden und Hilfe zu holen, kennt Ellen Wittke. Die Pädagogin arbeitet beim Stuttgarter Arbeitskreis Leben und berät Menschen in schweren Krisen. "Es gibt so viele Unterstützungsmöglichkeiten - von den Hospizen über Brückenschwestern bis zur entlastenden Pflege, die der Bürgerservice Leben im Alter vermitteln kann", sagt Wittke und versucht in Gesprächen wieder Perspektiven aufzuzeigen.

Für viele Senioren sei es eine schreckliche Vorstellung, die eigene Wohnung aufgeben zu müssen und vielleicht ins Heim abgeschoben zu werden. Wittke erinnert sich an die traurige Geschichte eines älteren Paares. Die Frau hatte einen Schlaganfall erlitten und war danach eine Intensivpflegepatientin, die zuletzt nicht mal mehr sprechen konnte. "Ihr Mann wollte ihr ersparen, fremde Hilfe annehmen zu müssen", sagt Wittke, "er hat erst seine Frau umgebracht und dann sich selbst."