Im Theater Atelier wird die Geschichte der Roten Armee Fraktion aufgerollt. Die Inhaftierung der Terroristen in der JVA Stammheim wird dabei zum zentralen Gegenstand des Theaterstücks.

Stammheim/S-Ost - Einem wichtigen Teil deutscher Geschichte widmet sich der in Kasachstan geborene Regisseur Vladislav Grakovskiy mit seinem neuen Werk „Im Schatten von Stammheim“. Das Stück, das am Freitag im Theater Atelier am Stöckach im Stuttgarter Osten Premiere feierte, zeigt die Entstehungsgeschichte der RAF und beleuchtet die Charaktere der Akteure und deren Motive. Dem Publikum stellt sich bei dem Dokustück vor allem die Frage, wie es zu einem derart gestörten Verhältnis zwischen Gesellschaft und Politik kommen konnte, das die Bundesrepublik in den 1970er Jahren in eine tiefe Krise stürzte.

 

Das Bühnenbild könnte minimalistischer kaum sein. Als der Schauspieler, der sich als Staatsanwalt vorstellt, aus den Zuschauerreihen hervortritt, leuchten lediglich einige Scheinwerfer an der Decke. Die Zuschauer seien bei dem Stück die Geschworenen, vielleicht aber auch Zeugen, beginnt der Akteur seine Ausführungen. Gemeinsam mit drei weiteren Stimmen, die zunächst nur aus dem Off hinter dem Vorhang kommen, nimmt er das Publikum mit in die Zeit vor dem Entstehen der Roten Armee Fraktion. Die drei anderen Darsteller treten hinter dem Vorhang hervor und lesen abwechselnd aus ihren Manuskripten. Stichworte wie die Koreakrise, SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) und Apo (Außerparlamentarische Opposition) fallen zum ersten Mal. Soundschnipsel als akustische Untermalung verorten das Geschehen in der damaligen Zeit.

Die Haft in Stammheim rückt in den Mittelpunkt

Als die Namen Rudi Dutschke und Herbert Marcuse zum ersten Mal fallen, verlassen die Sprecher ihre Beobachterrollen und beginnen zu spielen. Die dramatischen Ereignisse beim Berlin-Besuch des Schahs, als der Polizist (und Stasi-Mitarbeiter) Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg erschoss, werden auf der Bühne zum hektischen Gewusel. Die Abschnitte, die die Schauspieler vortragen, werden kürzer, die dunkle Bühne durch den Wechsel von Licht und Sirenen aus den Lautsprechern zum Abbild des Demonstrationszuges. Die Darsteller werden in die Szene hineingezogen. Nach diesen Ereignissen vom 2. Juni 1967 beginnt die Geschichte der RAF und ihre Hauptakteure, allen voran Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Besonders der Hass der Gruppe auf die Springer-Presse wird mittels Zitate zum Bombenanschlag auf das Springer-Haus verdeutlicht.

Mit der größten Fahndungsaktion der deutschen Geschichte endet die Anschlagsserie der nicht nur von der Springer-Presse als „Baader-Meinhof-Bande“ betitelten Gruppe zunächst. Die Inhaftierung der Terroristen in Stammheim wird zum zentralen Gegenstand des Stücks. Szenisch wird die an Waterboarding erinnernde Zwangsernährung der Gefangenen dargestellt. Um Befreiungsaktionen auf dem Weg zum Stuttgarter Oberlandesgericht von vorherein zu verhindern, wird eigens für die anstehende Verhandlung in Stammheim ein neues Gerichtsgebäude gebaut. Die Szene gipfelt in den Entführungen von Hanns Martin Schleyer und Peter Lorenz, in der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm und in der Entführung der „Landshut“. Mit Taschenlampen beleuchten die Schauspieler die Zuschauer und zwingen sie zum Wechsel zwischen der Rolle eines Geschworenen und eines Zeugen. Das Stück endet angespannt. Die Geschworenen verlassen den Saal.

Info: Das Dokustück „Im Schatten von Stammheim“ läuft noch am 20. November und 4. Dezember, jeweils um 20 Uhr, im Theater Atelier, Stöckachstraße 55, in Stuttgart-Ost. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 10 Euro.