Viele Jahrzehnte lang wurde der Inhalt der Abort-Gruben der Landeshauptstadt mit der Strohgäu- und der Schwarzwaldbahn ins Umland befördert und dort auf den Feldern ausgebracht. Die ländlichen Gemeinden zahlten für den kostbaren Dünger sogar Geld.

Damit es in Stuttgart von 1872 bis in die 1950er Jahre im wahrsten Sinn des Wortes nicht zum Himmel stank, gab es die Latrinenentleerungsanstalt Stuttgart. Was dieser städtische Betrieb zur Fäkalienentsorgung anzubieten hatte, fand aber lange Zeit dankbare Abnehmer im Umland. Denn viele Bauern schätzten den Inhalt der Abort-Gruben als wertvollen Dünger für ihre Äcker. Die Hauptmenge der Fäkalien wurde mit der Bahn abtransportiert und in der Stuttgarter Umgebung als Dünger verwendet.

 

Ein Teil der anrüchigen Fracht wurde über die Strohgäubahn verschickt, wie ein Frachtbrief vom 17. Juni 1917 dokumentiert. Da wurden an die Gemeindepflege Heimerdingen auf einem Eisenbahnwaggon drei Fässer „Abtrittdünger“ mit einem Gewicht von 10 000 Kilogramm geliefert. Lieferant und Absender war die Städtische Latrinen-Inspektion Stuttgart.

Der Inhalt der hauseigenen Gruben wurde als Dünger benutzt

Bis zur Einführung der Spülklosetts und der Schwemmkanalisation in den 1950er Jahren wurden die Fäkalien in der Landeshauptstadt in hauseigenen Gruben gesammelt. Privatunternehmer oder Bauern leerten diese. Der Inhalt wurde als Dünger benutzt – ein unzuverlässiges System. Das führte am 1. Juli 1872 zur Gründung der städtischen Latrinenentleerungsanstalt (oder Latrinenanstalt). Ein Jahr später verabschiedete der Gemeinderat ein „Statut betreffend die Entleerung der Abtritte in der Stadt“.

Städtische Arbeiter leerten die Gruben mit manuell betriebenen Luftpumpen, später dann mit Dampfpumpen. Eingesetzt wurden Pferdefuhrwerke, die die Pumpen, Fasswagen und Schlauchwagen zogen. Die Arbeiter legten von den Gruben einen langen Schlauch zum Fasswagen. Der Volksmund nannte sie „Schlauchartillerie“. Dazu gibt es eine Anekdote des Schriftstellers Paul Eipper: „Jene Artilleristen pumpten mal in der Katholischen Töchterschule die Gruben aus, just als Unterrichtsschluss war. Viele nette Schwabenmädle verließen das Schulgebäude, hüpften belustigt über die am Boden des Turnhofs liegenden Schlauchschlangen. Aber zwei der jungen Damen holten ihre Taschentüchlein aus dem Pompadour-Beutel, drückten sie demonstrativ an die Nasenlöcher und schnaubten, so laut und empört sie konnten, ‚puuhh‘. Worauf der Oberartillerist mit einem durchaus respektvollen Lächeln den geruchsempfindlichen Schülerinnen zurief: ‚Wisset ihr was, scheißet ihr Pfefferminzle, dann stinkt’s net so!‘“ Ab 1888 stand am Tunzhofer Platz in Stuttgart ein eigener Betriebshof zur Verfügung. Zwar wurden Trockentoiletten immer mehr durch Spülklosetts ersetzt und an die Schwemmkanalisation angeschlossen, aber noch in den 1950er Jahren mussten 8000 Abortgruben vom städtischen Fuhramt entleert werden. Der Betriebshof der Latrinenanstalt wurde in einen Betriebshof der Abfallwirtschaft Stuttgart umfunktioniert.

Die Hauptmenge der Fäkalien wurde mit der Bahn abtransportiert

Die Hauptmenge der Fäkalien wurde mit der Bahn abtransportiert und als Dünger verwendet – und das war ein wohl recht einträgliches Geschäft, wie das Beispiel von Renningen zeigt. Dorthin wurden die Stuttgarter Hinterlassenschaften mit der Schwarzwaldbahn verfrachtet und in der großen „Fäkalsammelgrube“ gelagert, die um 1900 am Ende der heutigen Rankbachstraße errichtet wurde.

Viele ländliche Gemeinden hatten Sammelbecken

„Die Fäkalien wurden in Stuttgart in Kesselwagen der Reichsbahn eingeladen, hierhergebracht und in die Grube gepumpt“, weiß Stadtarchivar Steffen Maisch. Renningen hat für die Abnahme kein Geld von Stuttgart verlangt. Im Gegenteil: Für das Abwasser wurde sogar Geld an die Landeshauptstadt gezahlt. „Für die Bauern war das kostbarer Dünger, den sie an der Grube einfach abholen konnten“, sagt Maisch. „Einer der Hauptabnehmer war der Großgrundbesitzer, der den Ihinger Hof betrieben hat.“ Damit war Renningen nicht allein, denn viele ländliche Gemeinden um Stuttgart herum hatten damals solche Sammelbecken.

So wundert es nicht, dass es den Renningern zum Himmel stank und ein großer Aufschrei erfolgte, als in der Landeshauptstadt in den 1930er Jahren verstärkt die Kanalisation ausgebaut und die Sammelgrube nicht mehr benötigt wurde. „Da gab es richtige Proteste des Gemeinderats und des Bürgermeisters“, weiß der Stadtarchivar. Doch die Gemüter beruhigten sich, als die Idee eines Freibades auf dem Gelände aufkam. Das wurde dann nach etlichen Baupatzern im Sommer 1938 eröffnet.