Ein 26-jähriger Mann hat auf seinen Stiefvater eingestochen. Trotzdem wurde er vom Landgericht Stuttgart freigesprochen. Die Diagnose des Gutachters bringt die Wende.

Stuttgart - Der Fall scheint klar, der Vorwurf ist unbestritten. Ein 26 Jahre alter Mann steht vor der 19. Strafkammer des Landgerichts, weil er seinen Stiefvater mit einer bajonettartigen Stichwaffe schwer verletzt hatte. Deshalb wirft ihm Staatsanwalt Sven Reiss versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung vor. Doch es kommt anders.

 

Es war der Nachmittag des 20. Dezember vorigen Jahres, als sich der Angeklagte per Handy bei seiner Mutter in Bad Cannstatt meldete. Da er am Telefon einen alkoholisierten Eindruck machte und auch sonst immer wieder zu Ausfällen neigt, entschied die Mutter ihren Sohn nicht in die Wohnung zu lassen. Stattdessen ging man spazieren. Allerdings hatte die Frau ihren Ehemann, den Stiefvater des 26-Jährigen, informiert.

Der 49-jährige Stiefvater und sein Sohn kamen gegen 17 Uhr dazu, man saß auf einer Bank und redete. Plötzlich sei der Angeklagte aufgestanden und habe ohne ersichtlichen Grund auf den Vater eingestochen. Das Bajonett drang 18 Zentimeter tief unter der Achsel in den Körper des Stiefvaters ein. Der Halbbruder des Angeklagten ging dazwischen und wurde ebenfalls verletzt. Erst die Mutter schaffte es, den Angeklagten zu entwaffnen.

Psychiatrie statt Gefängnis

Zu Beginn des Prozesses hatte der Vorsitzende Richter den rechtlichen Hinweis erteilt, es komme im Falle des verletzten 17-jährigen Halbbruders ebenfalls ein versuchter Totschlag infrage, was die Strafe nicht unwesentlich erhöhen würde.

Der 26-jährige Stuttgarter auf der Anklagebank hat zwar die Hauptschule geschafft, brach danach aber zwei Ausbildungen ab. Er schlug sich mit Zeitarbeit als Produktionshelfer durch, zuletzt war er arbeitslos. Bei seiner Mutter und seinem Stiefvater war er mehrere Male hinausgeflogen, also wohnte er zeitweise bei seiner Großmutter. Doch auch dort kam es zu einem Vorfall: Im Oktober 2018 soll er seine Oma mit einem Messer bedroht und danach die Haustür zerstört haben. Er kam in die Psychiatrie, nimmt jedoch laut eigener Aussage seine Medikamente nicht, weil er sie nicht vertrage. Gegen die Stimmen in seinem Kopf geht er mit Alkohol und Marihuana an.

Der psychiatrische Gutachter Hermann Ebel macht vor der Strafkammer klar, dass er den Angeklagten für schwer psychisch krank hält. Eine Behandlung sei unabdingbar. Dem folgen die Richterinnen und Richter. Der Mann wird vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen, weil er für sein Tun nicht verantwortlich sei. Plötzlich ist er kein Angeklagter mehr, sondern ein Beschuldigter. Er wird stationär in die Psychiatrie eingewiesen.