Dieser Tage erscheint der Roman „Ein vernünftiges Gefühl“, das zweite Buch des Autors und Philosophen Matthias Gronemeyer aus dem Stuttgarter Westen.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Mit einer fast verkauften Erstauflage von 1000 lässt sich bei einem Philosophie-Sachbuch im Selbstverlag durchaus von einem „Verkaufsschlager“ sprechen, der Matthias Gronemeyer im vergangenen Jahr geglückt ist. Zum Erfolg hat der pikante Titel mutmaßlich beigetragen: „Vögeln – Eine Philosophie vom Sex“ nannte sich der Band. Leser auf der Suche nach schlüpfrigem Lektürevergnügen dürfte das Buch bald enttäuscht aus der Hand gelegt haben, merkt der Autor an, um keinen falschen Eindruck zu hinterlassen. Tatsächlich handelt sein Buch von der Prüderie philosophischen Denkens, von der alten Körper-Geist-Dichotomie – solche Sachen. Trotz der etwas spröden Materie erfreute sich das als Crowdfunding-Projekt finanzierte Buch reger Nachfrage. Gronemeyer beschloss, umgehend ein zweites Werk nachzulegen. „Ich wollte auf der Welle schwimmen.“ Der Titel des neuen Buches lautet „Ein vernünftiges Gefühl“ – ein Liebesroman. Es erscheint im geprägten Leineneinband, ebenfalls selbstverlegt, aber nicht mehr crowd-finanziert. Das sei eher ein Finanzkonzept für Bands oder Hipsterprodukte, hat Gronemeyer festgestellt. „Aber ich bin kein Berliner Start-up.“

 

Zeittypische Zweckrationalisten

Die Handlung seines Romans erstreckt sich über zwei Wochen. Ein Mann und eine Frau, Mitte dreißig, lernen sich bei einem Fachkongress in Südfrankreich kennen. Er hat geplant, noch eine Woche Urlaub dranzuhängen, und weil sich die beiden inzwischen lieben gelernt haben, fahren sie zu zweit. Doch, was so unbeschwert beginnt und für einen kurzen Moment gar die Vision einer gemeinsamen Zukunft aufscheinen lässt, entpuppt sich rasch als komplizierte Melange, in die persönliche Vorgeschichten und zurückgelassene Beziehungen hineinspielen. Am Ende reicht es nur zu einem zwar erfüllten doch kurzlebigen Liebesglück, zu einer Aventure amoureuse. Darin „verschwimmen Träumen und Wachen, Mythen und Wissenschaft zu einem magischen Realismus“, verheißt der Klappentext.

Der Philosoph Gronemeyer analysiert, was sich unterhalb der baren Handlung vollzieht. Er geht den quälenden Fragen der Liebenden nach: Was bin ich für sie? Was bin ich für ihn? Der Autor seziert ihre kleinen, unscheinbaren Schritte und Entscheidungen, deren Voraussetzungen und Folgen. Die Regungen der Liebenden folgen einer psychischen Ökonomie, die allerdings an der Oberfläche der Realität außer Kraft gesetzt wird. Denn hier fügt sich das Geschehen in kleinmütige Zwangsläufigkeit. In dieser Geschichte treffen nämlich zwei zeittypische Zweckrationalisten aufeinander. Da drängt sich bald die Frage auf: Wie konnte denen die Liebe überhaupt passieren? Etwas so Unkontrollierbares? An diesem Punkt heißt uns der Autor willkommen an den Grenzen rationalen Denkens, und die Liebesgeschichte gerät zur „Parabel auf die Unmöglichkeit, sich dem kollektiven Unbewussten zu entziehen“, so der Klappentext.

Beischlaf und Gottesbeweis

Der Tiefsinn kommt bei Gronemeyer leichtfüßig daher, wie Lesproben auf seiner Internetseite belegen. Hätte ich gleich mit ihr schlafen sollen?, fragt sich der Protagonist nach dem ersten Date und sinniert: „Mit jemandem ins Bett zu gehen, hatte für mich immer noch etwas Unumkehrbares, wenn ich mich also dafür entschied, es nicht zu tun, blieb mir immer noch die Möglichkeit, es später doch zu tun; im umgekehrten Falle nicht. Das hatte etwas von Blaise Pascals Gottesbeweis: Wenn man nicht an Gott glaubt, und es stellt sich heraus, dass er doch existiert, dann sei man der Verdammnis sicher. Wenn man hingegen an Gott glaubt, und es stellt sich heraus, dass er nicht existiert, hätte man zumindest nichts verloren, im Falle dass er existiert aber alles gewonnen. “ Man ahnt bereits beim Auftakt, dass diese Liebe floppen wird und sieht bereits die großen Gefühle durch die gedanklichen Hintertürchen entfleuchen, die sich die Protagonisten so gerne offen lassen.