Seit sechs Jahren ist das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Der Hoffnung, dadurch könnte sich die Lage insbesondere von Frauen in der Armutsprostitution verbessern, ist Ernüchterung gewichen. Das ergab eine Bilanz im Sozialausschuss des Gemeinderates. „Es zeigt sich leider, dass das Gesetz nicht geeignet ist, die Situation der Prostituierten zu verbessern“, brachte die SPD-Stadträtin Jasmin Meergans die Stimmungslage auf den Punkt.
Das Gesetz, das seit 2017 in Kraft ist, schreibt unter anderem vor, dass Frauen, wenn sie als Prostituierte arbeiten wollen, zunächst eine Gesundheitsberatung sowie ein Informationsgespräch über ihre Rechte und Pflichten absolvieren müssen, wenn sie sich anmelden wollen. Die Betreiber der Rotlichtbetriebe müssen ein Notrufsystem einbauen, für Frauen und Freier getrennte sanitäre Anlagen, die Prostituierten dürfen nicht mehr wie bisher in ihrem Verrichtungszimmer wohnen.
Doch die Erstberatungen der Frauen zum Thema Gesundheit sind von 265 im ersten Halbjahr 2018 auf nur noch 168 im Vorjahr zurückgegangen. Der Einbruch durch das Prostitutionsverbot während der Corona-Lockdowns konnte noch nicht wieder aufgeholt werden. Dabei sind laut Polizei nach wie vor jeden Tag etwa 400 Prostituierte in Stuttgart tätig, bei häufigem Wechsel. Im Gremium geht man von etwa 1500 Frauen aus, die pro Jahr in Stuttgart arbeiten.
„Das ist ein sehr trauriges Bild“, befand Ina Schumann, die Fraktionsvorsitzende von Die Partei, angesichts der Beratungszahlen. „Viele Prostituierte haben sich nicht angemeldet.“ Laura Halding-Hoppenheit, die Fraktionsvorsitzende des Linksbündnisses, erklärte, die Ergebnisse seien „nicht zufriedenstellend“. Die Dunkelziffer der Prostituierten sei gestiegen, die illegal tätigen Frauen gingen nicht zur Beratung, und „die Armutsprostitution erfasst man nicht“. Die in Stuttgart als „Schwulenmutter“ bekannte Gastronomin betonte: „Männliche Prostituierte haben gar kein Interesse an einer Beratung.“ Auch die Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung funktioniere nicht, die Frauen geben an, sie könnten sich ein weiteres Zimmer zum Wohnen nicht leisten. Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann räumte ein, man habe „noch Luft nach oben“.
Einiges hat sich im Prostitutionsgeschehen verändert, insbesondere seit der Pandemie, aber nicht nur deswegen. Ungebrochen ist der Trend von der Prostitution in Rotlichtobjekten zur Wohnungsprostitution in Hotels, Apartments und Airbnb-Unterkünften. Dieser Trend hat schon vor Corona eingesetzt, vermutlich weil viele der Frauen die Datenerfassung scheuen. Diese Entwicklung erschwert die Kontrollen und die Erfassung des Geschehens. Trifft man Frauen aber in Einzelwohnungen an, sind diese nicht angemeldet, jene in Laufhäusern und Bordellen aber fast durchweg schon.
Es könnte auch noch einen weiteren Grund geben für die starke Zunahme der Wohnungsprostitution. Inzwischen hat die Stadt etliche Rotlicht-Etablissements geschlossen. Von 91 Erlaubnisanträgen wurden 29 zurückgenommen. Insgesamt 46 Anträge wurden vom Ordnungsamt versagt, 25 sind nach Widerspruchsverfahren inzwischen rechtskräftig. Die Zahl der Betriebe hat also schon merklich abgenommen.
Die Stadt wendet nicht nur das Prostituiertenschutzgesetz an bei der Zulassung von Rotlichtbetrieben. Mit den geltenden Vergnügungsstättensatzungen und dem Baurecht hat man ein scharfes ordnungspolitisches Schwert, das man vergleichsweise streng anwendet. So sind solche Betriebe in den Außenbezirken gar nicht zugelassen, nur in der Innenstadt innerhalb des City-Rings. Dorthin aber will kein Bordellbetreiber umsiedeln, wohl aus Kostengründen.
Die Zahl der Rotlichtbetriebe wird also weiter sinken, die Abwanderung des Sexgewerbes ins Dunkelfeld zunehmen. Verschwinden wird es nicht, das hat die Zeit des Verbots während der Corona-Lockdowns gezeigt. Die Politik, die seit geraumer Zeit verfolgt wird, bewirkt offenbar eher die Verdrängung in die Illegalität als den angestrebten besseren Schutz von Prostituierten.
Einiges wird künftig auch davon abhängen, wie die Stadt mit dem Leonhardsviertel verfährt. Die Entscheidung, wie es in Stuttgarts Rotlichtquartier weitergeht, ist seit Langem offen. Gemeinderat und Verwaltung schieben das Thema seit Jahren vor sich her. Sieben der zehn noch gar nicht entschiedenen Erlaubnisanträge, die seit Längerem beim Ordnungsamt liegen, sind aus dem Leonhardsviertel. Vor diesem Hintergrund ist die Äußerung von CDU-Stadträtin Beate Bulle-Schmid im Sozialausschuss zu verstehen, die fragte, ob man nicht „die Laufhäuser im Leonhardsviertel beibehalten sollte, weil der Schutz der Frauen dort höher ist“.
Laut dem Gesundheitsamt steigen die Erstanmeldungen von Frauen aber wieder. Und unter anderem durch Streetwork und durch die Kooperation mit Hilfseinrichtungen sollen Prostituierte wieder vermehrt aus dem Dunkelfeld herausgeholt werden.
Zahlen zur Prostitution in der Landeshauptstadt
Prostituierte
Nach Schätzung der Polizei sind jeden Tag etwa 400 Prostituierte in Stuttgart tätig. In früheren Jahren ging man von 1400 bis knapp 1700 Prostituierten aus, die pro Jahr in Stuttgart arbeiteten. Die Frauen kommen aus 32 Nationen, die größten Gruppen stammen aus Rumänien, Deutschland, Bulgarien, Thailand und Spanien.
Beratungen
Nach dem Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes 2017 verzeichnete das Gesundheitsamt im ersten Halbjahr 2018 insgesamt 265 Erstberatungen von Prostituierten zum Thema Gesundheit, die Zahl stieg im Jahr 2019 auf 336. Wegen des Prostitutionsverbots im Corona-Lockdown sind die Zahlen eingebrochen. Im Vorjahr waren es dann 168 Erstberatungen. Rechnet man dazu noch die Folgeberatungen, kommt man auf eine Summe von insgesamt 482 Beratungen im Vorjahr. Im Jahr 2019 waren es noch 579.
Rotlichtbetriebe
Insgesamt 91 sogenannte Erlaubnisanträge von Rotlichtbetrieben sind bei der Stadt eingegangen. 29 wurden zurückgenommen. 46 Anträge wurden versagt. Gegen die Versagungen wurden 35 Widersprüche eingelegt, die teils noch nicht entschieden sind. 25 sind aber rechtskräftig. Zehn Erlaubnisanträge sind noch nicht entschieden, sieben davon kommen von Betrieben aus dem Leonhardsviertel. Sechs Anträge wurden genehmigt, darunter sind fünf Escort-Services sowie ein Laufhaus in der City. Es soll sich dabei um das Drei-Farben-Haus handeln.