Der Job des Stuttgarter Ombudsmanns für Behinderte wird im Sommer frei, wenn sich die amtierende Behindertenbeauftragte Ursula Marx zurückzieht. Noch gilt Ex-Sozialamtsleiter Tattermusch als Favorit, aber es gibt auch Vorbehalte gegen ihn.

Stuttgart - Im Sommer 2015, so hat es Ursula Marx anlässlich ihres 70. Geburtstags im November vergangenen Jahres angekündigt, wolle sie das Amt der städtischen Behindertenbeauftragten abgeben und mit ihrem Mann zu einer langen Tour durch Skandinavien aufbrechen. Das ist zwar noch ein paar Monate hin, doch hinter den Kulissen ist im Rathaus längst die Diskussion über ihre Nachfolge entbrannt. Als erster Aspirant auf den Posten gilt der erst im Dezember in den Ruhestand verabschiedete langjährige Sozialamtsleiter Walter Tattermusch. Doch bei den Behindertenverbänden gibt es auch Stimmen, die sich einen Menschen mit Handicap als ihren Interessenvertreter wünschen.

 

Offiziell wollen sich die Verbände nicht äußern

Das wäre durchaus nichts Ungewöhnliches: Die blinde Verena Bentele, frühere Leistungssportlerin und zwölfmalige Goldmedaillengewinnerin bei den Paralympics, amtiert seit Anfang 2014 gar als Behindertenbeauftragte des Bundes. In München oder Freiburg füllen ebenfalls Menschen mit Handicap dieses Amt aus – ein Zeichen für eine nicht nur theoretisch oft beschworene, sondern auch praktisch gelebte Inklusion. Offiziell wollen sich die Verantwortlichen der Stuttgarter Behindertenverbände zurzeit nicht äußern. Sie artikulieren ihr Begehren allenfalls bei gemeinsamen Ausschusssitzungen hinter verschlossenen Türen. Einer der wenigen, der offen darüber spricht, ist Siegfried Gschwind, selbst jahrelang im Vorstand des Körperbehindertenvereins (KBV) Stuttgart tätig. „Es gibt genügend Menschen mit Handicap, die für ein solches Amt ausreichend qualifiziert wären.“ Dies sei der Tenor in allen Behindertenverbänden.

Hohes Maß an Verwaltungserfahrung

Damit will Gschwind keineswegs die Eignung der amtierenden Behindertenbeauftragten Marx oder die des möglichen Nachfolgers Tattermusch in Frage stellen. Es gehe vielmehr ums Prinzip: Man müsse „nicht immer auf ehemalige Verwaltungsleute“ zurückgreifen. Auch der Vorgänger von Ursula Marx war ein Verwaltungsmitarbeiter: Hans-Otto Tropp, der Leiter des städtischen Gesundheitsamts. Der Wunsch der Verbände wirft die Frage nach der Definition des Ehrenamts auf: Versteht sich der städtische Behindertenbeauftragte vornehmlich als Interessenvertreter behinderter Menschen oder als Mittler zwischen Stadtverwaltung und den Verbänden? Ist das Wissen um das Funktionieren des Verwaltungsapparates für eine solche Funktion unabdingbar oder kann der Behindertenbeauftragte mehr Wirkung entfalten, wenn er Distanz zur Verwaltung hat und sich nicht am Machbaren, sondern am Notwendigen orientiert?

Ein hohes Maß an Verwaltungserfahrung kann man dem als Nachfolgekandidat gehandelten Tattermusch nach 22 Jahren an der Spitze des Sozialamts genauso wenig absprechen wie profunde Sachkenntnis gerade auch in der Behindertenarbeit. Er gilt in der Stadt als die treibende Kraft bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und initiierte 2010 ein Gremium bestehend aus Menschen mit Behinderung, deren Angehörigen sowie Netzwerken von Betroffenen, das die Stadtverwaltung bei der Sozialplanung berät.

Unter Tattermuschs Ägide kam die Erarbeitung eines kommunalen Aktionsplans für Menschen mit Behinderung in Gang, er setzte sich dafür ein, dass das Dienstgebäude in der Eberhardstraße besonders behindertenfreundlich gestaltet wurde. Er engagierte sich auch praktisch, etwa im Beirat des Raphaelhauses in Stuttgart, einer Einrichtung für Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung, und war Aufsichtsratsvorsitzender der Wohnanlage Fasanenhof GmbH für körperbehinderte Menschen.

Tattermusch mit „Handicap“

Sein Werdegang prädestiniert ihn augenscheinlich für die Stelle, und so rechnen im Rathaus auch die meisten damit, dass Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) Tattermusch als Nachfolger von Ursula Marx vorschlagen und er dann von OB Fritz Kuhn (Grüne) berufen wird – zumal eine Mehrheit im Gemeinderat die  Position weiterhin ehrenamtlich besetzen möchte. Als hauptamtlicher Beauftragter wäre Tattermusch aus dem Rennen gewesen – der 65-Jährige hat die Pensionsgrenze erreicht. Darüber hinaus sieht die Mehrheit im Rat Vorteile im Ehrenamt: Man könne freier und unabhängiger agieren, sei nicht ins Verwaltungskorsett eingebunden. Die Vertreter von CDU, Grünen und SPD im Sozialausschuss würden die Bewerbung von Menschen mit Handicap begrüßen, wollen auch nicht ausschließen, dass ein nicht Behinderter den mit 1000 Euro im Monat dotierten Job bekommt. Einen Zwang zur Besetzung der Stelle mit einem Behinderten lehne man aber ab – es gehe um die Befähigung des Kandidaten.

Ein „Handicap“ hat freilich auch Tattermusch. Sozialbürgermeisterin Fezer sei sehr daran gelegen, den ausgewiesenen Sozialfachmann weiterhin in ihrer Nähe zu wissen, um ihn bei Bedarf auch in anderen Fragen konsultieren zu können. Womöglich gebe Tattermusch dann eine Art Neben-Sozialamtsleiter, was einem Affront gegenüber seinem Nachfolger Stefan Spatz gleich käme, heißt es im Rathaus hinter vorgehaltener Hand. Im Dezember hatte der Ruheständler in einem StZ-Interview anlässlich seiner Verabschiedung aus dem Rathaus gesagt, er freue sich, dass er für das Amt im Gespräch sei: „Aber die Entscheidung treffen andere.“ Vorsichtshalber hat Tattermusch seine Büromöbel schon mal in den Katakomben des Rathauses einlagern lassen – an Zuversicht mangelt es ihm jedenfalls nicht.