Livia Valentina Oberem übt einen exotischen Beruf aus: Sie ist Klavier- und Cembalobauerin. Ein Stipendium hat der 22-Jährigen einen Auslandsaufenthalt in Italien beim Flügelbauer Fazioli ermöglicht. Nun ist sie froh, doch nicht studiert zu haben.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart/Sacile - Dass bei Fazioli die Musik über allem steht, merkt man schon an dem besonderen Gong, der die Arbeiter morgens an ihren Platz ruft: Um 7.30 Uhr erklingen Streicher durch die Lautsprecher. Livia Oberem hat das Signal schon sehr oft vernommen– und noch immer hört sie es gerne. Seit Oktober vergangenen Jahres ist die Klavierbauerin bei dem Hersteller hochwertiger Konzertflügel aus Sacile in Norditalien, ermöglicht durch ein Stipendium für Berufstätige der Baden-Württemberg-Stiftung. Die gebürtige Stuttgarterin ist die einzige Deutsche bei der Firma. Ihr Italienisch war anfangs holperig, aber die 22-Jährige hat sich schnell integriert – alle teilen hier die gleiche Leidenschaft. Das verbindet.

 

Livia Oberem arbeitet in der Mechanikabteilung des Flügelherstellers. Sie kümmert sich um das Innenleben der Flügel, um das Spielwerk, das Herz dieser besonderen Instrumente. „Gerade bin ich viel am Stimmen“, berichtet sie. Sie weiß noch, wie schwer sie sich getan hat, als sie als Auszubildende das erste Mal ein Klavier gestimmt hat. Acht Stunden habe das gedauert. Doch man könne alles trainieren. Zwei Stunden benötigt sie inzwischen. Den Stimmhammer hat sie aus Deutschland mitgebracht. Sie hat ihn von ihrem Lehrmeister: Peter Fischer von Piano-Fischer in Stuttgart. Er hat ihn ihr bestellt – und ihr seine Leidenschaft für die Tasteninstrumente vermittelt. Sie denkt gerne an ihre vielen Gespräche zurück: „Warum wird dieses Holz verwandt und kein anderes?“

Sie wollte das Instrument komplett verstehen

Nach dem Abitur hätte Livia Oberem auch studieren können. Sie hatte unter anderem bei „Jugend musiziert“ gewonnen. Sie hat einen anderen Weg eingeschlagen, ihren Weg – und heute ist sie froh, sich entschieden zu haben, Klavierbauerin zu werden. Sie wollte das Instrument komplett verstehen, wissen, wie es funktioniert.

Ihr Handwerk ist selten. Für ihren gesamten Ausbildungsjahrgang gab es nur eine Berufsschulklasse in Ludwigsburg. Aus ganz Deutschland kamen ihre Mitschüler, die meisten waren Männer. Als Gesellin reparierte sie seit Januar 2017 in der Werkstatt von Piano-Fischer Klaviere und Flügel, intonierte und stimmte sie. Besonders angetan war sie von den Fazioli-Flügeln. Schon in der Ausbildung sei der Wunsch in ihr gewachsen, auch an der Herstellung dieser „wunderbaren“ Instrumente mitzuarbeiten, die nur in kleiner Stückzahl produziert werden. Andere Firmen sind zwar viel älter als das 1981 gegründete italienische Unternehmen. Doch bei Fazioli werde dafür viel getüftelt und experimentiert, das habe sie angesprochen. Und auch der Firmengründer arbeite noch mit. „Er macht bei jedem Flügel die Endabnahme“, erzählt sie. Als sie von ihrer Mutter erfuhr, dass die Baden-Württemberg-Stiftung nicht nur Studenten, sondern auch Berufstätige fördert, bewarb sie sich sofort parallel bei der Stiftung und in Italien – beide Male mit Erfolg.

Frau Schlüsener und das Glockenspiel

Wenn es um Musik geht, war Livia Oberem schon immer hartnäckig. Das zeigt auch die Anekdote mit Frau Schlüsener, die es in ihr Motivationsschreiben an die Stiftung geschafft hat. Als Vierjährige wollte sie unbedingt Glockenspiel lernen. Die Bedingung ihrer Mutter: Sie dürfe einen Xylofonkurs machen, aber nur, wenn sie den Namen der künftigen Lehrerin ordentlich aussprechen könne. Das Problem: Die kleine Livia lispelte. „Xylofonunterricht bei Frau Schlüsener“ – das sei für einen Lispler eigentlich nicht zu schaffen. Aber sie übte täglich – und schaffte es pünktlich vor Kursbeginn, ihre Zunge zu bezwingen.

Klavier spielt sie, seit sie fünf Jahre alt ist – und auch das, weil sie unbedingt wollte. Den Eltern wäre Geige lieber gewesen. „Das Klavierspiel hat mir immer geholfen“, sagt sie. Sie sei dann ganz bei sich. Das Instrument sei eine wichtige Konstante für sie. Zehnmal ist sie schon umgezogen, auch, weil sich die Eltern trennten. Das Klavier war immer dabei, ob in Stuttgart oder in New York, wo sie ein Jahr beim Vater lebte. In Sacile steht es seit April. Da hat sie ihre beiden Yamahas mit einem Sprinter nachgeholt: ihr Digitalpiano und ihr Motorrad. In Italien waren sie so begeistert von ihr, dass sie ihr einen Vertrag ab September angeboten haben. „Ich kann es immer noch nicht ganz fassen“, sagt sie. Bald gehört sie richtig zur Fazioli-Familie.

Informationen zum Stipendium

Das Stipendium für Berufstätige der Baden-Württemberg-Stiftung richtet sich an junge Berufstätige, die über eine abgeschlossene, nicht akademische Berufsausbildung verfügen und einen überdurchschnittlich guten Abschluss vorweisen können. Das Angebot ist weniger bekannt als das für Studierende. Zahlen
Im Stipendienjahr 2017/18 wurden insgesamt 19 Stipendien von der Stiftung an Berufstätige vergeben. Im Stipendienjahr 2016/17 waren es zehn Stipendien. Der Auslandsaufenthalt soll der beruflichen Weiterentwicklung dienen und muss daher in unmittelbarer Verbindung mit dem erlernten Beruf stehen.

Praktika
werden für zwei bis sechs Monate gefördert, berufliche Weiterbildungsmaßnahmen, wie im Fall von Livia Oberem, für zwei bis elf Monate. Das Basisstipendium für Reisekosten, Verpflegung und Unterkunft beträgt monatlich 1000 Euro. Für Sprachkurse ist ein weiterer Zuschuss möglich.