Ein Totenkopf auf 150 Quadratmetern lässt Berlin rätseln: Steckt eine PR-Kampagne dahinter? Oder eine Aktion zum 30. Jahrestag des Mauerfalls? Der Stuttgarter Künstler Tim Bengel outet sich am Donnerstag gegenüber unserer Zeitung als Urheber dieser spektakulären Installation.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Was sollte mal auf unserem Grabstein stehen? Wenn sich ein junger Mann wie der Künstler Tim Bengel Gedanken darüber macht, geht es ihm nicht um das Sterben, sondern um das Leben – um das, was wirklich zählt. Eine spektakuläre Installation des 27-Jährigen sorgt seit zehn Tagen in der Hauptstadt für Aufsehen. In einer Nacht- und Nebelaktion – nur der Gartenbesitzer wusste Bescheid – hat der Schwabe in Berlin-Mitte zwischen dem Factory-Gelände und der früheren Todeszone der Mauer mit zwölf Freunden insgesamt 100 Grabsteine, 10 000 Heidekraut-Blumen und fünf Tonnen weißen Kies ins Erdreich eingebracht. Alles zusammen bildet einen riesigen Totenkopf, wie man von oben sieht.

 

Werk trägt den Titel „Gräber unserer Generation“

Wie der Künstler Banksy hat Tim Bengel das Werk unangekündigt in der Öffentlichkeit hinterlassen und nicht signiert. „Ich wollte, dass die Leute erst mal schauen, rätseln und sich Gedanken machen“, sagte der 27-Jährige am Donnerstag im Gespräch mit unserer Zeitung. Vor zehn Tagen ist die Installation heimlich und sehr aufwendig entstanden, die den Titel trägt „Gräber unserer Generation“. Immer wieder ließ der 27-Jährige eine Drohne steigen, um überprüfen zu können, ob der Totenkopf perfekt geformt ist.

Auf den Grabsteinen stehen Sprüche wie „I thought one day I would be happy“ („Ich dachte, eines Tages wäre ich glücklich“), „Why did(’nt) I live?“ („Warum habe ich (nicht) gelebt?“) und „I decided to be unhappy“ („Ich habe mich entschieden, unglücklich zu sein“). Mit seiner ersten großflächigen Kunstinstallation will Tim Bengel, der mit Gold, Sand und Klebstoff bekannt geworden ist und den man einen „Popstar der jungen Kunst“ nennt, dazu anregen, sich mit der Endlichkeit auseinanderzusetzen. „Wenn man die Postings in den sozialen Medien anschaut“, sagte der Künstler unserer Zeitung, „stößt man oft auf Oberflächlichkeiten.“ Man ärgere sich etwa, dass Beiträge von anderen Usern mehr Likes erhielten als die eigenen. Bengel ruft dazu auf, seine Zeit sinnvoll zu nutzen. Der 27-Jährige ernährt sich vegan, setzt sich für Tierschutz ein und für den Kampf gegen den Klimawandel.

Das Kunstwerk hat ihm 50 000 Euro gekostet

Tagelang hatte der Stuttgarter die Kunstinstallation vorbereitet, die ihm etwa 50.000 Euro gekostet hat. Der Garten gehört einem Freund von ihm, nur er war eingeweiht wie auch die zwölf Assistenten, die mit dem Künstler etwa 13 Stunden beschäftigt waren. Bei den 100 Grabsteinen handelt sich um Marmor, der mit Gold graviert ist. Die Pflanzen sind winterhart, sodass die Installation noch einige Monate bleiben wird. „Ich hoffe, dass viele kommen und sich das Werk anschauen“, sagte Bengel, „und hoffe, dass nichts gestohlen wird.“ Am Donnerstag kehrte er nach einem dreitägigen Aufenthalt in New York nach Stuttgart zurück und gab sich als Urheber des Berliner Totenkopfs zu erkennen.

Ein 27-Jähriger denkt über das Leben nach. Von einem Tag auf den anderen kann alles vorbei sein. Keiner weiß, wie viel Zeit einem geschenkt ist, bis man zurücklassen musst, was einem wichtig war, was einen glücklich gemacht hat. So sehr stecken die meisten im Alltag und in der Gewohnheit fest, dass sie ihre Wünsche aus den Augen verlieren. Die Botschaft von Tim Bengel könnte lauten: Es gibt ein Leben vor dem Tod! Macht was draus!