Das Kunstmuseum Stuttgart hat nach einem Jahr seine Sammlung in den Erd- und Untergeschossräumen in neuer Hängung wiedereröffnet. Sie kann sich sehen lassen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Endlich gibt es einen handfesten Grund, warum man im Kunstmuseum Stuttgart die Werke nicht anfassen sollte. Denn Zuwiderhandlungen könnten schmerzhaft sein. Die Skulpturen von Haegue Yang sind mit dem Hinweis versehen: „Bitte nicht berühren: Stromschlaggefahr!“ Die koreanische Künstlerin hat Schnüre, Kabel, Ketten und Jalousien zu Raumobjekten zusammengeschraubt und offensichtlich unter Strom gesetzt. Finger weg!

 

Dabei kommt die neugehängte Sammlung im Kunstmuseum an sich friedlich daher, will die Besucher nicht rütteln und schütteln oder gar provozieren, sondern seine Schätze kunsthistorisch korrekt und seriös präsentieren. Die Direktorin Ulrike Groos hat die vor einem Jahr der Sonderschau mit Werken von Michel Majerus wegen in den Kubus verlagerte Sammlung eine neue Dauerausstellung im angestammten Erd- und Untergeschoss des Museums eingerichtet.

Bevor der Rundgang beginnt, werden die Besucher mit einem bunten Potpourri in Petersburger Hängung begrüßt. Es ist ein Querschnitt durch die Bestände – mit Emil Nolde und Max Ackermann, mit dem Eisenbahnfetischisten Hermann Pleuer und dem fast vergessenen Maler Jakob Bräckle. Dieser Auftakt gibt eine Ahnung von den Tücken einer jeden öffentlichen Sammlung, die nicht stringent angelegt, sondern wild gewachsen und gewuchert ist und von den Direktoren in immer neue Richtungen gelenkt wurde.

Schwäbischer Impressionismus und Videokunst

So hatte Ulrike Groos die schwierige Aufgabe, eine schlüssige Auswahl aus 15 000 Werken zu treffen, darunter schnelle Zeichnungen und gewichtige Skulpturen, kleinmeisterliche Nebenprodukte und Ikonen der Kunstgeschichte, schwäbischer Impressionismus und Videokunst. Groos hat entschieden durchgegriffen, Hochkaräter herausgefischt und Schwerpunkte gesetzt. Die Räume sind schlicht, weiß, nackt, die Hängung ist klar, strukturiert und steckt voller Klammern und Symmetrien. Groos setzt nicht auf assoziative Zusammenhänge oder die atmosphärische Wirkung von Farben und Formen, sondern orientiert sich allein an der Kunst- und Stilgeschichte.

Den◘◘◘Auftakt     macht Otto Dix, dessen „Selbstbildnis mit Jan“ (1930) Groos aus der aktuellen Sonderausstellung über    „Dix und die Neue Sachlichkeit“ zurück in die Sammlung geholt hat. Mit dabei der Neuankauf „Zirkusmappe“ von 1922, bei der die Löwenbändigerin selbst wie eine grimmige Löwin dreinschaut. Es folgen Willi Baumeister und Fritz Winter, schöne Wiederentdeckungen von K. R. H. Sonderborg und Karl Georg Pfahler. Der Bogen reicht vom Informel zur Hardedge-Malerei.

Ein Schwerpunkt der Stuttgarter Sammlung liegt auf der Konkreten Kunst. Entsprechend gibt es viele Experimente mit Kreis und Quadrat, millimetergenau berechnete Proportionen und Relationen oder „Die Ausdehnung von Gelb und die Strahlung aus Lila“, wie es bei Max Bill heißt. In den künstlich beleuchteten Kabinetten wirken diese ohnehin oft recht akademischen Studien allerdings ein wenig blutleer.

„Fortschritt wäre wunderbar – wenn er nur aufhören würde“

Die Architektur des Kunstmuseums ist nicht immer einfach zu bespielen, nicht für alle Künstler gab es attraktive Plätze. Dieter Kriegs große, kraftvolle Gemälde, sein „Fischkopf“ und das „Taschenmesser“, kommen nicht recht zur Geltung auf den niedrigen Wänden. Das Kabinett mit Adolf Hölzel und Reinhold Nägele wirkt wie eine Notunterkunft. So war es eine gute Idee, im Untergeschoss Wände einzuziehen, um die lange Flucht zu unterbrechen und den Werken zu mehr Konzentration zu verhelfen. Die Neupräsentation gewinnt im Untergeschoss, weil Groos sich hier nicht mehr nach allen Seiten hin absichert, sondern souveräner agiert. Joseph Kosuth ist nun großzügig vertreten mit frisch restaurierten Installationen und Neonschriften wie „Five Words and Five Colors“. Er hat auf Stoff Zitate kluger Gewährsmänner wie Robert Musil geschrieben: „Fortschritt wäre wunderbar – wenn er nur aufhören würde.“

Für Wolfgang Laib muss das Kunstmuseum nun regelmäßig in den Supermarkt gehen. Denn auf seinem „Milchstein“ von 1993, einer Marmorplatte, schwimmt Milch mit feucht glänzender, magischer Oberfläche – so lange, bis sie sauer ist und ausgetauscht werden muss. Zum ersten Mal sind auch einige Werke von Uwe Lausen zu sehen, diesem jung verstorbenen Stuttgarter Künstler, den die Frankfurter Schirn wiederentdeckt und 2010 in einer umfassenden Schau vorgestellt hat. Stuttgart besitzt das Gemälde „hervorragend“, das Lausens Lieblingsmotiv zeigt: den Tatort Wohnzimmer, der synonym steht für die Abgründe und Grausamkeiten der Kleinfamilie.

Die Neupräsentation spiegelt aber auch Stuttgarter Ausstellungsgeschichte: mit Tony Craggs „Spyrogyra“, einem Metallgestell voller sandgestrahlter Glasflaschen, mit Josephine Meckseper und Christian Jankowski. Dieser ist in seinem Video „Die Jagd“ im Supermarkt unterwegs und erlegt seine Einkäufe – Klopapier, Margarine – wie die urzeitlichen Jäger ihre Beute mit Pfeil und Bogen.

Viel Platz für Haegue Yangs Installationen

Ulrike Groos will den Blick wieder verstärkt auf Stuttgarter Künstler und Professoren lenken. So ist Rainer Ganahl, der an der Kunstakademie lehrt, mit dem Videomitschnitt einer seiner Fahrrad-Expeditionen vertreten, während Karin Sander eine Arbeit für die lange Wand im Untergeschoss entwickelt und dazu die Beschaffenheit ebendieser Wand, die Fugen und Schrägen, Flächen und Winkel in einen Quellcode übersetzt hat. Das Ergebnis ist bestenfalls für Programmierer zu entschlüsseln und besteht aus Botschaften wie „>

Immer wieder hat man der Stuttgarter Kollektion nachgesagt, bis auf einige Glanzstücke Mittelmaß zu bieten. In der Neupräsentation kann sie sich mehr als sehen lassen. Trotzdem scheint die Direktorin ihr nicht ganz getraut zu haben – und hat deshalb Haegue Yang unerwartet viel Raum eingeräumt. Die südkoreanische Künstlerin wird derzeit hoch gehandelt, ihre Choreografie aus Jalousien auf der Documenta 13 war ein beliebtes Fotomotiv. Zur Stuttgarter Sammlung hat sie eigentlich keinen Bezug. Die Jalousien-Skulpturen, Wandobjekte, Videos und Grafiken sind allesamt Leihgaben, mit denen man wohl markieren wollte, dass man trotz Bekenntnis zur Region den Anschluss ans aktuelle Kunstgeschehen hat.