Stuttgarter Lerntherapeuten geben Tipps Schlechte Noten zum Halbjahr? Eltern können gegensteuern

Sind die Noten in der Halbjahresinformation schlecht, muss nicht unbedingt professionelle Hilfe her. Foto: Imago/Fotostand/Schmitt

Sind die Noten schlecht, müssen Eltern nicht in Panik verfallen – aber das Warnzeichen ernstnehmen. Doch was können Eltern tun, damit das Kind zuhause besser lernt? Zwei Lerntherapeuten aus dem Raum Stuttgart geben Tipps.

Wenn Anfang Februar in den Stuttgarter Schulen die Halbjahresinformationen rausgehen, gehen bei Nico Gentner die Anfragen ein: „Zum Halbjahr interessieren sich mehr Eltern für Lerntherapie. Vielleicht, weil schlechte Noten im Abschlusszeugnis nach den Sommerferien wieder vergessen sind“, sagt der Pädagoge. In Filderstadt unterrichtet er Kinder mit Problemen in der Schule.

 

Aber sollte das Kind bei einer Vier im Zeugnis tatsächlich direkt zu Lerntherapie oder Nachhilfe? Oder können Eltern auch daheim gegensteuern? Zwei Lerntherapeuten aus der Region beantworten die wichtigsten Fragen bei schlechten Noten.

Muss ich eine Vier im Zeugnis ernst nehmen?

Ja, sagt Hartmut Bernart. Der ausgebildete Psychologe, Sonderpädagoge und Familienberater ist Lerntherapeut in Degerloch. „Denn Noten geben Rückmeldung über den Lernstand eines Kindes.“ Bernarts Erfahrung nach fallen sie sogar tendenziell zu gut aus. Eine schlechte Note sei wichtiges Alarmzeichen, um frühzeitig Lernrückstände zu erkennen. Wer zu lange wartet, nehme dem Kind die Chance, den Rückstand zügig aufzuholen.

Das wird besonders dann zum Problem, wenn es um grundlegende Kompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen geht – wer hier früh Lücken hat, wird sich später beim Lernen in anderen Fächern schwertun oder den Anschluss verlieren. In der Grundschule sollten einzelne schlechte Noten und Beurteilungen also besonders ernst genommen werden, sagt auch Nico Gentner.

In höheren Klassen gelte das auch in Fächern wie Mathematik, in denen neues Wissen laut Hartmut Bernart zu etwa 80 Prozent auf Vorwissen aufbaue: „Wer die Division nicht verstanden hat, wird Schwierigkeiten im Bruchrechnen haben.“ Fächer wie Geschichte oder Biologie vermitteln mehr voneinander unabhängiges Wissen – ist die schlechte Note ein Ausrutscher, können Kinder beim nächsten Thema wieder aufschließen.

Eltern sollten sich aber nicht nur auf Noten fokussieren, sagt Nico Gentner. Besonders in der Grundschulzeit sei es wichtig, bereits vor Ausgabe der Zeugnisse zu beobachten, ob das Kind mit Hausaufgaben und Unterrichtsinhalten zurechtkomme und die Kernkompetenzen beherrsche.

Versteht es nach der ersten Klasse Zahlenreihen – dass etwa in der Zahl zehn auch die eins, die zwei oder zwei Mal die fünf steckt? Oder muss es mit den Fingern zählen? Hat es in der ersten Klasse Probleme mit den Lauten – verwechselt das Kind beim Schreiben etwa oft ein „b“ mit einem „p“? Kann es in der vierten Klasse eine Buchseite flüssig vorlesen oder stockt es? Hält es beim Lesen die Satzzeichen ein und kann es danach den Inhalt wiedergeben? Kann das Kind Mengen erfassen, ohne abzuzählen? All das seien wichtige Hinweise, meinen beide Lerntherapeuten.

Können Eltern selbst gegensteuern oder ist professionelle Hilfe nötig?

Das hängt laut dem Lerntherapeuten Bernart vom Grund für die schlechten Noten ab und davon, wie weit das Kind im Stoff zurückliegt. Der Hund ist gestorben, die Eltern haben sich getrennt, das Kind ist verliebt, zwei beste Freunde haben sich zerstritten – solche äußeren Umstände könnten zu vorübergehenden Lernproblemen führen, schlechte Noten inklusive. In solchen Fällen könnten Eltern selbst gegensteuern, indem sie ihr Kind unterstützen, den Lernrückstand aufzuholen. Auch Nachhilfe sei ein geeignetes Mittel. „Dafür sollten die Kinder aber im Stoff nicht weiter als ein halbes Jahr zurückliegen“, sagt Bernart.

Ziehen sich schlechte Noten, Rückstände und Lernschwierigkeiten über längere Zeiträume hin, sollten sich Eltern laut Bernart professionelle Unterstützung suchen, um Wissenslücken zu verhindern und die Ursache herauszufinden: Liegt es daran, dass das Kind kognitiv nicht kann oder will es vielleicht nicht? Fehlt ihm die Lernstrategie oder das Vorwissen? Bedrücken das Kind Versagensängste oder Unsicherheit? Liegt eine Lernentwicklungs- oder eine Aufmerksamkeitsstörung vor?

Nach einer Lernphase sollten Eltern innehalten und das Kind das neue Wissen reflektieren lassen, sagt Lerntherapeut Hartmut Bernart. Foto: Privat

Fach-, Klassen- oder Beratungslehrer, der schulpsychologische Dienst oder zertifizierte Lerntherapeuten seien dann Anlaufstellen. Schulen seien im Übrigen verpflichtet, so Bernart, Kinder mit besonderem Förderbedarf zu unterstützen. Das geht zum Beispiel mit Zusatzunterricht.

Eine schlechte Idee ist die Förderung von zuhause auch dann, wenn Eltern eine Ursache von Lernschwierigkeiten sind: „Haben Eltern unrealistische Erwartungen – also glauben sie zum Beispiel, ihr Kind sollte weniger oder mehr lernen – kann das Kinder verunsichern oder überfordern“, sagt Hartmut Bernart. Spürt das Kind, dass die Eltern unzufrieden mit seiner Leistung sind, bemerkt es Genervtheit oder Enttäuschung, kann das Druck und Ängste auslösen.

Auch wenn Eltern nach einigen Wochen merken, dass das intensive gemeinsame Lernen eine Qual ist und die Beziehung zum Kind belastet, sollten sie Unterstützung von außen suchen, so Gentner. Und: „Eltern sollten sich auch nicht überfordern; sie sind nicht verantwortlich, die Schule zu ersetzen.“

Wie können Eltern bei Hausaufgaben und vor Klassenarbeiten unterstützen?

Vor allem für jüngere Kinder sollten Eltern das Lernen organisieren und strukturieren: „Zu erwarten, dass sich Kinder mit Interesse und Motivation dauerhaft selbstständig hinsetzen und lernen, ist Quatsch“, sagt Bernart. Denn die Fähigkeit, sich so zu verhalten, wie das für gute Noten nötig ist (Selbstregulation), entwickle sich bei Kindern erst mit der Pubertät. Ein Lernwochenplan hilft. Mit ihm stellen Eltern feste Zeiten auf, wann und wie lange für welches Fach gelernt wird oder wann welche Hausaufgaben erledigt werden. Auch Freizeitphasen und wichtige Termine wie Klassenarbeiten werden vermerkt. „Das Kind weiß dann: Jetzt habe ich mit den Hausaufgaben in Mathe zu tun.“

Lernphasen sollten nicht zu lange dauern (etwa 15 bis 30 Minuten, je nach Alter des Kindes), Themen und Fächer sich abwechseln: „Das verhindert Interferenzen, also Störungen im Langzeitgedächtnis“, so Bernart.

Während der Aufgaben immerzu neben dem Kind sitzen, bräuchten die Eltern dabei nicht, sagt Bernart: „Eltern können zu Beginn der Lernphase helfen, in die Aufgaben hineinzufinden: Was ist bei diesem Arbeitsblatt zu tun? Und wie machst du das?“ Danach könne das Kind selbstständig lernen. Das trainiere auch die Selbstwirksamkeit, also die Überzeugung: „Ich kann das“.

Hinterher sollten Eltern die Aufgaben kontrollieren. Lob bestärkt Kinder. Bemerken Eltern Fehler, sollten sie darauf hinweisen, den Fehler aber selbst entdecken lassen: „Lieber sagen: Schau mal, da stimmt doch was nicht. Das Kind lernt dann nachhaltiger“, so Bernart. Korrigieren lassen sollten Eltern Fehler so früh wie möglich, sagt Nico Gentner: „Macht ein Kind einen Fehler, wollen manche Eltern nicht Motivation nehmen und lassen ihn durchgehen. Das Gehirn funktioniert aber wie ein Trampelpfad im Schnee. Einmal gegangene Wege prägen sich ein – auch wenn sie falsch sind.“

Finden Eltern immer wieder die gleichen Fehler, hat ein Kind Probleme, trotz des gemeinsamen Hineinfindens die Aufgaben zu verstehen oder konzentriert es sich auch während der kurzen Phasen nicht, seien das Signale für Lernschwierigkeiten.

Wie können Eltern ihr Kind beim Verstehen von Neuem unterstützen?

Gelernt werde in der Schule vor allem über zwei „Zugänge“ zum Gehirn, so Nico Gentner: Sehen und zuhören. Nicht für alle Kinder sei das der beste Weg: „Manche Kinder lernen besser im Austausch, also wenn sie sich unterhalten. Andere brauchen Bewegung. Wieder andere möchten etwas ausprobieren.“ Gentner versucht deshalb, beim Lernen möglichst viele Zugänge zu nutzen, was er auch Eltern rät: „Rechnen lasse ich am Anfang zum Beispiel viel mit den Fingern. Die Finger kann das Kind bewegen, sie auf den Tisch drücken, dazu sprechen, sie sehen.“ Hier verfolgen die beiden Lerntherapeuten unterschiedliche Ansätze.

In der Grundschule sollten Eltern auch einzelne schlechte Beurteilungen ernst nehmen, sagt der Pädagoge Nico Gentner. Foto: Privat

Auch die Lernsituation könne eine Rolle spielen, so Gentner. „Manche Kinder brauchen eine reizarme und stille Umgebung, wo sie nirgends mit den Augen und Ohren hängen bleiben können.“

Wie können sich Kinder besser an Gelerntes erinnern?

„Das Wichtigste ist, das Kind selbst denken und machen zu lassen. Zumindest das, was es schon kann“, sagt Hartmut Bernart. Beim Lernen sei der Speicher des Arbeitsgedächtnis’ nach etwa 20 Minuten voll. Bei jüngeren Kindern schon nach zehn bis 15 Minuten. „Alles, was danach an neuer Information kommt, verdrängt eine zuvor neu erlernte Information“, so Bernart.

Deshalb sollten die Phasen mit neuen Informationen nur kurz sein. Zusätzlich können Eltern Kinder auffordern, das neu Erlernte mithilfe kleiner Überprüfungen zu erinnern. „Eltern können etwa fragen: Was hast du eben gelesen? Und das Kind noch mal zusammenfassen lassen. Oder in der Mathematik: Wie haben diese Aufgaben eben alle funktioniert? Wovon hast du das gerade abgeleitet? Erklär mir das mal, erzähl mir das mal, beschreib doch mal.“

Das Erinnern sollte aber nicht sofort im Anschluss an die Lernphase stattfinden, sondern in einem Abstand von mindestens 30 Minuten, so Bernart: „Nur dann ist klar, ob das Wissen langfristig gesichert ist.“

Zu erinnern und reflektieren, was während des Tags gelernt wurde, kann gemeinsames Abendritual sein. Denn neue Informationen werden über Nacht im Langzeitgedächtnis verankert. Laut Bernart verarbeitet das Gedächtnis dabei zuerst die Informationen, die zuletzt eingegangen sind – schlechte Karten also für den Stoff, der morgens in der Schule durchgenommen wurde. „Wenn ich morgens etwas lerne und abends nicht mehr darüber nachdenke, wird das Gehirn zuerst das Video verarbeiten, das mein Kind abends vor dem Einschlafen geguckt hat.“

Auch Gelerntes mit Geschichten oder bestimmten Bewegungen zu verknüpfen, könne manchen Kindern helfen, sich besser zu erinnern, sagt Nico Gentner. Besonders bei jüngeren Kindern können Eltern Gelerntes im Alltag spielerisch abfragen – etwa das Mengenverständnis beim gemeinsamen Kochen und Backen.

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Stuttgart Noten Zeugnis Bildung Schule