Odine Johne (29) brilliert in Johannes Schmids Kinofilm „Agnes“, der Adaption eines Romans von Peter Stamm. Im Interview verrät sie, was sie an der Rolle fasziniert und wie Preise das Leben verändern.

Stuttgart - Frau Johne, kannten Sie vor dem Rollenangebot Peter Stamms Roman?

 
Ich wusste, dass das Drehbuch auf einem Roman basiert, hatte ihn aber nicht gelesen, sondern das Drehbuch zuerst – ich wollte erstmal frei von der Vorlage sein. Aber danach habe ich dann direkt den Roman gelesen.
Im Film wurde ja unter anderem die Handlung von Chicago nach Düsseldorf verlegt. Wie bewerten Sie die Unterschiede zum Roman?
Es gibt schon einige Unterschiede, gerade, dass der Film nicht in Amerika spielt. Aber ich habe das Gefühl, dass der Film getroffen hat, worum es in der Romanvorlage im Kern geht: Die Liebesgeschichte und die Frage, wie weit man sich wirklich begegnen kann, inwieweit man in den Anderen immer etwas hineinprojiziert.
Agnes ist sehr barsch und direkt, dann wieder beinahe entrückt. Hat Sie die Figur gleich gereizt oder haben Sie gedacht: Um Himmels Willen, was ist das für einen Rolle?
Ich habe gedacht: Um Himmels Willen, was für eine Frau! Aber das war eben auch reizvoll. Agnes hat einen sehr vielschichtigen Charakter, der nie ganz zu fassen ist; man erfährt ja nicht, wer sie wirklich ist, was nur ihr Partner, in ihr gesehen, in sie hineinprojiziert hat. Ich finde die Rolle interessant, weil sie so radikal ist. Agnes bewegt sich zwischen Extremen: Einerseits dem Zwanghaften, Kontrollierten der Physikerin, die forscht und total isoliert ist, und die dann andererseits aber auch total aufmachen kann, sehr sinnlich und emotional ist und sich dem Leben hingibt.
Im Buch wie im Film verändert eine fiktive Geschichte das wirkliche Leben – vor allem das von Agnes, die ihren Partner bittet, diese Geschichte zu schreiben. Können Sie sich so eine Dynamik in der Realität vorstellen?
Ja, weil man sich immer durch den Blick des Anderen verändert. Diese ganze Geschichte, dieses „Schreib über mich, ich will wissen, wer ich für dich bin“, das ist eine starke Metapher für das, was in der Liebe passiert: Dass man sich ein Bild des Anderen macht. Dass man ein Stück weit vielleicht zu dem Bild wird, das sich der Andere gemacht hat.
Das Romanschreiben als Metapher für etwas, was in den meisten Beziehungen passiert?
Ja. Und nicht nur in Beziehungen, sondern in allen menschlichen Begegnungen. Weil es so etwas wie eine Realität nicht gibt; es gibt nicht das eine Kennenlernen, wie es wirklich war, sondern immer nur eine subjektive Variante, die sich Liebende erzählen. All diese Fragen: „Gibt es überhaupt eine Realität?“, „Gibt es ein festes Ich?“ – das sind die Themen, die in meinen Augen in diesem Motiv „eine Geschichte schreiben“ drin stecken.
Sie haben für ihre Rolle beim Max-Ophüls-Festival den Preis als beste Nachwuchsdarstellerin bekommen. Hat Sie das überrascht – Sie sind ja nun schon rund zehn Jahre im Geschäft?
Ich glaube, Nachwuchs bin ich schon noch, weil es ja auch meine erste große Kinohauptrolle ist. Ich wusste, dass ich nominiert bin, aber mich hat es trotzdem sehr überrascht, weil ich nicht damit gerechnet hatte.
Hat sich durch den Preis etwas verändert?
Ja, es war erstaunlich, dass wirklich direkt danach Anfragen kamen. Das war natürlich auch ein bisschen seltsam, weil ich ja dieselbe Arbeit wie davor auch mache, aber der Preis hilft offenbar, dass Leute mehr davon mitkriegen und überhaupt mal hören, dass es mich gibt. Ich konnte danach viele interessante Projekte machen oder zu Castings gehen, und ich habe spannende Drehbücher zugeschickt bekommen.
Arbeiten Sie gerade an einem Filmprojekt?
Gerade habe ich einen „Tatort“ abgedreht in Frankfurt.
Sie kommen ursprünglich aus Stuttgart. Wann sind Sie weg und warum?
Ich hatte mich 2006 nach dem Abitur entschieden, die Schauspielerei wirklich zu meinem Beruf zu machen und bin dafür nach Berlin gegangen, da es dort ein größeres Filmnetzwerk gibt und ich auch Lust hatte, ganz neu anzufangen. In Berlin hatte ich viel Glück, habe „Die Welle“ und einige andere Filme gedreht. 2008 bin ich wiedergekommen zum Schauspiel-Studium in Ludwigsburg. Die Schule wurde neu gegründet, das fand ich spannend, und der Studiengangsleiter war Luk Perceval, dessen Theaterstücke mich in Berlin sehr fasziniert hatten.
Haben Sie für die Zukunft eher das Ziel, mehr Film zu machen oder wieder mehr Theater?
Ich spiele total gerne Theater, aber nach den vier Jahren Schauspielstudium, das ja auf Theater ausgerichtet war, hat mir das Drehen wirklich gefehlt. Deswegen war es eine bewusste Entscheidung, danach nicht fest an ein Haus zu gehen, sondern erstmal wieder den Anschluss ans Filmgeschäft zu finden. Ich habe als Gast in Bonn Theater gespielt, und mit einem eigenen Theater-Kollektiv Projekte entwickelt, aber jetzt gerade bin ich mit Drehen sehr ausgelastet. Letztendlich ist es aber gar nicht so wichtig, ob man dreht oder Theater spielt, weil der Kern gar nicht so anders ist.
Können Sie sich vorstellen, nach Stuttgart zurückzukommen – eventuell als Ensemblemitglied des Staatstheaters?
Stuttgart wird immer meine Heimatstadt bleiben, ich habe meine ganze Kindheit hier erlebt. Ich bin in Heslach aufgewachsen und die kleinen Straßen und Staffeln sind mir noch sehr vertraut, auch wenn sich die Stadt in den letzten Jahren sehr verändert hat. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, hier wieder zu leben, da alle beruflichen Kontakte in Berlin sind. Falls sich irgendwann ein Angebot des Staatstheaters bekäme und dort eine interessante Leitung wäre, könnte es mich aber schon wieder hierher verschlagen.