Ein höchstrichterliches Urteil zur Anerkennnung von Wegezeiten als Arbeitszeit soll vom SSB-Vorstand ignoriert worden sein. Der Betriebsrat zieht deshalb vor Gericht.

Stuttgart - Der Betriebsrat der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) AG sieht offenbar weiter nur die Konfrontation mit dem Vorstand des städtischen Eigenbetriebs vor dem Arbeitsgericht, um die Rechte der Belegschaft zu verteidigen. Am Dienstag stellte der Stuttgarter Fachanwalt für Arbeitsrecht, Uwe Melzer, den Antrag, die Verwendung der dieser Tage in Kraft tretenden neuen Jahresdienstpläne für die Fahrer von Bussen und Bahnen zu verbieten, weil die Arbeitnehmervertretung darüber nicht habe mitbestimmen dürfen. Die Arbeitsdirektorin der SSB, Sabine Groner-Weber, beharrt auf einer „verfahrensgerechten“ Vorgehensweise.

 

Nach Einschätzung des Betriebsrates wären rund 70 zusätzliche Mitarbeiter nötig, würde das Unternehmen die Gesetze einhalten. Weil das aber nicht der Fall sei, würden dem Fahrpersonal pro Woche zwei bis drei Überstunden nicht vergütet und damit viele Millionen Euro Lohn vorenthalten. Die Ansprüche müssten von jedem Beschäftigten einzeln eingeklagt werden.

Wegezeit ist unter Umständen Arbeitszeit

Seit Jahren gibt es Kontroversen wegen der Dienstpläne, Dutzende Beschlussverfahren wurden bereits vor Gericht verhandelt. Nun geht es einmal mehr um die angeblich unterlassene Anrechnung der Wegezeiten als Arbeitszeit. Gemeint ist damit die zwingend in Uniform zu bewältigende Strecke zwischen dem jeweiligen Betriebshof, an dem das Fahrpersonal die Dienstkleidung an- und ablegt, sowie dem Ablösepunkt; das ist die Haltestelle, an der das Fahrzeug übernommen oder übergeben wird. Hier beginnt und endet der Dienst. Anders verhält es sich, wenn der SSB-Mitarbeiter von Zuhause zum Ablösepunkt kommt oder nach der Arbeit gleich heimfährt. Dann gilt der Weg als Freizeit, obwohl er in Uniform absolviert wurde.

Ein zweiter Streitpunkt sind die Vor- und Abschlusszeiten der Fahrer. „Auch sie hat der Arbeitgeber in den neuen Dienstplänen nicht so berücksichtigt wie sie nach dem Ergebnis eines externen Gutachters tatsächlich anfallen“, sagt Melzer. Es dauert seine Zeit, bis Fahrer Wagen inspiziert, Schäden und Fundsachen aufgenommen, die Ticketverkäufe (bei Bussen) abgerechnet und im Winter den Sandvorrat für die Bremsen der Bahnen kontrolliert haben. Ein externer Gutachter habe 20 bis 25 Minuten bei den Stadtbahnen und etwa 14 Minuten bei Bussen ermittelt. Die SSB hätten aber nur pauschal zehn Minuten eingeplant.

Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht?

Melzer wirft dem Arbeitgeber vor, sich nicht an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zu halten, indem er die Wegezeiten (die nun Arbeitszeit darstellen) unberücksichtigt lasse. „Damit verstößt er gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Erstellung von Dienstplänen“ und auch gegen einen 2015 getroffenen Spruch einer Einigungsstelle. Damals habe dieses Schiedsgericht auf Drängen der Geschäftsführung eine Betriebsvereinbarung für die Planerstellung beschlossen. Der Betriebsrat hätte spätestens einen Monat vor Inkrafttreten vollständig über die Jahresdienstpläne informiert werden müssen. Wegen der erfolgten Ablehnung hätte der Vorstand das Problem mit dem Betriebsrat besprechen und danach die Einigungsstelle anrufen müssen. Stattdessen seien die Dienstpläne einseitig in Kraft gesetzt worden.

Den Umstand, dass der Betriebsrat den Dienstplänen die Zustimmung versagte und sich aus dessen Sicht zwingend Verhandlungsbedarf ableitet, lässt die Arbeitsdirektorin Sabine Groner-Weber in ihrer Stellungnahme unberücksichtigt. Die Anträge der Gegenseite fürs Gericht seien ihr nicht bekannt. Sie erklärte lediglich, die Dienstpläne seien nach den 2015 vereinbarten Parametern erstellt und dem Betriebsrat vorgelegt worden, Sachfehler habe man korrigiert. Sie verwies auf aktuelle Versuche, sich mit dem Betriebsrat beim Thema Dienstpläne parallel zu laufenden Einigungsstelle zu verständigen.

Die Arbeitsdirektorin Sabine Groner-Weber hat Betriebsräte in eine niedrigere Entgeltgruppe eingeordnet, Pauschalen gestrichen und zu viel gezahltes Gehalt teilweise zurück gefordert. Das Arbeitsgericht hat die Kürzungen bestätigt, die Rückforderung ist strittig. Die Fälle gehen in die nächste Instanz.

Arbeitgeber und Betriebsrat befinden sich derzeit in mehreren Einigungsverfahren. Sie beschäftigen sich unter anderem mit den jetzt thematisierten Wegezeiten sowie den Vor- und Abschlusszeiten.