Das Stuttgarter Opernhaus muss renoviert, ertüchtigt und erweitert werden. Wie das gehen kann, hat sich der Verwaltungsrat der Staatstheater in ­Kopenhagen und London angeschaut.

Stuttgart - Der OB schnallt sich an. Fritz Kuhn hat sich neben den Fahrer gesetzt und greift zum Mikrofon, während der Bus vom Flughafen ins Zentrum von Kopenhagen fährt. Eigentlich wäre das die Aufgabe der Kunstministerin Theresia Bauer gewesen, doch sie sitzt etwas bleich in der Ecke: Ein Virus hat sie über Nacht attackiert, gegen Abend scheint sie ihn wieder dem feuchten Dunst der dänischen Hauptstadt überantwortet zu haben. An ihrer Stelle übernimmt der Stuttgarter Oberbürgermeister die Einstimmung auf die dreitägige Reise einer 32-köpfigen Delegation aus Mitgliedern des Landtags, des Gemeinderats sowie Vertretern des Kunst- und Finanzministeriums, die neben Kopenhagen auch noch nach London führen wird. Zwei Intendanten der Staatstheater, Jossi Wieler (Oper) und Marc-Oliver Hendriks (Geschäftsführung), sind auch dabei. „Sinn und Zweck“ dieser Exkursion sei es, so OB Kuhn in seiner unverklausulierten Sprache, „zwei Häuser und ihre Bühnentechnik anzuschauen, um den Blick zu schärfen für unsere schöne Stuttgarter Oper“.

 

Die „schöne Oper“ muss saniert und baulich erweitert werden. Das wissen viele der hier versammelten Mitglieder des Verwaltungsrats der Staatstheater – und etliche sind sich einig, das auch anzugehen, über die Parteigrenzen hinweg. Aber der Bammel vor der Aufgabe ist groß, das ist zu spüren. Das Gutachten des Büros Kunkel Consulting hat die Mindestkosten 2014 auf ungefähr 300 Millionen Euro beziffert, der Staatssekretär im Wirtschafts- und Finanzministerium, Peter Hofelich, geht von mindestens zehn Prozent mehr aus. Dass es dabei nicht bleibt, lässt sich erahnen: Moin, Moin Hamburg (Elbphilharmonie), Hallo, Berlin (Staatsoper unter den Linden), Kölle alaaf (Opernhaus) – den Kostensteigerungen dort wohnt ein Schreckenspotenzial inne.

Diebische Freude des Geschäftsführers

In Stuttgart laufen die Fäden bei Marc-Oliver Hendriks zusammen, dem smarten Geschäftsführenden Intendanten. Die Sanierung und Erweiterung der Oper ist sein Herzensprojekt. Der 45-Jährige, dessen Vertrag bis 2022 verlängert wurde, greift jetzt bei Tempo hundert zum Mikrofon und fasst den Ablaufplan des Tages zusammen. Er ist ein Taktiker und weiß, dass er nicht auf die Tube drücken kann. Bei der anstehenden Bewertung des Gutachtens im Verwaltungsrat und womöglich ersten Grundsatzentscheidungen – das Gremium tagt wieder am 16. November – setzt er auf den Anschauungseffekt der Reise. Jedenfalls liegt man nicht falsch, in seinen Augen eine diebisch aufblitzende Freude zu vermuten, wenn die Delegation jetzt in der vor zehn Jahren eröffneten Königlichen Oper von Kopenhagen einen Rundgang macht.

Vor einigen Wochen hatte Hendriks zusammen mit Arno Laudel, dem Leiter der technischen Dienste im Staatstheater, einen Teil der Mitreisenden durch den heimischen Littmann-Bau geführt. Wer Augen hatte zu sehen, staunte nicht schlecht, als er das 8,5-Quadratmeter-Dunkel-Loch erblickte, in dem die Tubisten des Stuttgarter Staatsorchesters nicht nur ihre Instrumente verstauen, sondern sich eigentlich einspielen sollen. Rustikales Sowjetzeiten-Feeling kam in der Garderobe der Solistinnen des Balletts auf, elf Tänzerinnen teilen sich auf sehr überschaubarem Raum die Schminkspiegel und zwei Duschen, über deren Zustand man lieber schweigt – arbeitsrechtlich alles höchst bedenklich und beinahe so abenteuerlich wie auch der gesamte Bühnenbereich.

Wirklich ein Fall für den Denkmalschutz?

Stuttgart besitzt für seine sechs Hubpodien in der Untermaschinerie die weltweit älteste Steuerungstechnik in einem Haus dieses Rangs. Arno Laudel erzählt, dass junge Techniker, die neu ins Haus kommen, das grüne Pult von Beginn der achtziger Jahre mit großen Augen bestaunen. Manchmal muss man Kollegen im Ruhestand reaktivieren, damit sie Einweisungen geben. Die Dimmer-Anlage, einer der komplexesten Teile der Lichttechnik, ist inzwischen so veraltet, dass man zwei Systeme parallel fährt. Die wurstdicken Kupferkabel bringen die Kabelschächte und die Statik an Kapazitätsgrenzen. Und das unisolierte Dach von 1911 ist der Grund, dass das Haus „bei Schnee das einzig nicht weiße Dach in Stuttgart hat“, so Laudel.

Ein zentraler Aspekt der Sanierung ist für Hendriks jedoch die Situation der Bühnenlandschaft. Idealerweise – und deshalb ging die Fahrt ins Ausland – haben Opernhäuser eine Kreuzbühne. Das heißt: die dem Zuschauer einsehbare Fläche der Hauptbühne findet sich links, rechts und hinten ein weiteres Mal, um Bühnenbilder komplett zwischen dieser Haupt- und den sogenannten Seiten- und Hinterbühnen zu verschieben. In Stuttgart aber fehlen diese für die Effizienz der Arbeitsabläufe unabdingbaren Räume. Links ließe sich der Platz im Zuge der Sanierung leicht schaffen, doch rechts steht die Außenmauer in Richtung Landtag. Zwei Meter fehlen. Das Büro Kunkel schlägt deswegen eine Erweiterung durch Versetzung des rund 23,5 Meter breiten Gebäudevorsprungs vor. Technisch kein Problem, der Miniflügel würde dann wie bei einer Flugzeugverlängerung durch ein Segment aus gleichem Sandstein erweitert. Nur zweihundert Zentimeter, aber trotzdem ein Fall für die Stuttgarter Denkmalschutzbehörde.

Je mehr Bühnenfläche, desto größer das Repertoire

Beim Gang über die Bühne des Königlichen Opernhauses in Kopenhagen gehen den Besuchern die Augen über: neben der Hauptbühne stehen dem Haus fünfmal die gleichen Flächen auf Seiten- und Hinterbühnen zur Verfügung. Zum Verschieben ganzer Segmente wird der Boden um dreißig Zentimeter gesenkt, Zahnräder bewegen die Bühnenwagen mitsamt dem komplett aufgebauten Bühnenbild. Anschaulich wird der Delegation dieser Verschiebebahnhof erklärt, der auch in Stuttgart den Spielplan beleben dürfte: Die 22 Opern dieser Spielzeit sind im Vergleich zum ungleich größeren Repertoire anderer Opernhäuser den begrenzten Aufbaumöglichkeiten geschuldet. Mehr Abwechslung im Spielplan erhöht aber nicht nur die Attraktivität eines Hauses, sondern auch den Publikumsandrang – noch ein Argument für Hendriks, den Hüter der Theaterkassen.

Doch ein Opernbesuch dreht sich nicht nur um Technik und Kunst, wie am nächsten Tag der Besuch des Royal Opera House in London erweist. Rückwärtig an den ehemaligen Obst- und Blumenmarkt Covent Garden grenzend, an Soho, Chinatown und den Musicaldistrikt, blubbert hier die britische Hauptstadt – ein Leben, das man in den Sanges- und Tanztempel lenken wollte. Ein wichtige Maßnahme bei der vor 18 Jahren angegangenen Generalsanierung samt imposantem Erweiterungsprogramm war daher die Ertüchtigung der neben dem historischen Theaterbau gelegenen Lagerhalle. Heute beherbergt sie das Theaterfoyer mit cooler Champagnerbar. Dagegen ist der Stuttgarter Böhm-Pavillon ein Fussel auf dem Abendkleid. Eine gewisse Begeisterung über die demokratische Großzügigkeit des Raums war den Mitgliedern des Stuttgarter Verwaltungsrats anzumerken bei der abendlichen Ballettvorstellung von „Romeo und Julia“. Jetzt müssen sie sich nur noch für eine Stuttgarter Vision starkmachen. Vielleicht genügt ja eine Sektbar.