Zum Auftakt eines Übersetzerfestivals im Stuttgarter Literaturhaus hat die Berliner Schriftstellerin Judith Hermann ihren neuen Roman „Aller Liebe Anfang vorgestellt“.

Stuttgart - „Aller Liebe Anfang. Die Kunst des literarischen Übersetzens“ ist der Titel eines Festivals im Stuttgarter Literaturhaus, auf dem es bis zum Sonntag um das Übersetzen aus den oder in die slawischen Sprachen Ostmitteleuropas geht. Gesponsert von der Europäischen Union, der Kulturstiftung des Bundes und der Robert Bosch Stiftung und betreut vom Slawistik-Seminar der Uni Tübingen sollen sich junge Übersetzer aus Polen, der Ukraine, Tschechien, Slowenien und Kroatien in einem auf drei Jahre angelegten Projekt in Workshops mit Autoren und Kollegen über ihre Arbeit austauschen. Stationen dieser Zusammenkünfte sind: Krakau, Prag, Zagreb, Ljubljana, Tübingen, Berlin – und jetzt Stuttgart.

 

Was reizt den Ukrainer an Hermann?

„Aller Liebe Anfang“ ist aber auch der Titel des neuen Buchs der Berliner Schriftstellerin Judith Hermann, das seit seinem Erscheinen in den Feuilletons kontrovers diskutiert wird. Zur Festivaleröffnung am Mittwoch sollte beides zusammen kommen: die Präsentation von Hermanns Roman im Gespräch zwischen der Autorin und dem Literaturkritiker Uwe Kossack – und das Problem des Übersetzens, vertreten durch Jurko Prochasko aus Lemberg, der Hermanns Erstling „Sommerhaus, später“ ins Ukrainische übertragen hat. Das hätte spannend werden können: Die Autorin und ihr ukrainischer Übersetzer sind beide Jahrgang 1970, gehören derselben Generation an. Gibt es Gemeinsamkeiten im Lebensgefühl der heutigen Mittvierziger in Deutschland und der Ukraine, die einen Germanisten und Psychoanalytiker aus Lemberg wie Prochasko veranlasst haben, sich in Hermanns Texte zu verlieben und sie unter seinen Landsleuten bekannt zu machen? Er habe sich gefreut, endlich eine lebende, gleichaltrige Autorin übersetzen zu dürfen, erzählte Prochasko, zuvor seien es nur die Werke toter Männer wie Joseph Roth oder Robert Musil gewesen. In der Ukraine nähmen die Übertragungen aus dem Deutschen immerhin den zweiten Platz hinter denen aus dem Polnischen ein.

In der Heldin rumort eine „wilde Sehnsucht“

Darüber hätte man gern mehr erfahren. Doch Prochasko bekam nicht die Gelegenheit, mehr über die Probleme der deutsch-ukrainischen Literaturbeziehungen zu berichten. Der längste Teil des Abends bestand vielmehr aus einer klassischen Buchpräsentation: Judith Hermann las drei Passagen aus ihrem Roman und versuchte Antworten auf Uwe Kossacks Fragen zu geben. Das Buch erzählt von einer Frau, die ihre wilden Jahre hinter sich hat und sich mit Mann und Kind in einer idyllischen Vorortsiedlung behaglich eingerichtet hat. Dennoch scheint ihr etwas zu fehlen, rumort in ihr untergründig eine „wilde Sehnsucht“.

Skakespeare-Übersetzer kommt

Ihre Romanheldin leide an der „Melancholie der Wunscherfüllung“, versuchte Hermann eine Selbstinterpretation. Als endlich einer auftaucht, der sich in ihr Leben zu drängen versucht, passiert – nichts, jedenfalls nicht bis zum finalen Showdown, über den Hermann und Kossack nichts verraten wollten. So erschöpft sich das Buch in einem breit ausgemalten Stillleben, aus dem jede Leidenschaft, jeder ernsthafte Veränderungsimpuls gewichen sind: Die Idylle wird zur „nature morte“, zu einer Todeslandschaft.

Bleibt zu wünschen, dass die weiteren Veranstaltungen des Festivals seinem Programm besser gerecht werden. Am Freitagabend wird der Shakespeare-Übersetzer Frank Günther, am Samstag die ukrainische Band „Sobaky v kosmosi“ (Hunde im Weltall) auftreten, zum Abschluss am Sonntag sind die Teilnehmer des Workshops bei Petra Bewer und Peter Conradi in der Gänsheidestraße zu Gast und werden aus ihren aktuellen Arbeiten vorlesen.