Und was, wird sich der Besucher fragen, soll an dem Ganzen nun Salucci sein? Eine Rekonstruktion hatten die Architekten mit ihrem Konzept wohlgemerkt von Anfang an nicht im Sinn. Das Haus hat seine Bestimmung gewandelt, eine Rückkehr zum Wohnsitz der Töchter König Wilhelms I. von Württemberg, Marie und Sophie, wäre darum auch unsinnig gewesen. Lederer, Ragnarsdottir, Oei denken strukturell, und sie denken immer von der Stadt her. So kam es ihnen darauf an, einerseits die ursprüngliche Symmetrie der Raumorganisation mit beidseitig um eine zentrale Halle angeordneten Treppen wieder herzustellen – und damit andererseits auch den Bezug des Gebäudes zur städtebaulichen Anlage an diesem Ort.

 

Denn Salucci hatte architektonisch sehr präzise auf den Stadtplan reagiert: Am Schnittpunkt von Planie und Neckarstraße nahm das Wilhelmspalais als städtebauliches Pendant zum Kronprinzenpalais (heute Kunstmuseum) im Grundriss zum einen die Planie-Achse auf und führte sie in gerader Linie über die Freitreppe genau mittig durch die Halle und die Uhlandstraße hinauf bis zur Alexanderstraße fort. Der rechteckige Baukörper parallel zur heutigen Konrad-Adenauer-Straße markiert zum andern den Startpunkt der Achse, die schon im 19. Jahrhundert mit Bauten für Bildung und Kultur eine Art Kulturmeile war. Die Stadt band das Gebäude ein, floss durch es hindurch und gab ihm Richtung.

Die Geschichte hatte ausgedient

Wilhelm Tiedjes Bibliotheksbau hatte diese subtilen Bezüge radikal gekappt und mit der genau in der zentralen Sichtachse platzierten Haupttreppe der Geschichte den Stinkefinger gezeigt, ganz im damaligen Zeitgeist. Da die Stadt draußen sich in jenen Jahren aber ebenso radikal autogerecht neu erfand, war dieser Zusammenhang ohnehin verloren gegangen. Die Zeitgenossen begrüßten ausdrücklich Tiedjes Entscheidung, den Haupteingang auf die Rückseite des Hauses zu verlegen, weil man dort vorfahren konnte, während die marginalisierte Stadtseite allenfalls noch den paar Fußgängern vorbehalten blieb, die es schafften, lebend über die B14 zu kommen.

Mit dem umgewidmeten Wilhelmspalais erhält Stuttgart nicht nur ein formidables neues Stadtmuseum. Indem es den öffentlichen Raum als konstituierende Grundlage der Architektur wieder sichtbar macht, ist das Haus zugleich ein wichtiges Stück Stadtreparatur. Diese bleibt jedoch so lange Stückwerk, wie die große Freitreppe auf sich warten lässt, mit der die Architekten den urbanen Anschluss an die Konrad-Adenauer-Straße und die Innenstadt herstellen wollen. Aber gut Ding will im Gemeinderat Weile haben. Acht Jahre Bedenkzeit gehen schließlich rum wie nichts. Dass die vorgesehenen Brunnen am Aufgang schon weggespart wurden, hat – man denke an die dem Rotstift zum Opfer gefallenen Wasserbecken an der neuen Stadtbibliothek – in Stuttgart dagegen Methode.