Affen-Werner begeistert die Massen

 

Mehr als 20 Jahre nach Jumbos Tod taten sich seltsame Dinge in der Stuttgarter Sophienstraße: An einem Hauseingang sahen die Menschen einen Affen aus Drahtgewinde und Rebengeflecht, der eine schwarz-rote Fahne trug. Sobald sich die Besucher in das Innere des Gebäudes wagten, begrüßte sie ein Rabe, der ihnen grammofonartig ein „Herein Jakob!“ zukrächzte. Wer nun eine Eintrittskarte erwarb, der betrat die wundersame Welt des Gustav Werner. Werner betrieb seit 1840 in der Sophienstraße ein Café, an dessen Rückseite sich ein Wirtschaftsgarten anschloss. Wer hier flanierte, begegnete anfangs vielleicht Pfauen, Papageien und Kakadus. Doch schon bald drängten immer mehr Menschen in „Werners Biergarten mit Affentheater“. In der Sophienstraße befand sich der erste rein privat betriebene Zoo der Stadt.

Gustav Werner genoss über die Grenzen der Stadt hinaus einen mythischen Ruf. Schon als Kind hatte er aufmerksam Eichhörnchen und weiße Mäuse beobachtet – Letzteren brachte er Kunststücke bei. Später durfte es für ihn zwei Nummern größer sein: Ein afrikanischer Löwe war seinen Worten „unterthan“, erinnerte sich ein Zeitzeuge, der in Gustav Werner einen „Thierbändiger ersten Ranges“ sah. Der Cafébesitzer schlug das Publikum als Dompteur in seinen Bann: Werner gab den Animateur für Federvieh, Vier- und Zweibeiner – sein Zoo war auch ein Wirtschaftsbetrieb. Bei Gustav Werner musizierte eine Militärkapelle, loderte bengalisches Feuer, und die Besucher spielten Billard.

Die Show musste immer weitergehen, das Publikum verlangte nach neuen Sensationen. Der „Affen-Werner“ wusste, wie das Spiel läuft. Einer seiner ersten Stars hieß „Prinz Schmudi von Java“ – ein Affe, der Kinder und Alte, Bürger und Adlige anlockte. 1855 kaufte Gustav Werner eine vier Jahre alte braune Bärin. Wer einen Blick auf seine Dressurvorführung mit dem Tier werfen wollte, musste eine „Schaugebühr“ in Höhe von sechs Kreuzern bezahlen. Später erwarb der Affen-Werner einen Eisbären aus Hamburg und zwei Löwen namens Mustapha und Cora. Als er im März 1870 starb, sahen vor allem die Kinder wehmütig dem Leichenzug hinterher. Mit dem Tod des Gründers begann der wirtschaftliche Niedergang des Tiergartens. Gustav Werners Witwe ließ ihn 1873 schließen. In Stuttgart machte später eine Anekdote die Runde: Schwaben hätten den Löwen Mustapha im Ausland wieder gesehen: ausgestopft, im Londoner Kristallpalast.

Ein Zimmermann wird Zoodirektor

Solche Tiere kannten die meisten Stuttgarter Anfang des 19. Jahrhunderts höchstens aus Büchern: In gotischen Vogelhäusern saßen Weißkopfadler, Bartgeier und Uhus – Biber und sogar ein Tapir teilten sich ein Wasserbecken. König Friedrich hatte unterhalb des Neckartors die erste größere Menagerie der Stadt anlegen lassen. Der Eingang des Tiergartens lag an der Cannstatter Straße, der Eintritt war für die Besucher frei. Aus der königlichen Privatschatulle floss viel Geld, mit dem exotische Tiere aus der Alten und der Neuen Welt gekauft wurden: Kakadus und Gürteltiere, Wasch- und Nasenbären, ein Leopard und ein Kamel.

Staunend versammelten sich die Menschen vor jenem Haus, in dem drei asiatische Elefanten lebten. Doch dieses exotische Vergnügen blieb den Stuttgartern nur kurze Zeit erhalten. König Friedrich starb, und eine weltweite Missernte stürzte auch Württemberg in eine Hungersnot. Im Jahr 1816 musste die königliche Menagerie deswegen aufgeben, und viele Tiere mussten verkauft werden. Ein Zirkusbesitzer erwarb den jüngsten der drei Elefanten, der mittlere wurde getötet und für das königliche Naturalienkabinett ausgestopft.

Eine wahre Irrfahrt durch Europa erlebte jedoch der dritte und größte der drei Elefanten: Der zehnjährige Bulle Jumbo landete schließlich in Venedig. Dort sollte er nach Mailand eingeschifft werden. Als die Brücke zum Schiff unter seinem Gewicht nachgab, geriet das Tier in Panik, tötete seinen Wärter, plünderte Obststände und flüchtete in eine Kirche. Soldaten brachen daraufhin eine Schießscharte in das Gemäuer, und man wusste sich nicht anders zu helfen als mit Gewalt: Am 16. März 1819 erlegten sie Jumbo mit einer Kanonenkugel.

Affen-Werner begeistert die Massen

Affen-Werner begeistert die Massen

Mehr als 20 Jahre nach Jumbos Tod taten sich seltsame Dinge in der Stuttgarter Sophienstraße: An einem Hauseingang sahen die Menschen einen Affen aus Drahtgewinde und Rebengeflecht, der eine schwarz-rote Fahne trug. Sobald sich die Besucher in das Innere des Gebäudes wagten, begrüßte sie ein Rabe, der ihnen grammofonartig ein „Herein Jakob!“ zukrächzte. Wer nun eine Eintrittskarte erwarb, der betrat die wundersame Welt des Gustav Werner. Werner betrieb seit 1840 in der Sophienstraße ein Café, an dessen Rückseite sich ein Wirtschaftsgarten anschloss. Wer hier flanierte, begegnete anfangs vielleicht Pfauen, Papageien und Kakadus. Doch schon bald drängten immer mehr Menschen in „Werners Biergarten mit Affentheater“. In der Sophienstraße befand sich der erste rein privat betriebene Zoo der Stadt.

Gustav Werner genoss über die Grenzen der Stadt hinaus einen mythischen Ruf. Schon als Kind hatte er aufmerksam Eichhörnchen und weiße Mäuse beobachtet – Letzteren brachte er Kunststücke bei. Später durfte es für ihn zwei Nummern größer sein: Ein afrikanischer Löwe war seinen Worten „unterthan“, erinnerte sich ein Zeitzeuge, der in Gustav Werner einen „Thierbändiger ersten Ranges“ sah. Der Cafébesitzer schlug das Publikum als Dompteur in seinen Bann: Werner gab den Animateur für Federvieh, Vier- und Zweibeiner – sein Zoo war auch ein Wirtschaftsbetrieb. Bei Gustav Werner musizierte eine Militärkapelle, loderte bengalisches Feuer, und die Besucher spielten Billard.

Die Show musste immer weitergehen, das Publikum verlangte nach neuen Sensationen. Der „Affen-Werner“ wusste, wie das Spiel läuft. Einer seiner ersten Stars hieß „Prinz Schmudi von Java“ – ein Affe, der Kinder und Alte, Bürger und Adlige anlockte. 1855 kaufte Gustav Werner eine vier Jahre alte braune Bärin. Wer einen Blick auf seine Dressurvorführung mit dem Tier werfen wollte, musste eine „Schaugebühr“ in Höhe von sechs Kreuzern bezahlen. Später erwarb der Affen-Werner einen Eisbären aus Hamburg und zwei Löwen namens Mustapha und Cora. Als er im März 1870 starb, sahen vor allem die Kinder wehmütig dem Leichenzug hinterher. Mit dem Tod des Gründers begann der wirtschaftliche Niedergang des Tiergartens. Gustav Werners Witwe ließ ihn 1873 schließen. In Stuttgart machte später eine Anekdote die Runde: Schwaben hätten den Löwen Mustapha im Ausland wieder gesehen: ausgestopft, im Londoner Kristallpalast.

Ein Zimmermann wird Zoodirektor

Ein Zimmermann wird Zoodirektor

Erst sprach es sich in den 1860er Jahren nur in der Nachbarschaft herum, dann kamen immer mehr Menschen aus der ganzen Stadt: Beim Zimmermann Johannes Nill standen mitten auf seinem Grundstück im Stuttgarter Westen Kühe. Wer zu ihm kam, bekam ein Glas frische Milch zu trinken. Bald öffnete dort auch eine Mosterei und eine Branntweinbrennerei. Und so war es nur noch ein kleiner Schritt, bis am Herdweg im Jahre 1866 die „Restauration zum Hirschgarten“ ihr Publikum fand.

Das Lokal hieß nicht zufälligerweise so – der Zimmermann Nill hielt neben den Kühen längst Hirsche, Marder, Wiesel und Hasen. Am Herdweg entstand nach und nach ein neuer Tiergarten. Als es mit dem Affen-Werner in der Sophienstraße zu Ende ging, übernahm Johannes Nill einen Teil von dessen Tieren, unter anderem den Eisbären.

Im Laufe der Jahre wurde der Nill’sche Tiergarten zu einem Publikumsmagneten. An den „billigen Sonntagen“ strömten bis zu 7000 Schaulustige in den Zoo. Auch beim Nill gab es, genau wie beim Affen-Werner, mehr als nur Tiere zu sehen. Hier stiegen Heißluftballone in den Himmel, und der Zoo gehörte zu den ersten Orten in der Stadt, an denen die Menschen über elektrisches Licht staunen konnten.

Das Wappentier der Wilhelma

Johannes Nill war ein echter Selfmademan, der viele Behausungen für seine Tiere selbst baute. Es entstanden ein Hirschpark und ein Bärengraben. Nills Gemsen kletterten über eigens für sie gestaltete Felslandschaften. Im Stuttgarter Westen, der damals noch längst nicht so dicht besiedelt war wie heute, baute Nill später ein Affen-, ein Raubtier- und ein Elefantenhaus. Publikumsliebling wurde der Elefant „Peter“, den Johannes Nill bei einem Tierhändler in Marseille erwarb. Die meisten exotischen Tiere erreichten die deutschen Zoos über einen schwunghaften Handel aus den Kolonien. 1892 übernahm Adolf Nill, der Sohn des Gründers, die Leitung des Tiergartens. Nur ein Jahr später musste der Tierarzt den Elefanten Peter mit einem Schuss in die Schläfengegend von einem langen Leiden erlösen. Peter und der vor ihm verstorbene Jumbo sind Teil der Stuttgarter Zoogeschichte – und der Elefant ist noch heute das Wappentier der Wilhelma.

1906 schloss auch dieser Tiergarten, weil sein Betrieb zu teuer war. Doch auf eine verschlungene Weise hat Nill bis heute überlebt: Die Braunbären des Tierparks sollen Richard Steiff, der in Stuttgart an der Kunstgewerbeschule studiert hatte, als Vorbild gedient haben: Die Teddybären haben Stuttgarter Gene.